Turmgespräch: „Kita bietet eine Chance auf Bildung“

Turmgespräche Lea Bulling ist Sprecherin des Gesamtelternbeirats der Backnanger Kindertagesstätten. Im Interview auf dem Stadtturm spricht sie über das Leben als Familie in Backnang und die Probleme in den Kitas.

Die Höhenangst auf dem Stadtturm ist überwunden, Lea Bulling kann wieder lächeln. Die 35-Jährige vertritt die Interessen der Backnanger Kitaeltern. Zusammen mit Marina Till und Ingo Wörner bildet sie den Vorstand des Gesamtelternbeirats. Fotos: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Die Höhenangst auf dem Stadtturm ist überwunden, Lea Bulling kann wieder lächeln. Die 35-Jährige vertritt die Interessen der Backnanger Kitaeltern. Zusammen mit Marina Till und Ingo Wörner bildet sie den Vorstand des Gesamtelternbeirats. Fotos: Tobias Sellmaier

Wenn aus Paaren Eltern werden, muss das Leben in der Regel neu geordnet werden. Noch immer sind es meistens die Frauen, die ihre beruflichen Ambitionen erst einmal zurückstellen und sich um die Kinder kümmern. Wie haben Sie und Ihr Mann das nach der Geburt Ihrer Tochter geregelt?

Ein bisschen anders als viele andere Paare. Wir haben beide zwei Monate nach der Geburt unserer Tochter wieder angefangen zu arbeiten, allerdings in Teilzeit. Wir haben uns ein Modell überlegt, bei dem wir immer abwechselnd arbeiten. Also mein Mann Montag und Mittwoch, ich Dienstag und Donnerstag und den Freitag jeweils halbe-halbe. So konnten wir dann auch die Kinderbetreuung ganz gut abdecken.

Hat das gut funktioniert?

Für uns war es ein gutes Modell, aber auch eines, das durchaus Herausforderungen gebracht hat und viele Absprachen erforderte. Als unsere Tochter im März 2020 zur Welt kam, begann allerdings gerade Corona. Dadurch wurde Homeoffice ein großes Thema und das hat uns viele Dinge erleichtert.

Welche Reaktionen haben Sie von außen auf Ihr Betreuungsmodell bekommen? Teilzeit bei Männern ist ja immer noch vergleichsweise selten.

Da es wenige männliche Vorbilder gibt, ist in den Köpfen vielleicht noch verankert, dass das nicht so gut funktioniert. Aber es hat sich herausgestellt, dass es gar kein Problem war. Ich hatte sogar das Gefühl, dass Männer mehr Anerkennung erhalten, wenn sie sich um ihre Kinder kümmern, als wenn Frauen das tun. Und ich habe auch nicht den Eindruck, dass mein Mann berufliche Nachteile hatte, weil er das getan hat.

In welchem Alter haben Sie Ihr Kind in der Kita angemeldet?

Ab dem ersten Geburtstag hatten wir einen Krippenplatz.

Haben Sie sofort einen Platz in Ihrer Wunschkita bekommen oder mussten Sie lange warten?

Lange warten mussten wir nicht. Aber mein Eindruck war, dass man der Stadt schon signalisieren muss, dass man großes Interesse an einem Platz hat. Das war mit vielen Anrufen verbunden.

Hatten Sie ein gutes Gefühl, Ihr Kind mit einem Jahr in der Kita abzugeben, oder gab es auch Bedenken?

Nein, überhaupt nicht. Ich finde es eine tolle Chance für Kinder, weitere erwachsene Bezugspersonen zu haben und auch in Kontakt zu anderen Kindern zu kommen. Die Kita bietet eine Chance auf frühkindliche Bildung, die wir als Eltern gar nicht leisten könnten. Wir hatten auch von Anfang an ein sehr gutes Gefühl mit der Kita im Heininger Weg. Das pädagogische Personal ist sehr engagiert und hat schnell eine enge Bindung zu unserer Tochter aufgebaut.

Sie engagieren sich nicht nur in der Kita Ihrer Tochter, sondern auch im Gesamtelternbeirat der Backnanger Kitas. Wie oft trifft sich dieses Gremium und welche Aufgaben hat es eigentlich?

Der Gesamtelternbeirat ist ein Gremium, in dem die Elternbeiratsvorsitzenden aller Backnanger Kitas Mitglied sind. Wir treffen und zweimal im Jahr zur Vollversammlung. Dazwischen tauschen wir uns über eine Whatsapp-Gruppe aus. So können wir auch kurzfristig nachfragen: Wie ist das Essen in den anderen Kitas? Wie häufig wird bei Euch geturnt? Sind wir die Einzigen, bei denen gerade etwas gut oder schlecht läuft? Dieser Austausch ist sehr gewinnbringend. Und wir haben gemeinsam natürlich auch eine stärkere Stimme gegenüber der Stadt.

Die Stadt Backnang lässt ihre Kitas zurzeit von einem Institut zertifizieren. Bei einer Elternbefragung wurde die Gesamtzufriedenheit mit 4,5 von fünf Sternen bewertet. Sozialdezernentin Regine Wüllenweber sprach von einem „phänomenalen Ergebnis“. Deckt sich das mit den Rückmeldungen, die Sie von den Eltern bekommen?

Ich halte diese Umfrage für nicht sehr aussagekräftig. Zum einen war klar, dass die Ergebnisse veröffentlicht werden, und niemand will seine Kita öffentlich schlecht darstellen. Zum anderen war die Rücklaufquote vor allem in den Sprachkitas, in denen es einen hohen Anteil an Eltern mit Migrationshintergrund gibt, sehr, sehr gering. Mein Eindruck ist, dass die Meinungen über die Kitas sehr heterogen sind. Mit dem pädagogischen Personal sind zwar die meisten Eltern zufrieden, trotzdem gibt es auch Kitas, bei denen einiges nicht rund läuft.

Die Probleme hängen oft mit dem Personalmangel zusammen, den es nicht nur in Backnang gibt. Wie nehmen die Eltern das im Alltag wahr?

Da gibt es sehr große Unterschiede. In manchen Kitas sind alle Stellen besetzt oder es fehlt nur eine halbe Stelle – da ist die Situation entspannter. Aber es gibt auch Kitas, in denen fehlen anderthalb oder zwei Stellen. Das spürt man natürlich viel stärker. Als Erstes werden dann bestimmte pädagogische Angebote gestrichen: Es gibt weniger Ausflüge, es gibt keine Waldtage mehr, es gibt weniger musische Angebote. Dabei sind gerade diese Dinge sehr wichtig für die Bildungschancen von Kindern und für einen guten Übergang in die Schule. Wenn es darüber hinausgeht, kommt es auch zu Schließungen. Wir haben jetzt schon wieder Kitas, in denen es seit den Sommerferien mehr als fünf Teilschließungen gab.

Teilschließung heißt reduzierte Öffnungszeiten. Was bedeutet es für berufstätige Eltern, wenn sie eine Betreuung bis 17.30 Uhr gebucht haben und plötzlich erfahren, dass die Kita schon um 15.30 Uhr schließt?

Das ist sehr unterschiedlich. Ich glaube, dass in Backnang im Vergleich zur Großstadt noch sehr viele Familien ein gutes soziales Netz und familiären Rückhalt haben, das heißt, sie können auch mal die Großeltern einspannen. Zum Glück gibt es auch einige Arbeitgeber, die Verständnis dafür haben, wenn Eltern spontan früher Schluss machen. Aber für ganz viele ist es eine Herausforderung. Vor allem kurzfristige Schließungen sind schwer zu verkraften.

Für die Träger wird es immer schwieriger, geeignetes Personal für die Kinderbetreuung zu finden. Haben Sie Ideen, wie das funktionieren könnte?

Zunächst ist es wichtig, das Personal zu halten, das man hat. Denn es gibt im Kitabereich auch Beschäftigte, die sich beruflich umorientieren oder nur noch in Teilzeit arbeiten wollen. Es wäre deshalb wichtig, bessere Arbeitsbedingungen schaffen.

In der Turmstube spricht Lea Bulling mit Redaktionsleiter Kornelius Fritz auch darüber, wie sie und ihr Mann nach der Geburt ihrer Tochter die Betreuung organisiert haben.

© Tobias Sellmaier

In der Turmstube spricht Lea Bulling mit Redaktionsleiter Kornelius Fritz auch darüber, wie sie und ihr Mann nach der Geburt ihrer Tochter die Betreuung organisiert haben.

Wie konkret?

Zum Beispiel, indem Aufgaben, die nicht von pädagogischen Fachkräften gemacht werden müssten, an andere Personen ausgelagert werden. Etwa im hauswirtschaftlichen Bereich: Ein Erzieher muss nicht noch die Spülmaschine ausräumen und das Essen für Kinder vorbereiten. Dafür könnten die Stadt und die freien Träger Personal einstellen und so die Fachkräfte entlasten.

Besondere Probleme gab es zuletzt in der Sportkita Plaisir. Die Eltern dort hatten sich auch über die mangelnde Kommunikation vonseiten des Trägers beschwert. Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit der Stadt Backnang?

Ich glaube, dass die Stadt ihr Bestes tut, aber eben auch personell an Grenzen kommt. So bleibt manchmal keine Zeit für Dinge, die sehr wichtig wären. Die Stadt sollte den Eltern erklären, warum Dinge auf eine bestimmte Art und Weise passieren. Denn wenn man etwas nicht versteht, ist klar, dass man wütend ist. Ich habe aber den Eindruck, dass sich da gerade was ändert. In der Vergangenheit war es zum Beispiel bei den Kitagebühren so, dass der Gesamtelternbeirat erst informiert wurde, nachdem die Entscheidung im Gemeinderat schon gefallen war. Das ist natürlich nicht unbedingt förderlich für die Zusammenarbeit und das Vertrauen. Dieses Jahr wurden wir nun zum ersten Mal vor der Entscheidung im Gemeinderat mit einbezogen.

Das neue Gebührenmodell, das die Stadt Backnang zum 1. Januar 2024 einführt, ist umstritten. Für kinderreiche Familien wird es dann deutlich teurer. Können Sie die Reform nachvollziehen?

Ja, denn bisher war es ja so, dass zum Beispiel eine Familie mit vier Kindern, die zwei Kinder in der Krippe hatte, 156 Euro bezahlt hat, während eine Familie mit insgesamt nur zwei Kindern für dieselbe Betreuung 756 Euro, also fast das Fünffache bezahlen musste. Diese unverhältnismäßigen Kostensprünge anzugleichen finde ich nachvollziehbar, wobei kinderreiche Familien ja auch weiterhin weniger bezahlen. Ich hätte es allerdings besser gefunden, wenn man diese Änderung über mehrere Jahre gestreckt hätte.

In anderen Städten ist die Höhe der Gebühren vom Einkommen abhängig. Was halten Sie davon?

Dazu gibt es unter den Eltern sehr unterschiedliche Meinungen. So wie ich es verstanden habe, sieht die Stadt Backnang aber ohnehin keine Möglichkeit, das verwaltungstechnisch umzusetzen. Daher haben wir uns im Elternbeirat auch noch nicht intensiver mit diesem Thema beschäftigt.

Das heißt, mit dem neuen Gebührenmodell können Sie als Eltern leben?

Ich finde, das Thema Gebühren ist wichtig und für viele Familien auch existenziell. Viel, viel wichtiger sind aber die Zuverlässigkeit und die Qualität der Betreuung. Deshalb wäre es mir lieber, die Verwaltung würde den Fokus auf diese Themen richten und zum Beispiel mehr fachkompetente Vertretungs- und Springerkräfte einstellen.

Das Gespräch führte Kornelius Fritz.

Winterpause Mit diesem Interview geht die Reihe „Turmgespräche“ in die Winterpause, denn auf dem Stadtturm gibt es keine Heizung. Im kommenden Frühjahr startet die nächste Runde mit neuen interessanten Gesprächspartnern.
Blick vom Turm

Rundblick Als sie den Umlauf des Backnanger Stadtturms betritt, muss Lea Bulling erst einmal ihre Höhenangst überwinden. Nachdem sie sich akklimatisiert hat, kann sie aber doch die Aussicht genießen: „Der Blick ist der Wahnsinn“, staunt die 35-Jährige. Unter anderem sieht sie von hier oben die Stadtbücherei, in der sie und ihre dreijährige Tochter Stammgäste sind. Im Sommer besuchen sie auch gerne den Wasserspielplatz im Annonaygarten. Dass der Bereich am Murrufer heute so viel zu bieten hat, findet sie gut. In ihrer Kindheit sei die Bleichwiese sehr unattraktiv gewesen.

Rückkehr Ihr Elternhaus kann Lea Bulling vom Stadtturm aus nicht sehen, denn sie ist in Maubach aufgewachsen. Nach dem Abitur zog es sie dann erst einmal in die Ferne: In Lüneburg und Berlin studierte sie Umweltplanung und Umweltwissenschaften. Seit 2020 lebt Lea Bulling mit ihrer Familie wieder in Backnang. Sie arbeitet als Referentin für Umweltprojekte bei der Heidehof-Stiftung in Stuttgart.

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Erstellt:
31. Oktober 2023, 06:00 Uhr

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