Ansturm auf Booster-Impfungen

Bei Impfaktionen bilden sich lange Schlangen und bei den Hausärzten steht das Telefon nicht mehr still – der Wunsch nach einer Drittimpfung wird bei vielen Menschen immer größer. Die impfenden Ärzte kommen dabei an ihre Belastungsgrenzen.

Ansturm auf Booster-Impfungen

Durch die hohe Nachfrage an Drittimpfungen geht bei manchen Impfaktionen auch der Impfstoff aus. Archivfoto: A. Becher

Von Kristin Doberer

Backnang. Die Zahl der Coronainfektionen steigt rasant und auch Impfdurchbrüche mehren sich. Denn der Impfschutz einer Coronaimpfung lässt mit der Zeit nach, die dritte Dosis soll dem nun vorbeugen. Ziel ist es, dass sich durch den sogenannten Booster noch mehr Antikörper gegen das Virus bilden. Doch die regionalen Impfzentren sind seit September geschlossen, die Coronaimpfungen müssen komplett von mobilen Impfteams und Hausärzten gestemmt werden. Gerade Letztere kommen damit an die Belastungsgrenze. „Die Arbeitsbelastung in den Praxen ist extrem hoch“, sagt Jens Steinat, Sprecher der Ärzteschaft Backnang und Pandemiebeauftragter des Landkreises. Die Anfragen bezüglich einer Coronaimpfung haben sich deutlich erhöht, fast ausschließlich handle es sich um Drittimpfungen. Das Problem: Je höher die Infektionsraten, desto voller sind die Infektionssprechstunden in den Praxen – und dadurch bleibt den Hausärzten weniger Zeit für die Regelversorgung oder auch für das Impfen. „Erst- und Zweitimpfungen wären auch ohne Probleme machbar gewesen“, sagt Steinat. „Die kurzsichtige politische Planung im Sommer führt nun zum aktuellen Problem. Drittimpfungen in kürzester Zeit bei ansteigenden Infektionszahlen sind je nach gebietsbezogener Arztdichte alleine durch die Arztpraxen wohl nicht möglich.“ Abhilfe schaffen könne hier nur eine Kombination aus verschiedenen Dingen. Zum einen werden wohl viele Arztpraxen alle restlichen Kräfte mobilisieren. „Und mit mobilen Impfteams, örtlichen Impfaktionen, Pop-up-Impfzentren und eventuell entstehenden überregionalen Impfzentren müssen wir versuchen, die Situation zusammen zu meistern“, sagt Steinat.

Örtliche Impfaktionen gibt es in Backnang schon seit einigen Wochen immer wieder. Diese wurden aufgrund der steigenden Nachfrage noch mal erhöht. Es impfen zum Teil die mobilen Impfteams aus Stuttgart, zum Teil Monika Lenz. Seit mehreren Monaten ist die freie Notfallärztin mit ihrem Impfmobil unterwegs. Bei den freien Impfaktionen können sich Menschen auch ohne Termin gegen das Coronavirus impfen lassen. Lange war der Andrang sehr übersichtlich, in fünf bis sechs Stunden habe sie mit ihrem Team rund 80 Leute geimpft. Erst seit Kurzem bilden sich lange Schlangen. „Da kommt man schon an seine Grenzen. Bei fast jeder Impfaktion müssen wir gerade Leute wieder wegschicken“, sagt Lenz. Glücklich seien die Menschen, die zum Teil schon für Stunden in der Schlange standen, darüber natürlich nicht. „Viele sind erbost“, sagt die Ärztin. Und das sei auch nachvollziehbar. Einige Impfwillige seien schon bei der zweiten oder dritten Impfaktion und gehen immer wieder leer aus.

Zum einen liege das schlicht am deutlich gestiegenen Impfinteresse, auch ein sehr gut eingespieltes Impfteam könne eben nur eine bestimmte Zahl in einer gewissen Zeit impfen. Lenz schätzt, dass sie bei einer fünfstündigen Aktion mit zwei bis drei Ärzten rund 250 bis 300 Menschen impfen kann. „Das kommt aber auch aufs Klientel an“, meint sie. Bei den Drittimpfungen zum Beispiel gebe es kaum Fragen, die meisten haben ihren Aufklärungsbogen bereits ausgefüllt, wenn sie zur Impfung erscheinen. Deutlich zeitaufwendiger seien dagegen die Erstimpfungen. Auch wenn diese nun eher eine geringe Zahl ausmachen, kommen sie noch immer vor. „Da sind jetzt viele Zweifler dabei, die auch Fragen haben und überzeugt werden wollen.“ Einige der bisher noch Ungeimpften entscheiden sich jetzt doch für die Immunisierung, sie schätzt, dass die Zahl der Erstimpfungen bei etwa 10 bis 20 Prozent liegt.

Aber nicht nur Zeit und Personal werden bei den Impfaktionen knapp, in der vergangenen Woche ging immer wieder auch der Impfstoff aus. Grund dafür ist, dass die Ärzte den Impfstoff immer zwei Wochen im Voraus bestellen müssen. Und vor zwei Wochen sah die Nachfrage nach Drittimpfungen eben noch völlig anders aus. „Das hat sich schlagartig gedreht. Es konnte ja keiner ahnen, dass zu Impfaktionen plötzlich so viele Leute kommen“, sagt Lenz. Sie geht aber davon aus, dass sich zumindest die Knappheit beim Impfstoff ab nächster Woche wieder entspannt. Lange Schlangen wird es aber vermutlich auch weiterhin geben. Denn gestern hat die Ständige Impfkommission die Booster-Impfung für alle Erwachsenen ab 18 Jahren empfohlen. Lenz findet es aber wichtiger, nun die älteren Menschen zuerst zu boostern. „Ein junger Mensch bildet für gewöhnlich mehr Antikörper als ein älterer Mensch. Ich halte es für extrem wichtig, zuerst den älteren Menschen eine Auffrischimpfung zu geben“, meint die Ärztin. Zumindest solange keine anderen Gründe auch bei jüngeren schon jetzt eine frühere Booster-Impfung rechtfertigen, wie zum Beispiel eine Vorerkrankung, wenige oder keine Antikörper oder ein sehr hohes Erkrankungsrisiko.

Besonders in den Alten- und Pflegeheimen der Region wird deshalb auch schon seit Längerem geboostert. So laufen die Auffrischungsimpfungen in den Alexander-Stift-Häusern schon seit Ende September. „In 17 von unseren 22 Häusern haben schon die Termine für die dritten Impfungen stattgefunden“, teilt Steffen Wilhelm, Pressesprecher der Diakonie Stetten, mit. Anders als bei der Grundimmunisierung zu Beginn der Impfkampagne werden die Auffrischungsimpfungen in der Regel von den jeweiligen Hausärzten der Häuser vorgenommen, die dort als sogenannte Pandemieärzte fungieren. „Sie bieten die Booster-Impfungen sowohl den Bewohnern als auch den Mitarbeitern an, verteilt auf mehrere Termine und abhängig davon, wie lang jeweils die letzte Impfung zurückliegt“, sagt Wilhelm. Das Interesse an den Auffrischungsimpfungen sei auch unter den Bewohnern sehr hoch und wird von den Heimleitungen aktiv beworben. „Wir gehen davon aus, dass nahezu alle bereits erstgeimpften Bewohner das Angebot einer Auffrischungsimpfung wahrnehmen.“

Wann und wo kann man sich die dritte Impfdosis holen?

Wo gibt es die Booster? Überall dort, wo es auch Erst- und Zweitimpfungen gibt. Also bei Hausärzten sowie bei den Vor-Ort-Impfaktionen.

Welcher Impfstoff? Ein drittes Mal geimpft wird ausschließlich mit einem mRNA-Stoff, also Biontech oder Moderna. Es sollte der Stoff angewendet werden, mit dem auch die Grundimmunisierung vorgenommen wurde. Jemand, der nur mit Astrazeneca geimpft wurde, soll also einen der beiden mRNA-Stoffe erhalten. Die Auffrischungsimpfung entfaltet laut Paul-Ehrlich-Institut den vollen Schutz fünf bis sieben Tage nach der Impfung.

Wann? Zunächst hieß die Empfehlung der Stiko, dass es eine Drittimpfung in der Regel frühstens sechs Monate nach der zweiten Impfung geben soll. Gesundheitsminister Lucha hat aber noch einmal eindringlich aufgefordert, niemanden wegzuschicken, wenn es nur um ein paar Tage geht. Grundsätzlich trifft die letzte Entscheidung aber immer die Ärztin oder der Arzt, teilt das Sozialministerium mit. Lenz zum Beispiel hatte bisher eine Kulanz von etwa 14 Tagen. Auch wenn bei einer Person nachweislich kaum oder keine Antikörper gebildet werden konnten, hat sie schon früher eine Drittimpfung verabreicht.

Ausnahme Eine Ausnahme gilt für Personen, die bisher Johnson&Johnson erhalten haben. Sie sollen laut Empfehlung der Stiko eine zusätzliche mRNA-Impfstoffdosis (Moderna oder Biontech) schon vier Wochen nach der jüngsten Janssen-Impfung erhalten.

Medizinische Gründe „Bei den anderen Impfstoffen können Personen mit einer schweren Immunschwäche oder unter Immunsuppression die Drittimpfung bereits ab vier Wochen nach der Grundimmunisierung bekommen“, sagt Steinat. Auch hohes Alter oder Vorerkrankungen rechtfertigen eine frühere Booster-Impfung.