Der Fingersatz kommt per Video

Die Musikschulen in Backnang und Murrhardt organisieren mit dem Kollegium verschiedene Formen medialen Ersatzunterrichts

Kniffliger Fingersatz als Videosequenz oder das neue Musikstück als Audioeinspieler flattert dieser Tage ins E-Mail-Postfach der Eltern: In Zeiten von Corona heißt es für die Backnanger Jugendmusik- und -kunstschule und die Musikschule Schwäbischer Wald/Limpurger Land in Murrhardt, die Möglichkeiten der Neuen Medien zu nutzen. Manche Schüler motiviert der Umgang mit den verschiedenen Medienformen sogar zusätzlich.

Der Fingersatz kommt per Video

Alexander Konrad und seine Frau Julia Chekulaeva bei den Vorbereitungen für den Dreh. Gemeinsam nehmen sie immer wieder Videos auf, mit denen sie ein alternatives Angebot für den Unterricht auf Distanz machen können. Foto: privat

Von Christine Schick

und Ingrid Knack

BACKNANG/MURRHARDT. Als sich am Dienstag, 17. März, auch die Türen der Backnanger Jugendmusik- und -kunstschule und der Musikschule Schwäbischer Wald/Limpurger Land mit dem Hauptsitz in Murrhardt geschlossen haben und kein Präsenzunterricht mehr gegeben werden durfte, mussten die Dozententeams um die Schulleiter Michael Unger aus Backnang und Judith-Maria Matti aus Murrhardt erst einmal ziemlich wirbeln. Zum einen waren am Montag zuvor ja nicht wie in regulären Schulen alle Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Musikschulen vor Ort. Zum anderen hieß es, Angebote für einen künftigen Unterricht sehr individuell zu organisieren.

Obwohl die Musikschulen beim Digitalpakt Schule zunächst „nicht mitgedacht worden seien“, wie Michael Unger sich ausdrückt, hat sich seine Einrichtung schon seit Längerem damit beschäftigt, wie die Lehrkräfte digitale Elemente in den Unterricht mit einfließen lassen können. Sowohl im Musik- als auch im Kunstbereich. Das beginne mit so pragmatischen Fragen wie: Gibt es WLAN im Bandhaus? „Wir haben keines“, so Unger. In der aktuellen Situation ist dies aber nicht erheblich. Die Lehrkräfte unterrichten ohnehin von zu Hause aus. Zuallererst galt es, den Fokus auf mögliche Kommunikationswege zwischen Lehrer und Schüler zu legen. Schnell war klar, was in welchem Fall idealerweise genutzt werden kann – beispielsweise Facetime oder Skype. Dies funktioniert nach den Worten Ungers mittlerweile hervorragend. Die wirkliche Herausforderung sei allerdings der Umgang mit den bisherigen Großgruppen gewesen, etwa dem Musikgarten oder der musikalischen Früherziehung. Die Lösung: Lehrer nehmen Filmclips und Videos auf, durch die die Kleinen entsprechende Anregungen bekommen. „Die Kunstschule erteilt auch Aufgaben“, ergänzt Unger. Beispielsweise via E-Mail. Auch Instagram wird eingesetzt. „Es wird versucht, alle Kontaktkanäle zu nutzen, die vom Schüler her gedacht werden.“ Auch ein nicht öffentlicher YouTube-Kanal gehört dazu.

Brach liegen hingegen die Ensemble- und Orchesterarbeit sowie die Kooperationen mit den Kindergärten. Wer bei den Arbeitsgemeinschaften an Schulen dabei ist, erhält jetzt online Einzelunterricht. Ungers Fazit: „Der Unterricht ist anders, aber von der Qualität her genauso gut.“ Die Schüler seien vielleicht sogar konzentrierter dabei als zuvor. Für die Lehrer indes bedeutet die Umstellung Mehrarbeit. Viele Eltern sind sehr angetan von der Leistung und Kreativität der Lehrkräfte.

Zoomkonferenzen der Musikschulleiter

Auch die Musikschulleiter tauschen sich in diesen ungewöhnlichen Zeiten regelmäßig aus. Unger, der Regionalvorsitzender der Musikschulen im Rems-Murr-Kreis ist, spricht von wöchentlichen Zoomkonferenzen im Rems-Murr-Kreis sowie im Land. An seiner Schule gibt es solche Konferenzen gemeinsam mit allen Kollegen. „Damit alle auf dem gleichen Stand sind.“

In Murrhardt spielt sich Vergleichbares ab. Judith-Maria Matti, die zurzeit 17 Klavierschüler unterrichtet, hat vor allem mit Audioaufnahmen gute Erfahrungen gemacht. „Ich spiele das Stück dann vor und spreche den Schüler auch direkt an, versuche, dem Unterricht so nahe wie möglich zu kommen“, erzählt sie. Mal wird auch nur das Spiel der linken und dann der rechten Hand aufgenommen, gilt es, an einer bestimmten Stelle noch genauer einzuführen. Ein Vorteil, den Judith-Maria Matti ausgemacht hat: Ihre Schüler müssen jetzt noch stärker auf die Noten achten – weil sie beim Hören das Stück auf dem Papier mitverfolgen.

Die Angebote variieren je nach Alter. Auch für die Kleinsten in der musikalischen Früherziehung haben Dozenten wie in Backnang Videos mit Geschichten oder Bildern erstellt, die Eltern ihren Kindern dann vorspielen können. „Da ist die Situation sehr flexibel, die Familie kann das nutzen, wenn die Kinder Lust drauf haben“, sagt die Musikschulleiterin. Festgestellt hat sie: „Man kommuniziert häufiger.“ Das Smartphone erweist sich dabei als Alleskönner. Die Klavierlehrer Julia Chekulaeva und ihr Mann Alexander Konrad drehen nun Videotutorials, die sie ihren Schülern übers Netz zuschicken. Eine Reihe der Jugendlichen schicken genauso Aufnahmen von sich an die Dozenten. „Ich habe zu 99 Prozent Einzelunterricht“, sagt die Pianistin. Bei den Videos filmt sie ihre Hände, zudem sind die Noten des Stücks zu sehen. Alexander Konrad hat zudem gute Erfahrungen mit dem Unterricht über Skype gemacht.

Auch wenn nicht jede Familie umfassende Medienerfahrung mitbringt, so hat doch jeder ein Smartphone, über das einiges ausgetauscht werden kann. „Wir sind positiv überrascht, auch über das tolle Feedback. Manche Schüler sind sehr aktiv, sogar mehr als sonst“, erzählt Julia Chekulaeva. „Sie drehen eigene Videos und ich glaube, für die Jugendlichen ist das spannend.“ Manche Eltern unterstützen und filmen ihre Kinder beim Vorspiel, wenn genug Zeit ist – neben Hausaufgaben und Homeoffice.

Ein weiterer Vorteil eines Audio- oder Videotutorials: Es kann immer wieder abgespielt werden – dann, wenn der Schüler Zeit und Ruhe hat. Julia Chekulaeva hofft, dass die eine oder andere nun gemachte Erfahrung auch in Zukunft bereichern kann – wie flexibel abrufbare Lernsequenzen für die Schüler.

Positive Rückmeldungen von den Eltern

Zu seinem Engagement bekommt auch das Team der Musikschule in Murrhardt positive Rückmeldungen. Das Ersatzangebot – wenn auch Orchester und Eltern-Kind-Gruppen, die aber eine kostenlose Ergänzung darstellen, ausfallen müssen – wird sehr gewürdigt. Innerhalb der Musikschule, die als gemeinnütziger Verein organisiert ist, wird trotzdem überlegt, ob und in welchem Umfang es möglich ist, Beiträge zu erlassen – also zu welchem Anteil. Dazu ist Judith-Maria Matti auch mit Bürgermeister Armin Mößner im Gespräch. Bedenken muss die Schule die Finanzierung ihres überwiegend fest angestellten Dozententeams, gleichzeitig will sie natürlich Familien und Eltern unterstützen, die durch die Coronakrise möglicherweise finanziell unter Druck geraten. „Als vereinsgeführte Musikschule konnten wir in den vergangenen Jahren keine großen Rücklagen bilden“, gibt die Leiterin zu bedenken.

Eine weitere Überlegung ist, wenn sich die Situation wieder normalisiert, Nachholtermine – beispielsweise in späteren Schulferien – anzubieten. Mithilfe des alternativen Unterrichtsangebots dranzubleiben, ist für Judith-Maria Matti sowieso keine Frage: „Es ist wichtig, dass die Schüler weiter aktiv sind, ihr Niveau halten oder Fortschritte machen können und vor allem auch motiviert bleiben.“ Das bringt sie zu einem weiteren Aspekt, der ihr und ihrem Team wichtig ist. „Die Musik und das Musizieren helfen gerade in Krisenzeiten, da sie einen individuellen Rückzugsort eröffnen. Jeder, der jetzt zu Hause auf seinem Instrument spielt oder singt, hat die Möglichkeit, zu entspannen und glückliche Momente zu erleben.“