Die familiären Netzwerke funktionieren noch gut

Die Zahl der Hilfsangebote fürs Einkaufen oder Gassigehen ist riesig, die Nachfrage aber noch überschaubar – Die Helfer geben zu verstehen: „Wir sind bereit“

Um die Hilfsbereitschaft in und um Backnang steht es offenbar bestens: „Wir stehen bereit“, ist von allen Hilfsangeboten zu hören. Weil offenbar die persönlichen familiären Netzwerke aktuell sehr gut funktionieren, haben wenig Bürger bisher die zahlreichen Unterstützungsangebote fürs Einkaufen oder Gassigehen in Anspruch genommen.

Die familiären Netzwerke funktionieren noch gut

Markus Traub von den Oldtimerfreunden Oppenweiler ist einer von vielen Einkaufshelfern für ältere oder kranke Menschen. Foto: J. Fiedler

Von Heidrun Gehrke

BACKNANG. „Die älteren Leute kennen noch die Vorratshaltung, die Lager sind noch gut bestückt“, erklärt augenzwinkernd Leonhard Groß, einer der Koordinatoren im Backnanger Süden, die zurückhaltende Nachfrage. Dass die zahlreichen Helfer noch nichts zu tun haben, führt er zudem auf die intakte soziale Infrastruktur zurück: „Hier auf dem Land hat man eine gute Nachbarschaft, es sind Kinder und Verwandte in der Nähe, man hilft sich aus.“ Das Hilfsangebot wolle diese wertvolle Nachbarschaftshilfe nicht ausbremsen, sondern ergänzen, als eine Art „Notfalltropfen, wenn die sozialen Beziehungen nicht mehr greifen“.

Ein „Zeichen fürs funktionierende persönliche Netzwerk“ ist die momentane Anfragenflaute aus Sicht von Simone Schneider-Seebeck von der Sportvereinigung Kirchberg an der Murr, die einen „Helferpool“ von 30 Personen mobilisiert hat. Wie sie glaubt auch Jochen Schneider von Kubus und Zukunftswerkstatt Rückenwind, „dass es erst mit dem langen Atem spannend wird“. Sollte die Zahl der Infizierten steigen und sollten mehr Menschen in Quarantäne müssen, könnte das jetzt noch intakte soziale Umfeld verhindert sein. Eine Hemmschwelle könnte der Grund dafür sein, dass die Angebote nur noch nicht richtig in Schwung gekommen sind. „Die Grenze, jemanden anzurufen, den man nicht kennt, ist vielleicht noch zu hoch – solange es noch ohne geht.“

Rund um Backnang ist der Bedarf zwar insgesamt noch verhalten, aber die ersten Kunden strecken ihre Fühler nach den Hilfsangeboten aus: Mareike Schwartz von den Ministranten der katholischen Kirche Backnang berichtet von neun Besorgungen in der ersten Woche. „Brot vorbeibringen, mit dem Hund Gassi gehen. Einige Ehepaare rufen zum zweiten Mal an“, berichtet die Studentin. Elf Abiturienten des Technischen Gymnasiums der gewerblichen Schule stehen als „Paten“ in den Startlöchern. Lehrer Rolf Huber nimmt die Bestellungen an und vermittelt sie weiter an die Paten, die dann eigenständig alles abwickeln. Interessant: Auch die ältere Generation nutzt vermehrt digitale Medien. „Eine 77-Jährige rief an, um zu fragen, ob sie ihre Bestellung auch per WhatsApp schicken kann, das ist für die jungen Helfer natürlich eine Komfortkundin“, meint er lachend.

Die Helferschar bildet einen bunt gemischten Querschnitt durch die aktuell anders, gar nicht oder daheim arbeitende Gesellschaft: Neben Schülern und Studenten klinken sich auch viele Arbeitnehmer und Lehrer in die Nachbarschaftshilfe ein, die Homeoffice machen und, wie Jochen Nossek, der Schulleiter der Gemeinschaftsschule Taus immer wieder hört, „eh daheim sind und einkaufen müssen“. In den Osterferien soll der Service weiter angeboten werden, da er sich vorstellen könne, dass die Nachfrage bis dahin anzieht. „Eine Woche lässt sich immer mal überbrücken“, so Nossek. Beim Bäcker und in Hofläden höre er, dass viele ältere Herrschaften Wert darauf legen, ihre Einkäufe „noch selbst zu tätigen“. Dennoch könne er bereits „Stammkunden“ verzeichnen, täglich gingen zwei bis drei Bestellungen ein. „Noch eine überschaubare Gruppe, aber ich glaube, denen tun wir wirklich einen großen Gefallen.“

Stephan Fichtner und Davide Marullo von den Brüden City Boys in Auenwald berichten von „typischen Wocheneinkäufen“ wie auch vom Erfüllen spezieller Brotwünsche: „Einige rufen selbst beim Bäcker an und bestellen das Brot, sodass wir es nur abholen müssen.“ Die Bereitschaft, etwas für andere zu tun, ist auch in Oppenweiler riesig, wo SGOS, DRK, HCOB und die Oldtimerfreunde einen Service lanciert haben. Die Helferanzahl ist nach Information von Michael Appenzeller vom HCOB auf über 100 angewachsen, die nach Feierabend sofort losspringen könnten. Einige Rentner hätten angefragt für die nächste oder übernächste Woche. „Momentan wissen sie sich noch zu helfen, aber viele sehen voraus, dass ihre Vorräte zur Neige gehen, und erkundigen sich, wie alles funktioniert, das merken wir schon“, sagt er.

In Murrhardt hat der Hilfsdienst der Koordinationsstelle Bürgerschaftliches Engagement in Kooperation mit dem Quartiersprojekt „Gemeinsam Lust auf Leben“ an Fahrt aufgenommen. Christian Müller informiert, dass die Helfer in der ersten Woche zu neun Erledigungen gerufen wurden, vergangene Woche waren es bereits zur Wochenmitte 21. Außer Einkäufen für Menschen in Selbstisolation und Carepaketen für Bedürftige, die derzeit nicht die Tafel aufsuchen können, habe zweimal Gesprächsbedarf bestanden. „Die Coronakrise, die Unsicherheit und soziale Isolation belasten die Psyche der Menschen“, so Müller. Neben der „überwältigenden Anzahl von Einkaufshelfern“ seien versierte Helfer im Einsatz, die durch ihre berufliche Ausbildung in der Lage sind, Ansprechpartner für Menschen mit Ängsten zu sein.

Positiv wird von allen Unterstützungsanbietern vermerkt, wie viele Menschen bereit sind, zu helfen. „Die Resonanz an Helfern ist sagenhaft, der Zusammenhalt in der Gesellschaft funktioniert“, zieht Harald Hildenbrandt, der Leiter des Backnanger Seniorenbüros, als Zwischenfazit der ersten Woche. 100 Freiwillige hätten sich gemeldet, um im Bedarfsfall älteren Menschen, die in den Zeiten des Coronavirus zur Risikogruppe zählen, den Gang zur Post, zum Einkaufen oder in die Apotheke abzunehmen. Damit möglichst viele von dem Angebot erfahren, seien übers Einwohnermeldeamt 2300 Briefe an Personen über 80 Jahre verschickt worden. Rund 20 Kontakte seien in der ersten Woche hergestellt worden. Darunter auch zwei Coronafamilien in häuslicher Quarantäne. Soweit es sich einrichten lässt, bringen die Helfer auch ein Essen mit – viele Gastwirtschaften bieten während der Ausgehbeschränkungen einen Abholservice an. Bemerkenswert aus Hildenbrandts Sicht ist die hohe Zahl an jungen Helfern: „Oft wird die junge Generation egoistisch eingeschätzt, aber wir stellen bei ihnen ein starkes Bewusstsein fest, dass man jetzt nach den hilfsbedürftigen Leuten schauen muss.“

„Ich finde es sehr emotional, was gerade entsteht an Hilfsbereitschaft“, sagt Katja Pophal aus Backnang, die seit einer Woche für ein älteres Ehepaar in der Nachbarschaft regelmäßig einkauft. Einer Frau aus einer Nachbargemeinde komme die Wohnlage von Familie Pophal beim ehemaligen Krankenhaus sehr gelegen. „Sie rief an und hat uns gebeten, das neu bepflanzte Grab zu gießen, weil wir es nicht weit zum Friedhof haben.“ Auch in Murrhardt, Allmersbach im Tal und Burgstetten stellen die Helfer fest, dass nicht viel los ist. Doch allein das Vorhandensein einer Hilfe trage zur Sicherheit und Beruhigung der Menschen bei, sagt Leonhard Groß, der schon seit 2016 eine wöchentliche Einkaufsfahrt mit dem Bus für Senioren organisiert. So denkt auch Rolf Huber, Lehrer an der gewerblichen Schule: „Die Feuerwehr steht auch parat, wenn’s nicht brennt, ist aber zur Stelle, wenn es brennt.“

Momentan gehen erfreulicherweise viele ehrenamtliche Hilfsangebote durch die sozialen Medien. Barbara Bergmann von der Gemeinde Großerlach erklärt hierzu: „Während also manche mit völlig außer Kontrolle geratenen Hamsterkäufen erst mal an sich selbst denken, denken andere schon viel weiter – und sehen sich als Teil einer starken Solidargemeinschaft. Das ist höchst erfreulich und macht Hoffnung. Erfreulicherweise haben wir viele Hilfsangebote bekommen. Rund 25 Personen, die meisten von ihnen Privatpersonen, haben ihre Mithilfe angeboten. Die Hilfe wurde bisher einmal in Anspruch genommen für einen Einkauf. Wir haben den Eindruck, dass die Nachbarschaftshilfe bei uns im ländlichen Raum auch ohne unsere Koordination schon ganz gut funktioniert. Wir starten diese Woche noch mal einen Aufruf, dass die Leute, die Unterstützung brauchen, sich nicht scheuen sollen, uns zu kontaktieren.“

Auch in Weissach im Tal haben sich sehr viele Privatpersonen und Vereine gemeldet, die das Angebot unterstützen wollen. Beate Zieker von der Gemeinde sagt dazu: „Bisher nutzen die Anrufer unser Unterstützungsangebot aber weniger für Besorgungen fürs tägliche Leben – vielmehr wird es dazu genutzt, um etwa Masken, Handschuhe oder Desinfektionsmittel bereitzustellen. Bisher haben unsere Mitarbeiter das zur Verfügung gestellte Material abgeholt, um dieses zentral zu lagern, sodass es vom DRK von dort aus abgeholt werden kann.“

Besonders war der Anruf einer Bürgerin, mit dem sie den Helfern etliche Leintücher zur Verfügung gestellt hat, um daraus einen Mundschutz zu nähen. „Hier konnten wir das Material an die Privatinitiative vermitteln, über die die BKZ vor einigen Tagen berichtet hatte.“ Zieker: „Einige Privatinitiativen und Vereine wollen unser Angebot unterstützen. Noch können wir es mit eigenem Personal abdecken. Sollte der Bedarf ansteigen, würden wir sehr gerne auf dieses Unterstützungsangebot zurückgreifen.“