In Backnang sind derzeit 63 Menschen mit Corona infiziert, in Spiegelberg kein einziger. Doch die Werte sollen laut Expertenansicht überall steigen.
Von Matthias Nothstein
BACKNANG. Das Coronavirus breitet sich im Rems-Murr-Kreis wieder in Windeseile aus. Gestern wurde die 100er-Marke des Inzidenzwerts zum zweiten Mal in Folge überschritten, und zwar mit 122 gleich deutlich. Wenn die Inzidenz auch heute wieder über 100 liegt, und davon muss man ausgehen, droht ab Dienstag nächster Woche wieder die Notbremse. Allein gestern stieg die Zahl der Infizierten um 117 auf nun 13976 Personen an.
Wie berichtet hatte Landrat Richard Sigel zuletzt gemeinsam mit den Sprechern der Städte und Gemeinden in einem Schreiben an Sozialminister Manfred Lucha angeboten, im Landkreis ein Modellprojekt unter dem Motto „Öffnen mit Sicherheit“ zu starten. Schwerpunkt der Argumentation waren die mehr als 120 Testzentren, die sich über den gesamten Landkreis erstrecken. Martina Keck, die Sprecherin des Landratsamts, erklärte gestern nochmals, dass man auch an die Zeit nach der dritten Welle denken und die Strukturen jetzt bereits aufbauen müsse, „damit wir dann nicht bei null anfangen müssen“. Allerdings hatte die Kreisverwaltung bis gestern noch keine Antwort von der Landesregierung.
Gestern legte Landrat Sigel nach. Er kündigte an, der Kreis werde in einem weiteren Modellversuch auf die Luca-App zur Kontaktnachverfolgung setzen. Die digitale Kontaktnachverfolgung ist Sigel zufolge eine sinnvolle Ergänzung der bestehenden Strukturen.
Der Rems-Murr-Kreis hat sich beim Entwickler der App erfolgreich als Modellregion eingebracht. Nach der technischen Einbindung und ersten Schulungen wird der Landkreis spätestens Mitte April als Modellregion startklar sein. Bis nach Ostern sollen die Voraussetzungen für eine breite Nutzung geschaffen werden. Die App bietet eine schnelle und lückenlose Kontaktnachverfolgung, erstellt automatisch eine persönliche Kontakt- und Besuchshistorie und ermöglicht im Infektionsfall eine verschlüsselte und sichere Kontaktdatenübermittlung an das Gesundheitsamt. „Die Luca-App könnte unsere Strukturen im Rems-Murr-Kreis sinnvoll ergänzen. Wir testen daher die App im Rahmen eines Modellversuchs. Die klare Bereitschaft von Bürgern, Einzelhandel und Gastronomen, die uns signalisiert wurde, hat uns darin bestärkt, diese App schnell zu nutzen und nicht auf landesweite Lösungen zu warten. Obwohl die steigenden Infektionszahlen derzeit zeigen, dass wir mitten in einer dritten Welle sind, müssen wir uns im Landkreis parallel Gedanken zu Öffnungsperspektiven machen“, so Landrat Richard Sigel.
Ein weiterer Baustein, um noch schneller und digitaler zu werden.
Gemeinsam mit den Städten und Gemeinden im Rems-Murr-Kreis geht der Landkreis bei der Kontaktpersonennachverfolgung bereits einen Sonderweg und kann auf verlässliche Strukturen zurückgreifen. Die Luca-App könnte ein weiterer Baustein sein, noch schneller und noch digitaler zu werden.
Für ein kreisweites Öffnungskonzept wird es neben der App aber vor allem auch Testkonzepte benötigen, damit erst gar nicht Kontakte von infizierten Personen nachverfolgt werden müssen. An Testkonzepten, die auch in der Fläche und nicht nur begrenzt auf eine einzelne Stadt funktionieren, wird bereits im Landratsamt gemeinsam mit den Städten und Gemeinden gearbeitet. „Und wir hoffen auch, dass wir die App nur eine kurze Zeit im Einsatz haben. Sehr gerne würden wir auf die App wieder verzichten, wenn wir mit dem Impfen bald zügiger vorwärtskommen als bisher“, so Sigel.
Die Infektionszahlen sind aktuell leider erschreckend hoch. Die Zahl der Infizierten stieg gestern um 117 auf 13976 Personen an. Davon befinden sich aktuell 619 in Quarantäne, das sind auch 60 mehr als noch am Vortag. Die Zahl der Todesfälle, die mit oder an Covid-19 gestorben sind, erhöhte sich im Landkreis um einen Menschen auf jetzt 310. Alleine in Backnang sind derzeit 63 Infizierte gemeldet. Das ist der dritthöchste Wert im Rems-Murr-Kreis. Nur in Schorndorf (75) und Waiblingen (70) haben sich aktuell mehr Bürger mit dem Coronavirus infiziert. In den Gemeinden rundum gibt es große Unterschiede. Während in Auenwald aktuell 17 Mitbürger mit dem Virus kämpfen, existiert in Spiegelberg kein einziger gemeldeter Fall. Und in Kirchberg an der Murr ist lediglich ein Betroffener registriert, in Weissach im Tal, Großerlach oder Althütte sind es nur jeweils drei.
Derzeit haben die Rems-Murr-Kliniken die Lage noch gut im Griff, trotz eines Coronaausbruchs im Klinikum Winnenden (wir berichteten). Kliniksprecherin Monique Michaelis erklärte gestern, dass aktuell neun Mitarbeiter positiv auf Covid-19 getestet sind. Seit Ausbruch der Pandemie haben sich somit etwa zehn Prozent der 2600 Mitarbeiter des Klinikums mit dem Virus infiziert. Wie viele Mitarbeiter bereits geimpft sind, konnte die Sprecherin nicht sagen, da es bei Corona im Gegensatz zu etwa Masern keine Impfpflicht gibt. Zudem lassen sich deshalb schwer Aussagen über die Impfquote bei den Mitarbeitern machen, weil diese sich anfangs im Landesimpfzentrum die Spritze holen konnten, dann im Kreisimpfzentrum und zuletzt im Klinikum selbst. Eines jedoch ist laut Michaelis sicher: „Bis Mai haben wir 1200 Beschäftigte geimpft. Die Impfungen sind bereits erfolgt oder terminiert.“
Die Luca-App bietet ein umfassendes System, das den direkten und sicheren Kontaktdatenaustausch zwischen Bürgern, Einrichtungsbetreibern beziehungsweise Veranstaltern und den Gesundheitsämtern ermöglicht. Die Nutzer tragen ihre Kontaktdaten in die App ein, die wechselnde QR-Codes erzeugt. Diese werden von den Einrichtungsbetreibern oder Veranstaltern gescannt oder die App-Nutzer scannen ihrerseits beim Besuch einer Einrichtung oder einer Veranstaltung einen QR-Code.
Tritt ein Infektionsfall ein, werden alle Gäste dieser Einrichtung beziehungsweise Veranstaltung informiert, die sich zur betreffenden Uhrzeit dort aufgehalten haben. Parallel werden die Gesundheitsämter informiert, die dann automatisch Zugriff auf die Daten der übrigen Gäste haben. Damit kann die aufwendige und fehleranfällige Zettelwirtschaft vermieden werden.
Das Ministerium für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg prüft derzeit, ob ein Rahmenvertrag für die Gesundheitsämter zur flächenhaften Nutzung der Luca-App in Baden-Württemberg abgeschlossen werden kann. Schon bevor die App landesweit ausgerollt wird, können Regionen die App testen.
Der Landesbeauftragte für Datenschutz hat der Luca-App bereits Mitte Februar bescheinigt, einen hohen Datenschutzstandard zu erfüllen. Derzeit testen mehrere Pilotlandkreise die App, darunter nun auch der Rems-Murr-Kreis.