„Die Polizei muss die Verhältnismäßigkeit wahren“

Nachdem die Demonstration der Coronagegner am Sonntag in Backnang aus dem Ruder lief, überdenkt die Polizei ihre Einsatztaktik.

„Die Polizei muss die Verhältnismäßigkeit wahren“

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Die wenigsten haben damit gerechnet, dass die Demonstration am Sonntagnachmittag gegen die Coronamaßnahmen in der Backnanger Innenstadt auf solche Resonanz stößt. Wie berichtet waren etwa 300 Teilnehmer auf der Bleichwiese zusammengeströmt. Initiator Michael Schieszl war dann aber selbst nicht damit zufrieden, wie sich die Veranstaltung entwickelte. Er hatte für einen Protestzug „für die Wahrung unserer Grundrechte und den Mittelstand in Backnang und gegen die Maskenpflicht“ eingeladen. Und in der Werbung in den sozialen Medien hatte er darauf hingewiesen, dass Maskenpflicht besteht. Da das Rechts- und Ordnungsamt einen Ordner pro 20 Teilnehmer gefordert hatte, warb Schieszl über Facebook, dass sich Interessierte für diesen Ordnungsdienst melden sollten. Die Leute, die sich auf diesen Aufruf meldeten, kannte er nur zum Teil: „Ich habe schnell gemerkt, das wird schwierig“, so seine Einschätzung. So sprach einer der Ordner die Polizisten als „Schlümpfe“ an. Schieszl schritt ein, so erklärte er gestern, und stellte dem Provokateur gegenüber klar: „Die machen auch nur ihren Job.“ Gestern fügte er noch an: „Ich wollte selbst einmal Polizist werden.“ Er erinnerte daran, dass er selbst 15 Masken gekauft hatte und diese über Megafon allen anbot, die keine dabei hatten. Und dass er dauerhaft eine Maske trug. Er zeigte sich unglücklich über die Eigendynamik des Geschehens: „Was kann ich dagegen machen? Es gibt immer welche, die es übertreiben.“ Ihm war es wichtig, nochmals die Motivation darzustellen. Das Motto der Demo lautete: „Wir bestehen auf Verhinderung obrigkeitsstaatlicher Schikane. Für unsere Kinder und den Mittelstand.“ Der zweifache Familienvater berichtete von Kindern, die aufgrund der Maskenpflicht im Unterricht einschlafen oder Kopfschmerzen bekommen würden. Auch wollte er den Gastronomen helfen: „Die Gastronomie in Backnang ist bald ausgestorben. Wenn es so weitergeht, wird die City bald tot sein.“ Insofern freute er sich, dass auch drei Wirte seinem Aufruf gefolgt seien.

Rudolf Biehlmaier, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Aalen, verwies darauf, dass es solche Veranstaltungen derzeit bundes- und landesweit gebe. Von der Thematik und der Schwierigkeit seien sie für die Polizei überall gleich, ob in Leipzig oder Backnang. Biehlmaier: „Wir bewegen uns in einem Spannungsfeld, in dem wir ganz genau abwägen müssen, wie wir vorgehen.“ Er kündigt an, dass die Polizeiführung im Nachgang zu der Backnanger Veranstaltung die Vorgehensweise der Einsatzkräfte noch einmal reflektieren werde. Es geht darum, wie die taktischen Maßnahmen optimiert werden können. Über allem steht das Gebot der Verhältnismäßigkeit, „die müssen wir jederzeit wahren“, so Rudolf Biehlmaier.

Die Teilnehmer, die die Maßnahmen eklatant missachtet oder Beamte provoziert haben, dürfen sich nicht zu sehr freuen. Biehlmaier bestätigte, dass am Sonntag auch einige wenige Zivilkräfte im Einsatz waren, wenngleich nicht von Anfang an. So wurde die Schutzpolizei auch von Kräften der Kriminalpolizei verstärkt. Biehlmaier: „Wir haben Fotos gemacht und werden nun die Verstöße ermitteln und zur Anzeige bringen.“ Er erklärte: „Es gehört auch zur Deeskalationsstrategie, in solch einer Situation nicht sofort Personenkontrollen durchzuführen. Diese wären in der konkreten Situation nicht angebracht gewesen.“

„Die Polizei muss die Verhältnismäßigkeit wahren“

Michael Schieszl (mittleres Foto am Megafon) war auch nicht über alle Demonstrationsteilnehmer glücklich: „Das ist wie im Fußball. Da gibt’s auch echte Fans und Spinner und Chaoten.“ Fotos: J. Fiedler

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