„Die Überforderung wird bleiben“

Repräsentanten verschiedener Gremien der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) informierten sich am Gymnasium in der Taus über die aktuelle Coronasituation. Hoch im Kurs stehen derzeit langfristige Lehrerfortbildungen.

„Die Überforderung wird bleiben“

Udo Weisshaar (linkes Foto, Bildmitte) begrüßte im Backnanger Tausgymnasium eine ganze Delegation der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, darunter auch Doro Moritz (rechtes Foto), die GEW-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg. Fotos: A. Becher

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Gekommen waren die Bundesvorsitzende der GEW, Marlies Tepe, die mit „GEW Unterwegs“ regelmäßig Schulen aller Bundesländer besucht, Doro Moritz, die GEW-Landesvorsitzende, sowie Barbara Becker von der GEW-Landesfachgruppe Gymnasien und der Kreisvorsitzende der GEW, Roland Theophil, um mit Schülerinnen der Jahrgangsstufe 12, Elternvertretern und Lehrern ins Gespräch zu kommen. Ziel des Besuchs war es, „dieses historische Schuljahr“ zu bewerten, und zwar aus der Sicht der Betroffenen.

Die Ergebnisse des Gesprächs sollen dem Kultusministerium unterbreitet werden. In einer ersten Runde wurde die Schule mit ihrem G-9-Profil durch Schulleiter Udo Weisshaar vorgestellt, sodann fasste als GEW-Vertrauensperson des Tausgymnasiums Cordis Hoffmann die Ergebnisse einer Schülerbefragung zusammen. Demnach stehen die Punkte Anwesenheit und Verbindlichkeit der Aufgaben, Bewertung und Vergleichbarkeit von Leistungen ebenso im Mittelpunkt des Interesses der Schüler wie die Probleme der Kommunikationswege zwischen Schülern und Lehrern beziehungsweise auch deren Erreichbarkeit.

Was das konkret bedeutet, wurde im Verlauf der Diskussion deutlich. Die anwesenden Schülerinnen sprachen sich beispielsweise durchweg dafür aus, dass ihre Leistung wieder mehr bewertet wird, dies sei auch für hoch motivierte Schüler wichtig, für weniger motivierte erst recht: „Viele Schüler machen nur wegen der Note was.“ Aber auch die Motivierteren „vernachlässigen“ Nicht-Abi-Fächer. Zumindest, wenn sie keinen Spaß machen.

Der Lockdown führte vielfach zu mehr Selbstständigkeit auf Schülerseite.

„Alleingelassen“ fühlten sich manche, so eine weitere Schülerin, die angesichts der umfangreichen Aufgaben für zu Hause, die kaum ausgewertet wurden, zu bedenken gab: „Wir sind keine Studenten.“ Positiv eingeordnet wurde die Einschätzung, dass der Lockdown zu mehr Selbstständigkeit auf Schülerseite geführt habe, wenngleich dies nicht für alle gelte. Barbara Becker teilte die Auffassung, dass so viel Präsenzunterricht wie möglich stattfinden müsse und schimpfte über die digitale Ausstattung der Schulen: „Wie in einem digitalen Entwicklungsland.“ Die Rede war hier nicht nur von fehlender Hardware, sondern vor allem auch vom viel zu kleinen Datenvolumen und mangelnder Qualifizierung der Lehrerschaft. Cordis Hoffmann gab zu bedenken, dass Schüler, die zu Hause keinen Zugang zu Handy, PC oder Tablet haben, sich häufig nicht outen – und dies unabhängig vom Wohlstand. Etwa könnten Sektenangehörige unter Verboten leiden und schweigen. Der Schulleiter bezeichnete es als Wunschdenken, dass alle Schüler digital erreicht werden können. Jeder Tag Präsenzunterricht sei ein gewonnener Tag. Diese Einschätzung wurde auch von den Schülerinnen geteilt. Einig war man sich dahingehend, dass das „Hybridmodell“ positiv zu bewerten sei. Es wurde am Tausgymnasium von Pfingsten bis zu den Sommerferien praktiziert und sah vor, jeweils halbe Klassen im wöchentlichen Wechsel zu unterrichten. Die Kinder und Jugendlichen waren zwar nicht ununterbrochen, aber regelmäßig in der Schule, und die Raumsituation in Klassen und Bussen konnte entlastet werden. Ein Vater sprach von der schwierigen Situation seiner Familie während des Lockdowns und resümierte: „Die Überforderung wird bleiben.“

Von GEW-Seite wurde weiterhin die bessere personelle Unterstützung der Schulen eingefordert, beispielsweise könnten Lehramtsstudenten helfen. „Uferlose Aufsichten“, die nicht als Arbeitszeit angerechnet würden, Doppel- und Dreifachunterrichtung, ebenfalls unbezahlt, häufige Nachforschungen nach fehlenden Schülern, „uferlose Korrekturen“, machte Barbara Becker ihrem Unmut Luft. Und Schulleiter Weisshaar sprach angesichts schwer zu befolgender Auflagen, die er nicht infrage stellen wollte, von seiner Haltung der „kritischen Loyalität“.

Auf die Nachfrage der GEW-Bundesvorsitzenden, was das Wichtigste sei, „wenn ich zum Beispiel mit der Kanzlerin spreche“, fielen noch einmal die Stichworte Lehrerfortbildung und Vereinheitlichung der Lernsysteme. Für Familien mit mehreren schulpflichtigen Kindern sei es „die Hölle“, mit dem gegenwärtigen Chaos zurechtzukommen, und es sei zu erwarten, dass der Ausnahmezustand über Jahre anhält.

Auch Fragen des Datenschutzes beim E-Learning wurden diskutiert. Zwar sei es „schön, wenn die Oma mitlernt“, verletze aber den „geschützten Raum“, den der Unterricht für Schüler darzustellen habe. „Wir müssen Schule neu schreiben“, bemerkte der Elternbeiratsvorsitzende Heino Wolkenhauer, „damit sich nicht jeder selbst neu erfinden muss.“ Denn das sei das Schlimmste, dass momentan jeder auf sich allein gestellt die Situation irgendwie meistern müsse.

„Die Überforderung wird bleiben“