Firmensalon im virtuellen Raum

Das Unternehmen L-Mobile in Sulzbach an der Murr entwickelt eine Internetplattform für digitale Messen. Hier können sich die Anbieter und ihre Kunden multimedial austauschen und mittels neuartiger Möglichkeiten ihre Geschäftskontakte pflegen.

Firmensalon im virtuellen Raum

Industry Fair Online nennen die Sulzbacher Software-Experten ihr System zur Veranstaltung virtueller Messen. Die Grafik zeigt die Empfangshalle mit interaktivem Infostand, von wo aus weitere Messehallen ansteuerbar sind. Grafik: L-Mobile

Von Bernhard Romanowski

SULZBACH AN DER MURR. Um sich als Unternehmen zu präsentieren, waren bislang Messen oft die Möglichkeit der Wahl: Hier kommen Kunden und Anbieter zusammen, hier kann sich jeder gezielt über die eigenen Geschäftsfelder und jene Firmen informieren, die im jeweiligen Interessenbereich von Belang sind. Doch im Zuge der Coronapandemie ist der Messebetrieb nicht nur in Deutschland fast vollständig zum Erliegen gekommen – eine Katastrophe für die Messeausrichter, ein gewaltiges Handicap für die Firmen und ihr direktes Marketing. Aus dem Unternehmen L-Mobile mit Hauptsitz in Sulzbach an der Murr waren dazu aber bislang keine Klagegesänge zu hören. Im Gegenteil: Die Sulzbacher und die Mitarbeiter des Unternehmens an den Standorten im europäischen Ausland sowie in Übersee reagieren recht gelassen auf diese Entwicklung.

Das Team von L-Mobile besucht schon seit gut sechs Jahren keine regulären Messen mehr. Seit Christian Gmehling als Head of Marketing für die Außenwirkung des Unternehmens zuständig ist, wird verstärkt am Thema Online-Marketing gearbeitet.

Die Eigendarstellung der Firma über das weltweite Datennetz war in dem von Günter Löchner gegründeten Unternehmen also längst vor der Coronapandemie ein Thema. Die digitalen Möglichkeiten, sich mit den Kunden zu vernetzen, wurden also genau analysiert. „Online-Marketing ist nachhaltiger“, so Gmehling. Aber es hat auch einen Nachteil. „Geschäfte macht man nun einmal mit Menschen. Da geht es um Begegnung und um Vertrauen. Das ist online schwierig zu erreichen. Online-Marketing ist asynchron“, erläutert Gmehling weiter. Und genau das treibt ihn um. Wie kann man mit den Umgang mit den Kunden im virtuellen Raum gestalten, ohne dass das Menschliche zu kurz kommt?

Das Pandemiegeschehen befeuerte den Plan, ein System für eine Online-Messe zu schaffen.



Gerade in Zeiten der Coronakrise kommt dieser Frage noch mehr Bedeutung zu. So kam der Gedanke auf, wie ein Konzept für eine Messe aussehen könnte, die online stattfindet, also ohne die physische Präsenz von Messebesuchern und Ausstellern an einem fixen Ort. Denn die Stärke einer üblichen Messe sind die persönlichen Kontakte, die man im Online-Verfahren eben nicht hat. Gmehling: „Der persönliche Kontakt ist uns sehr wichtig.“

In der Zeit der Coronapandemie mit ihren Einschränkungen im Geschäftsleben bot sich dann die Chance, eine Plattform zu entwickeln, auf der die Messen virtuell stattfinden können. Von dem Gedanken, ein System zu kaufen, mit dem sich solch eine Online-Messe umsetzen lässt, kam man bei L-Mobile schnell ab. „Denn keines der bestehenden Systeme konnte das, was wir wollten“, erläutert Gmehling. Was lag also näher, als selbst in die Entwicklung einer entsprechenden Software zu gehen und das Resultat zum Kauf anzubieten.

Zwischen März und August wurde fleißig daran gefeilt. Das Pandemiegeschehen befeuerte den Plan noch zusätzlich. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, lautet denn auch die rhetorische Frage Gmehlings, dessen Marketingabteilung aus 20 Mitarbeitern besteht.

Industry Fair nennen die Sulzbacher Digitalexperten ihre neue Kreation, zu deutsch also Industriemesse. Und diese Online-Messe ist erst einmal gar nicht so anders als eine konventionelle Messe. „Wir haben uns an dem orientiert, was den Kunden von den üblichen Messen her vertraut ist, und wollten unser System möglichst realitätsnah konzipieren“, sagt Gmehling und meint damit unter anderem die virtuellen Räume, die man bei der Industry Fair betreten kann. Da gibt es eine Empfangshalle, in der sich die Messebesucher einen Überblick über das Angebot der Aussteller und über die verschiedenen Veranstaltungen im Messeprogramm verschaffen kann.

Hier wird man auch tatsächlich von einer Mitarbeiterin von L-Mobile begrüßt, die aber in Wahrheit in der Sulzbacher Zentrale sitzt und via digitaler Bild-Ton-Übertragung mit den Besuchern kommuniziert. Es gibt eine Sektion der Industry Fair, in der man an den diversen Seminaren und Webinaren teilnehmen kann. Es gibt auch ein Auditorium, in dem die Vorträge in Form von Videos im Mittelpunkt stehen.

Für die Produktion von Fotos und Videos hat Gmehling eigens ein Studio am L-Mobile-Standort in Sulzbach eingerichtet. Zum Teil können die Mitarbeiter ihre Seminare aber auch aus dem Homeoffice heraus leiten. Dann müssen sie nur darauf achten, dass im Hintergrund kein Bügelbrett zu sehen ist und nicht das Haustier durchs Bild läuft, wie Gmehling lachend anmerkt.

Das Herzstück der Online-Messe ist die Messehalle, in der sich die Aussteller präsentieren. Hier können die Besucher sich über die Firmen ein Bild machen, die für ihren Geschäftszweig relevant sind. Sie können die Unternehmen hier auch direkt kontaktieren und Anfragen stellen, zum Beispiel per Videochat oder per Textmitteilung, wie man es von digitalen Diensten wie etwa WhatsApp kennt.

Da sich das Ganze im digitalen Raum abspielt und sich die Messeteilnehmer von überall in der Welt quasi nur per Mausklick einchecken können, ist das System freilich auch mit Blick auf das Einsparpotenzial durch wegfallende Geschäftsreisen und die Kosten für Fahrt oder Flug und Unterbringung und erst recht unter dem Aspekt der Coronapandemie für viele Firmen interessant. Mehr als einen Computer, ein Tablet-Gerät oder auch ein Smartphone braucht man dazu nicht.

Viele der Angebote bei einer solchen Veranstaltung kann man on demand, also auf Abruf bereitstellen. Man ist also vielfach nicht mehr an feste Zeiten und Orte gebunden, muss also nicht mehr zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte Messehalle aufsuchen, um beispielsweise einen interessanten Vortrag nicht zu verpassen. Industry Fair ist übrigens ein Kind der Marketingabteilung bei L-Mobile und wird von Gmehling und seinen Kollegen neben dem üblichen Geschäft entwickelt. Ihm liegt das Projekt sehr am Herzen. „Es ist ein wertschöpfender Beitrag des Marketings“, formuliert er den Umstand, dass die Abteilung, die normalerweise ausschließlich für die Imagepflege der Firma und die Vermarktung der Produkte aus den anderen Abteilungen zuständig ist, nunmehr auch ein eigenes Produkt vorweisen kann.

Das System ist zudem konfigurierbar, also bei Bedarf auf jeden Kunden individuell abstimmbar, und somit sehr vielseitig anwendbar. Den Support, also die Betreuung bei der Anpassung und Anwendung der Online-Messe, bietet L-Mobile als Dienstleistung dazu an. Laut Gmehling gibt es bereits viele Interessenten, wohl auch, weil das System besonders umfangreich ist.

Anfang Oktober wurde es auch schon im Rahmen einer Messe für einen Kunden aus dem Bereich Lagerlogistik erfolgreich erprobt. Laut Plan werden 2021 weitere 36 Veranstaltungen folgen. „Wir wollen Thought-Leader im Bereich Digitalisierung werden“, sagt Gmehling und meint damit die geistige Vorreiterrolle, die L-Mobile auf diesem Gebiet anstrebt.

Firmensalon im virtuellen Raum

Christian Gmehling verfügt im Sulzbacher Firmensitz über ein Foto- und Filmstudio, in dem auch die Videos für die digitalen Auftritte des Unternehmens angefertigt werden. Foto: J. Fiedler

Digitale Weihnachtsfeier

Apropos vielseitiges System: Da die Weihnachtsfeier von L-Mobile auch in Sulzbach coronabedingt nicht wie gewohnt stattfinden kann, wird das Online-Messe-System auch hier zum Einsatz kommen. Christian Gmehling denkt hier unter anderem an einen Livestream aus dem Studio der Firma mit einer weihnachtlichen Geschichte, bei der die Zuschauer mitentscheiden können, wie die Handlung sich entwickeln soll. Anschließend gibt es ein gemeinsames weihnachtliches Kochen. Gmehling: „Hierfür schicken wir unseren Mitarbeitern ins Homeoffice ein Paket mit allen Zutaten und mit Weihnachtsgeschenken. Dann kocht unser Chef Günter Löchner mit seinem Sohn Lukas, der Koch ist, gemeinsam vor, und die Mitarbeiter können daheim nachkochen. Anschließend gibt es dann noch einige virtuelle Räume in denen wir dann zusammen essen und uns austauschen.“