„Gäste sind ausgehungert nach Normalität“

Seit Kurzem dürfen Gastronomen ihre Besucher auch wieder in den Innenräumen bewirten. Ein Kneipenbummel in der Backnanger Innenstadt zeigt aber, dass das Angebot bisher nur bedingt angenommen wird. Das Virus hat Spuren hinterlassen.

„Gäste sind ausgehungert nach Normalität“

Melanie Dautel (links) und Kim Melina Häuser freuen sich bei ihrem Besuch im „Wohnzimmer“, dass alles wieder langsam öffnet. Fotos: J. Fiedler

Von Carmen Warstat

BACKNANG. Die Wirte und Gäste der Backnanger Kneipen sind nach ersten Lockerungen der Coronabestimmungen erleichtert. Ein Kneipenbummel durch die Innenstadt zeigt, wie die Wirte und Gäste damit umgehen.

Die kleine Tour startet beim Wohnzimmer, wo Inhaber Alexander Lisson „gern wieder Events machen“ und „Vollgas geben“ würde, wenn er nur könnte. „Aber das wäre vielleicht ein falsches Signal.“ Einstweilen ist er froh, dass es überhaupt wieder langsam losgeht und sein Publikum die Vorschriften entspannt annimmt: Maskenpflicht und Mindestabstand beim Betreten und Verlassen des Lokals beziehungsweise Tisches sind ein Muss. Zunächst muss der Gast sich eine „Seatcoin“ mit Platznummer aushändigen lassen, und selbstverständlich sind Formulare mit den Kontaktdaten zu hinterlassen. Freilich, zu fortgeschrittener Stunde muss man erinnern, räumt Lisson ein, aber im Grunde reagieren alle aufgeschlossen. Einiges hat sein Team sich einfallen lassen, um „die Leute bei der Stange zu halten“. Die Online-Präsenz wurde ausgebaut und auf YouTube verlagert, der Wirt war mit einem „Bier-Taxi“ unterwegs – „Hauptsache, man macht was. Man muss sich halt jeden Tag neu erfinden.“

Zurzeit gibt es bezüglich der Erweiterung des Außenbereichs Verhandlungen mit dem Ordnungsamt. Lisson möchte Sitzplätze auch am Brunnen auf dem Willy-Brandt-Platz schaffen – die Ideen gehen ihm nicht aus. „Her mit dem schönen Leben“ fordert die Poster-Art an einer Wohnzimmer-Wand, und dazu gehört auch, dass das Team per „WoZi-Television“ „andere pushen“ möchte, „die die Zeit sinnvoll genutzt haben“ und in Sendungen etwa das Autokino, das Freibad oder die Tanzschule Bayerle vorstellt oder dass direkt aus dem Wohnzimmer gestreamt wird.

„Schwieriger als früher, ungewohnt und unangenehm mit den Masken“ findet es Kim Melina Häuser, die mit ihrer Freundin Melanie Dautel auf ein Getränk vorbei gekommen ist. Die beiden freuen sich aber darüber, dass alles wieder langsam öffnet und erachten es als wichtig, gerade die kleinen Läden zu unterstützen. An einem anderen Tisch spielt Christian Baliet mit ein paar anderen Karten und „Looping Louie“. „Schade, dass weniger Leute da sind als früher“, sagt er nur und: „Wir vertreiben uns aber schon die Zeit.“

Wenn der Betrieb im Wohnzimmer langsam auf Touren kommt, schließt die benachbarte Café-Bar Tante Emma bereits. Heute war dort nicht viel los, wie der Auszubildende David Jäger berichtet. Drin gibt es kaum Plätze, und draußen muss das Wetter stimmen, was seit Tagen nicht mehr der Fall war. Außerdem merke man, dass das Virus den Leuten in den Knochen steckt. Sie müssten sich an ein normales Leben erst wieder gewöhnen.

Im Raucherlokal Plan B um die Ecke läuft Fußball. Es ist nicht voll, aber gut besucht. Uwe Glassl, der Ehemann der Inhaberin, berichtet, dass man die Zeit der Schließung für Renovierungsarbeiten genutzt hat und so alle Mitarbeiter durchweg beschäftigen konnte. „Es dauert, bis alles wieder anrollt. Die Gäste kommen nur allmählich wieder.“

„Wir müssen uns rantasten und lernen jeden Tag dazu.“ Im Irish Pub gibt Claudia „Claudi“ Hermann, die Ehefrau des Inhabers Athanasios „Thanasi“ Siasiakis, Auskunft. Manchmal sei man auch überfordert, weil immer wieder Neues auf einen zukomme und das Ordnungsamt nicht immer klare Auskunft geben könne. Beispielsweise sei es seit heute maximal zehn Personen erlaubt, uneingeschränkt zusammen zu sein, man habe aber vergessen, diese Regelung in der Coronaverordnung der Landesregierung schriftlich zu fixieren.

„Das Abstandsgefühl nimmt mit dem dritten Bier ab.“

Aber: „Unsere Gäste freuen sich tierisch, wieder kommen zu dürfen. Es geht sehr familiär zu – da muss man manchmal ermahnen und an die Abstandsregeln erinnern.“ Die Gäste seien so ausgehungert nach Normalität, dass es schwierig sei, sie buchstäblich auseinander zu halten. „Und das Abstandsgefühl nimmt halt mit dem dritten Bier ab.“ Keinen einzigen Euro haben die Inhaber übrig für eine Strafe. „Da ist man lieber vorsichtig und fragt nach.“

Das Gästeaufkommen schätzt Claudia Hermann auf maximal 30 Prozent im Vergleich zu früher. Mit der Zwangspause sei man „von 120 auf null“ gefahren, habe die Zeit aber gut genutzt für Renovierungen und zum gründlichsten Putzen. Auch ist das Irish Pub mit seinem beliebten Pub-Quiz online gegangen. „Das reicht bis zum virtuellen Schnäpschen“, lacht Claudi. Gerüchten, das Lokal solle geschlossen werden, erteilt sie eine deutliche Absage. Im Gegenteil freut sie sich auf besseres Wetter, denn „das Ordnungsamt kommt uns in Sachen Außenbewirtung entgegen“. Stammgast Martin Sandau ist Wahlbacknanger und arbeitet im Sondermaschinenbau. Durch Corona hat er mehr Arbeit als sonst, da war es „doof“, dass man abends nicht mehr weggehen konnte. „Nach einem harten Arbeitstag fünf Minuten Blödsinn reden ist enorm wichtig“, findet er, und dass die Kneipengespräche insgesamt politischer geworden sind.

Rundheraus „schlecht“ nennt Dimitrios „Mitsu“ Siasiakis die Situation seines Lokals Zur Uhr. Auch er habe derzeit 70 Prozent Einbußen. Seine Stammgäste an einem Vierertisch mussten sich vor zwei Wochen noch trennen, weil jeweils nur zwei Personen zusammensitzen durften. „Das war übel, aber inzwischen ists wieder besser“, sagt einer von ihnen und die Runde plaudert weiter über Maskenpflicht und Risikogruppen, über verloren gegangenes Zeitgefühl und manch anderes, Hauptthema jedenfalls: Corona.

Letzte Station: Das Restaurant Aura, in dem es zu fortgeschrittener Stunde richtig gemütlich wird. Inhaber Polichronis „Poli“ Kopilis und seine Jungs haben die Zeit genutzt und ihre Terrasse verschönert sowie drinnen renoviert. Blumen und bunte Lichter schmücken den Außenbereich – „ein bisschen Farbe nach den schwarzen Zeiten von Corona“ – das schöne Wetter kann kommen. „Kultur reinholen“ will der Wirt, der jetzt wieder täglich außer sonntags ab 17.30 Uhr geöffnet hat. Und Kultur ergibt sich „bei Poli“ manchmal auch ganz spontan: Ein griechischer Kellner und ein deutscher Gast nehmen die Instrumente von der Wand. Bouzouki und Gitarre erklingen einfach so, ohne Planung, und es wird ein wenig improvisiert. Schön!

„Gäste sind ausgehungert nach Normalität“

Für den Irish-Pub-Besucher Martin Sandau war es ärgerlich, abends nicht mehr ausgehen zu können. Er glaubt, dass die Kneipengespräche durch Corona noch politischer geworden sind.