Kochen daheim statt Feinschmeckerevent

Die Messe Gourmandises d’Ardèche in Annonay fällt dieses Jahr ins Wasser. Die Bürger in Backnangs französischer Partnerstadt trifft der zweite Lockdown nicht so hart wie der erste. Dennoch sind die Beschränkungen viel umfassender als in Deutschland.

Kochen daheim statt Feinschmeckerevent

Nicht lebenswichtige Produkte dürfen derzeit auch in Supermärkten wie dem Super U. in Annonay nicht mehr verkauft werden – dazu gezählt werden unter anderem Bücher, Haushaltsgeräte und Kleider. Grund hierfür ist, dass die kleinen Unternehmen mit diesem Warensortiment keine Chance haben, ihre Produkte zu verkaufen, weil sie komplett geschlossen sind. Fotos: F. Dusser, D. Rivory, Gemeinde Annonay

Von Ingrid Knack

ANNONAY. Am kommenden Wochenende hätten die Bürger in Annonay Gäste aus den Partnerstädten Backnang, dem englischen Chelmsford und dem italienischen Barge zu der 30. Messe Gourmandises d’Ardèche erwartet. Im Coronajahr ist aber auch das Feinschmeckerevent abgesagt worden, bei dem zum Beispiel der Dorf- und Backhausverein Waldrems mit einem Brezel-Back-Stand Stammgast ist. Die Einwohner in der französischen Partnerstadt Backnangs befinden sich gerade wie alle Franzosen in einem zweiten Lockdown. Dieser ist für sie zwar nicht ganz so hart wie der erste, verglichen mit Deutschland sind die Einschränkungen aber gravierender. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hatte den Lockdown am 28. Oktober angekündigt, er gilt seit 30. Oktober und soll bis mindestens 1. Dezember dauern.

Fabienne Dusser und ihre 14-jährige Tochter Lou-Ann aus Annonay versuchen, sich auch in der „Confinement“-Zeit, der Zeit der Beschränkungen, ihre Fröhlichkeit zu bewahren. Halloween sah für sie wegen der Ausgangssperre und den ohnehin gebotenen Gründen der Vernunft anders aus als sonst. Das Geisterfest ausfallen zu lassen, war aber keine Option. Sie feierten einfach zu Hause – inklusive einschlägiger Gesichtsbemalung. Auch wenn niemand sonst dabei war, der nicht zum Haushalt gezählt wird. Die Bilder posteten sie auf Facebook und ließen so ihre Freunde an ihrer charmanten Aktion teilhaben.

Mutter und Tochter sind froh, dass die Schulen im Gegensatz zu der Zeit im Frühjahr nicht komplett dichtgemacht haben. Auch in den Unternehmen wird gearbeitet, „aber Telearbeit ist nach Möglichkeit obligatorisch“, sagt Fabienne Dusser. Die Kommunikationsbeauftragte im Safaripark in Peaugres war aber gezwungen, mehrere Gänge herunterzuschalten: „Der Park schloss am Abend des 29. Oktober. Plötzlich arbeite ich zu Hause oder ruhe mich aus – ich hatte viele Tage Zeit, mich zu erholen“, meint sie. „Um Lohnverluste zu vermeiden, habe ich momentan Telearbeitszeiten und zudem Urlaubstage genommen. Aber wenn wir im Dezember immer noch ,eingesperrt‘ sind, denke ich, dass ich in Teilarbeitslosigkeit gehen muss.“ Fabienne Dusser spricht von 84 Prozent des Nettogehalts (70 Prozent des Bruttogehalts), das Kurzarbeiter bekommen können.

Hubert Besset, der schon lange in Backnang lebt und aus Annonay stammt, erfährt von seinen in der Ardèche-Stadt lebenden Verwandten immer sofort, was zurzeit in Backnangs französischer Partnerstadt so alles passiert. Im September beispielsweise erhielt jede Familie aus Annonay von der Stadt, deren oberster Verwalter seit Sommer der Umwelttechniker Simon Plénet aus dem Lager der diversen Linken ist, einen Gutschein über 20 Euro, um in den kleinen Läden in Annonay einzukaufen, weiß er. Die Geschäftsleute, die an der Aktion teilnehmen wollten, konnten sich in eine Liste eintragen, Anfang September waren es rund 120. Maximal 150000 Euro wurden für die Aktion bereitgestellt, die den kleinen Geschäften nach dem ersten Lockdown ein wenig weiterhelfen sollte.

Derzeit gebe es keine weiteren Hilfen für den Handel, so Dusser, „aber die Rathausverwaltung überlegt, wie man ihm helfen kann“. Der Händlerverband Annonay Plus arbeite derweil an der Website „Click and Collect“. Aber tatsächlich hätten die meisten Händler bereits eigene Initiativen gestartet. Sie böten ihre Produkte in sozialen Netzwerken an, und „Händler liefern aus oder vereinbaren einen Termin vor ihrem Geschäft“.

Wer das Haus verlässt, muss vorher eine Ausgangsbescheinigung (Attestation) ausfüllen und stets bei sich tragen. Ob er nun zum Einkaufen geht oder auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule ist. Und es gibt wie schon beim ersten Lockdown eine weitere Begrenzung im wahrsten Sinne des Wortes. Wer sich mit Attest nach draußen begibt, ob es nun zum Sporttreiben oder zum Spazierengehen ist, darf sich nur für eine Stunde im Umkreis von einem Kilometer von seiner Wohnung entfernen. Wird man ohne die Bescheinigung angetroffen, kostet dies 135 Euro. Von Mal zu Mal wird es teurer. Wer dreimal in einem Monat ohne Attest ertappt werde, dem drohten bis zu sechs Monaten Gefängnis und 3750 Euro Geldbuße, hat Besset erfahren.

Seniorenheimbewohner dürfen nicht besucht werden.

Apropos einkaufen gehen: Offen haben etwa Apotheken, Baumärkte und Lebensmittelläden. Geschlossen sind alle Läden beziehungsweise Abteilungen in Supermärkten, in denen es Artikel wie Parfum, Kleider, Schuhe oder Blumen gibt. Auch die Friseurläden müssen Pause machen. Genauso wie die Cafés, Bars und Restaurants – erlaubt sind nur Lieferdienste. Kirchen und Moscheen bleiben vorerst leer. „Alle Versammlungen, auch Familienfeiern, sind verboten, Besuche in den Altenheimen sind nicht erlaubt. Menschen sterben, ohne dass sich die Kinder ein letztes Mal von ihnen verabschieden können. Es ist tragisch“, sagt Fabienne Dusser. Weiter lässt sie wissen: „Bei uns ist das Tragen einer Maske überall obligatorisch. Seit dem 2. November müssen Kinder ab sechs Jahren in der Schule eine Maske tragen. Vorher waren es nur College-Studenten ab elf Jahren. Vom Rathaus bekamen Grundschüler Masken.“ Und sie fügt an: „Es ist sogar ratsam, Masken zu Hause zu tragen.“ Ihr Partner geht zur Arbeit, ihre Tochter aufs College – Kontakte außerhalb der Familie sind nicht zu vermeiden. Wirklich aktuell würde der Rat für die Dussers aber erst, wenn sich jemand von ihnen in Quarantäne begeben müsste.

Positiv denken ist die Devise von Fabienne Dusser. Allein der Gedanke an die Brezeln aus Backnang, die es dann hoffentlich nächstes Jahr im November bei der Messe Gourmandises d’Ardèche wieder gibt, lassen ihr deutsch-französisches Herz schon jetzt höher schlagen.

Kochen daheim statt Feinschmeckerevent

Die 14-jährige Lou-Ann und ihre Mutter Fabienne Dusser feiern zu Hause Halloween. Nur Fabiennes Partner gehört sozusagen noch zum Haushalt. Die kleine Familie versucht, sich auch in Coronazeiten kleine Oasen der Fröhlichkeit zu schaffen.

Kochen daheim statt Feinschmeckerevent

Lenny, der sechsjährige Neffe von Fabienne Dusser, muss seit Kurzem auch in der Schule eine Maske tragen.

Kochen daheim statt Feinschmeckerevent

Annonays neuer Bürgermeister Simon Plénet. Der erste Wahlgang war am 15. März, der zweite wurde wegen Corona auf den 28. Juni verschoben. Auch Plénets Wahl wurde zunächst von einem seiner Kontrahenten, dem Listenführer der konservativen Gruppe, angefochten. Nur 37 Stimmen trennten seine Liste von der des Zweitplatzierten Marc-Antoine Quenette. Amerika lässt grüßen.