Chefarzt Professor Steffen Kunsch hat ein Team von über 50 spezialisierten Mitarbeitern hinter sich. Fotos: A. Becher
Von Florian Muhl
WINNENDEN. China hat noch immer die Nase vorn. In einer Rekordbauzeit war in Wuhan das Huoshenshan-Krankenhaus aus dem Boden gestampft worden. In nur acht Tagen Bauzeit – vom 23. Januar bis zum 2. Februar 2020. Nur einen Tag später ging es in Betrieb. Da kommt der Neubau der Rems-Murr-Klinik am Standort nicht ganz ran. Trotzdem sind die Macher und Verantwortlichen mächtig stolz auf das Tempo, mit der die Infektionsstation in die Tat umgesetzt wurde. Die reine Bauzeit lag bei drei Monaten, von der ersten Idee bis zum fast fertigen Gebäude vergingen nur sechs Monate. „Das ist ein Hammer“, sagte gestern der Geschäftsführer der Rems-Murr-Kliniken, Marc Nickel, beim Pressetermin, „ein echter Kracher“. Die Baukosten liegen bei insgesamt sechs Millionen Euro.
Die neue Infektionsstation wurde aus 32 einzelnen Modulen fertiggestellt. Der so entstandene Gebäudekomplex hat eine Gesamtlänge von rund 55 Metern und eine Höhe von 7,50 Metern. Die Station umfasst eine Bruttogeschossfläche von 2050 Quadratmetern. Dort wurden auf zwei Etagen 18 Zweibettzimmer zur Behandlung von bis zu 72 Patienten untergebracht. Bei einer Einzelisolierung würden dementsprechend 36 Betten zu Verfügung stehen. Derzeit werden noch Restarbeiten erledigt und die Zimmer möbliert. „Am 8. Februar wird diese Infektionsstation in Betrieb gehen“, kündigte Nickel gestern an.
„Mit der Station wird eine räumliche Trennung infizierter Patienten vom Hauptgebäude möglich.“
Der große Vorteil der Station: Der Modulbau steht für sich isoliert auf dem Klinikareal. Er wurde auf der nördlichen Seite des Krankenhauses an das bestehende Gebäude angedockt, und zwar an der Stelle, wo früher ein Notausgang war. „Mit der neuen Infektionsstation wird eine konsequente räumliche Trennung infizierter Patienten vom Hauptgebäude möglich“, so Nickel. Verdachtsfälle, als Personen, die eventuell an Covid-19 erkrankt sind, müssen jetzt nicht mehr durch die Klinik gehen beziehungsweise gebracht werden. „Die gehen jetzt auf direktem Weg von der Notaufnahme in die Infektionsstation“, erläuterte der Klinik-Geschäftsführer, „so haben wir das Risiko minimiert“. Mit der direkten Nähe zur Interdisziplinären Notaufnahme (Ina) werden Aufnahmeprozess beschleunigt und die Wege zur Diagnostik verkürzt. Die Verdachtsfälle kommen zunächst ins Erdgeschoss und die Behandlungsfälle ins OG.
„Das Thema Sicherheit wird bei uns groß geschrieben“, sagte Nickel. Die Patienten wie auch das Personal in der Infektionsstation seien abgetrennt von restlichen Klinikbereich. Durch die Fokussierung von speziellen ärztlich-pflegerischen Teams auf der Isolierstation und der klaren Trennung von Kollegen aus anderen Stationen werde das Infektionsrisiko so gering wie möglich gehalten.
Ein weiteres Thema für Nickel ist die Spezialisierung. In der Station arbeitet ein Team, das sich auf Infektionskrankheiten spezialisiert hat. Geleitet werden die 50 bis 60 Mitarbeiter vom medizinischen Leiter, Professor Steffen Kunsch, Chefarzt Gastroenterologie, Innere Medizin und Geriatrie am Rems-Murr-Klinikum Winnenden. „Glücklicherweise haben wir Sie neuerdings an Bord, und Sie sind auch noch Infektiologe“, begrüßte Nickel den neuen Chefarzt. „Ich war extrem begeistert, als ich mitbekommen habe, was für eine Organisation bezüglich der Covid-Versorgung hier geplant war, dass es gelungen ist, in dieser phänomenal kurzen Zeit ein Behandlungskomplex zu realisieren, der nicht aussieht, wie ein Behelfskonstrukt, sondern eine ganz hervorragende Infrastruktur vorhalten kann“, sagte Kunsch, der von der Uni Göttingen komme, wo er schon in der ersten Welle für die nicht intensivmedizinische Personalorganisation zuständig gewesen sei. Hier in Winnenden sei jetzt die Möglichkeit gegeben, die Covid-Patienten in einer sehr sicheren Umgebung von einem spezialisiertem Team versorgen zu können. Der Abstand zu anderen Einheiten in der Klinik sei gegeben.
Keiner wisse wie wir in Deutschland bezüglich der Pandemie in ein oder zwei oder auch vier Monaten unterwegs sind, so der Chefarzt. „Der riesen Vorteil für uns ist, dass wir hier einen Raum haben wo wir uns an den Fortgang der Infektionslage adaptieren können“, so Kunsch. Man könne sehr zielgerichtet auf die Infektionslage reagieren. Der Infektiologe machte auch deutlich, dass in der neuen Station keine Intensivbetten in der Vorhaltung sind. Die Intensivversorgung sei weiterhin auf der Standort-Intensivtation vorgesehen.
Zur aktuellen Corona-Situation sagte Nickel, dass sich die Zahl der Covid-Patienten von 90 an Weihnachten auf jetzt 30 standortübergreifend zurückentwickelt hat. „Wir haben eine einstellige Zahl auf der Intensivstation.“
Ohne die vorbereitenden Arbeit wie der Bau des Fundaments wurde der Modulbau sogar in nur zwei Monaten erstellt. „Ein logistisches Glanzstück“, wie Nickel betonte. Winnenden Oberbürgermeister Hartmut Holzwarth erinnerte sich: „Ende August haben wir uns hier getroffen und haben die Bürger, die Anwohner öffentlich informiert. Das war ein wichtiger, erster Schritt.“ Landrat Richard Sigel lobte das Projekt als „grandiose Teamarbeit“.
„Wir hoffen ja alle auf die Impfung.“, sagte Sigel. „Aber nachdem das so schleppend anläuft, bin ich davon überzeugt, dass wir diese Station einfach noch brauchen werden“, so der Landrat weiter. Und Sigel fügte noch an: „leider noch brauchen werden“.
Klinik-Geschäftsführer Marc Nickel (links) und Landrat Richard Sigel lobten die rasche Bauzeit.
Erstellt wurde die Infektionsstation am Rems-Murr-Klinikum Winnenden von der Cadolto Modulbau GmbH mit Sitz in Cadolzburg bei Nürnberg.
32 Transportfahrzeuge rollten im November beladen insgesamt acht Nächte lang aus Landkreis Fürth nach Winnenden, um die Module anzuliefern.
Neben des schnellen Aufbaus ist ein weiterer Vorteil der Modulbauweise, dass man die Gebäude relativ leicht wieder auseinanderbauen beziehungsweise versetzen kann. Während 70 Prozent der über 750 von Cadolto errichteten Gebäude nach eigenen Angaben heute noch an ihrem ersten Standort stehen, werden 30 Prozent an anderer Stelle erneut genutzt.
Die Winnender Infektionsstation wurde aus 32 Modulen zusammengefügt. Die kleinsten sind mehr als 5 Meter lang, rund 4 Meter breit und fast 4 Meter hoch, die größten mehr als 17 Meter lang; das leichteste wiegt 10, das schwerste fast 40 Tonnen.
Jeder Einzelne der 32 Transporter, die nach Winnenden rollten, brachte – Fahrzeug- und Ladegewicht zusammengezählt – 50 bis 65 Tonnen auf die Waage. Durch den Rems-Murr-Kreis sind also wohl fast 1800 Tonnen gerollt. Das entspricht einer Herde von 350 afrikanischen Elefanten.
Cadolto ist auf solche Projekte spezialisiert. Erst vor wenigen Wochen hat das Unternehmen neue Covid-19-Intensivstationen am Universitätsklinikum Düsseldorf schlüsselfertig übergeben. Derzeit in Arbeit: ein Anbau an der Universitätsmedizin Göttingen. Vom Klinikum Fürth bis zum Kaiser-Franz-Josef-Spital Wien – überall trifft man auf Cadolto-Module.
Noch spektakulärer: 2019 stand, nach einem Jahr Bauzeit, an , der legendären Charité in Berlin, ein Modulbau mit rund 9000 Quadratmetern Nutzfläche und 360 Betten.