Neustart bewusst auf kleiner Flamme

Die Skiabteilung der TSG Backnang darf Zimmer und Betten im klubeigenen Gerhard-Moll-Haus im Oberallgäu wieder vermieten, fährt den Betrieb aber trotzdem nur schrittweise hoch. Die Umsetzung der in Bayern gültigen Coronaregeln gestaltet sich mühsam.

Neustart bewusst auf kleiner Flamme

Tobias Trunzer, Dirk Veeser, Raili Werder, Gerhard Werder, Tillmann Schad und Michael Kahle (von links) machten sich auf den Weg ins Oberallgäu, um in der TSG-Skihütte die geforderten Seifen- und Desinfektionsspender sowie die Einmal-Papierhandtücher anzubringen. Foto: TSG-Skiabteilung

Von Steffen Grün

„Wir werden wie ein Fünfsternehotel behandelt“, sagt Dirk Veeser und will diese Feststellung allenfalls in Teilen als Klage verstanden wissen. Er könne verstehen, „dass wir denselben Hygienebedingungen unterliegen“, unterstreicht der stellvertretende Abteilungsleiter der TSG-Skifahrer, „aber die Vorgaben sind für ein Hotel natürlich leichter umzusetzen“. Das hat damit zu tun, dass es sich bei der Skihütte in Wolfis, einem Weiler der 4500-Seelen-Gemeinde Rettenberg, um ein Selbstversorgerhaus mit Gemeinschaftsküche, Etagenduschen und Etagentoiletten handelt, das zudem auf ehrenamtlicher Basis betrieben wird. Die Rezeption, die sich um die Vermietung der 47 Betten in den Einzel- und Mehrbettzimmern auf insgesamt drei Etagen kümmert, sitzt nicht vor Ort, sondern im 222 Kilometer entfernten Backnang.

In der Murr-Metropole hat Hüttenvorstand Veeser die tiefen Spuren berechnet, welche die Schließung des Gerhard-Moll- Hauses seit dem Beginn der Coronakrise in der Abteilungsbilanz hinterlassen hat. „Wir mussten ab 15. März alle Buchungen stornieren, das dürfte uns ungefähr 1000 Übernachtungen gekostet haben“, erklärt der 47-Jährige. „Der finanzielle Schaden beläuft sich bislang auf etwa 20000 Euro.“ Einkalkuliert sind neben den entgangenen Einnahmen die fortlaufenden Kosten, zum Beispiel für den Müll, die Heizung und die auf 450-Euro-Basis beschäftigte Putzfrau. Zudem wurde die Hoffnung, von Bundes- oder Landeshilfen zu profitieren, im Keim erstickt. „Wir fallen durch alle Fördertöpfe durch, weil es eine Mischung aus einem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb und einem Vereinshaus ist“, betont Veeser. „Wir mussten alles aus den eigenen Rücklagen stemmen.“ Weil die schon im vergangenen Jahr begonnene und dieser Tage vollendete Dachsanierung mit weiteren 35000 Euro zu Buche schlägt, hätten die durch die Lappen gegangenen Einnahmen noch umso mehr gutgetan, doch Backnangs Bretterfans richten den Blick nach vorne.

Eine sechsköpfige Truppe machte sich vor zwei Wochen auf den Weg nach Wolfis, um die in Bayern aktuell gültigen und von Baden-Württemberg abweichenden Hygieneregeln umzusetzen und damit die Basis für den Neustart zu schaffen. Veeser und seine Kollegen montierten berührungslose Desinfektionsspender, ersetzten die Stoff- durch Papierhandtücher sowie die Handseifen durch Seifenspender und brachten einen zusätzlichen Kühlschrank in Position. Damit ist es jedoch längst nicht getan, denn der Teufel steckt im Detail. „Eine zehnköpfige Gruppe kann sich frei bewegen, aber ab der elften Person sind es zwei Gruppen“, erklärt der Hüttenvorstand der TSG-Skiabteilung. Und die dürfen sich so gut wie nicht in die Quere kommen, müssen separate Kühlschränke und Sanitärräume benutzen und darüber hinaus die Maskenpflicht beachten, sobald sie zum Beispiel im Treppenhaus unterwegs sind.

„Unser Hauptproblem ist aber die Gemeinschaftsküche“, verdeutlicht Dirk Veeser: Sobald eine Reisegruppe gefrühstückt oder zu Abend gegessen hat, muss die Reinigungskraft anrücken, ehe die nächsten Hungrigen etwas zaubern dürfen. Immerhin habe er dem Landratsamt in Kempten abgerungen, „dass Gruppe zwei die fertige Spülmaschine von Gruppe eins ausräumen darf“, freut sich der TSG-Funktionär über ein kleines Erfolgserlebnis. Trotzdem erfolgt der Neustart an diesem Wochenende bewusst auf kleiner Flamme, fürs Erste wird es wahrscheinlich bei zehn Personen bleiben. Theoretisch wären bei jeweils vier zur Verfügung stehenden Duschen, Toiletten und Kühlschränken zwar bereits bis zu 40 Gäste machbar, „aber dann haben wir die Küchenproblematik in verschärfter Form, das klappt in der Praxis nicht“.

Stattdessen spekuliert Veeser auf weitere Lockerungen vor den Ferien, „damit die Verluste nicht noch größer werden“. Das würde auch die Arbeit der Rezeption erleichtern, die derzeit als Sündenbock herhält, wenn größere Gruppen vor Corona gebucht haben und jetzt nicht dürfen, wie sie wollen. „Wir können nicht alle Wünsche erfüllen und jeden zufriedenstellen“, wirbt der stellvertretende Abteilungsleiter um Verständnis und ist selbst nicht glücklich damit. Er würde lieber heute als morgen zur alten Normalität zurückkehren, muss mit der Unsicherheit aber weiter leben. „Wir können nicht einschätzen, wie sich die Buchungslage entwickelt und wie die nächste Wintersaison aussieht“, unterstreicht Veeser und kommt zum Schluss: „Wir haben keine Planungssicherheit.“ Nur einen Neustart auf Sparflamme.

Weniger Regeln, mehr Eigenverantwortung: Vorarlbergs Vorgaben für das CJE-Ferienheim in Fontanella

„Uns dürfte das schon einen fünfstelligen Umsatz gekostet haben“, sagt Marcus Kießling vom Club Junges Europa (CJE) zur rund viermonatigen Schließung des Ferienheims in Fontanella im österreichischen Bundesland Vorarlberg. Wie in Deutschland kam es auch dort Mitte März zum weitgehenden Shutdown, „eigentlich wären wir bis zum Ende der Osterferien voll belegt gewesen“.

Seit dem gestrigen Freitag beherbergt das Selbstversorgerhaus, in dem sich laut Kießling nahezu ausschließlich deutsche Gäste einmieten, wieder die erste Gruppe. Eine Abordnung des im Backnanger Stadtteil Steinbach ansässigen Vereins hatte am vergangenen Wochenende mit einer Grundreinigung, kleineren Reparaturen sowie der Anbringung von Utensilien wie Desinfektions- und Papierhandtuchspendern die Voraussetzungen für den Neustart geschaffen.

Im Vergleich zur TSG-Skiabteilung, die sich in Wolfis an Bayerns Coronaregeln zu halten hat, geht es in Vorarlberg etwas lockerer zu und die Eigenverantwortung der Reisenden steht im Vordergrund. „Eine Gästegruppe, die zusammen an- und abreist, wird behandelt wie Personen aus einem Haushalt“, erklärt Kießling – und zwar unabhängig von ihrer Größe. In aller Regel sei ohnehin nur eine Reisegruppe vor Ort. 33 Betten in jeweils einem 2-, 3- und 4- sowie in vier 6-Bett-Zimmern stehen zur Verfügung, doch der Leiter des CJE-Arbeitskreises Fontanella betont: „Wir empfehlen, jedes Zimmer nur mit einer Familie oder einem Haushalt zu belegen. Das ist in unserem Eigeninteresse, da wir das Risiko so gering wie möglich halten wollen.“

Diesem Zweck dienen einige weitere Regelungen. Eine Coronaerklärung, mit der die Gäste zum Beispiel bestätigen, vor der Anreise keinerlei Symptome aufgewiesen zu haben, und mit der sie sich verpflichten, bestimmte Punkte zu beachten, ist vorab an den jeweiligen Reiseleiter zu schicken. Treten typische Symptome vor Ort auf, ist die betroffene Person sofort zu isolieren und die weitere Vorgehensweise auf den Hinweisschildern zu befolgen. Sollte später ein positiver Test vorliegen, ist neben den offiziellen Stellen auch der CJE zu informieren. Die Abreise muss nach der üblichen Endreinigung und der zusätzlichen Desinfektion des Ferienheims bis spätestens 13 Uhr erfolgen. Die Anreise ist frühestens ab 17 Uhr vorgesehen, damit sich die verschiedenen Gruppen nicht über den Weg laufen und ein Leerstand von mindestens vier Stunden gewährleistet ist. Fassbier wird während der Coronazeit nicht ausgeschenkt – für die Kennzeichnung der Gläser und Flaschen mit dem jeweiligen Namen liegen Filzstifte bereit, um versehentliche Verwechslungen zu vermeiden.

Die spannende Frage für Kießling ist, wie sich die Situation weiterentwickelt. „Wir sind im Normalfall von Weihnachten bis Ostern ausgebucht“, sagt der ehrenamtliche Funktionär und hofft, dass es nicht wieder zu deutlich steigenden Fallzahlen kommt.