„Ohne elterliche Hilfe geht es nicht“

Nach über zwei Monaten hat sich Homeschooling in manchen Familien eingebürgert wie das Zähneputzen. Wie es mit dem Unterricht zu Hause klappt, hängt von vielen Faktoren ab. Ein Gesamtbild der Situation aus Elternsicht zu zeichnen, ist schwierig.

„Ohne elterliche Hilfe geht es nicht“

Für Daniela Klepsch und ihre Töchter Nele und Mila ist das gemeinsame Lernen zu Hause längst zur Gewohnheit geworden. Der Unterricht mit Mama beginnt immer um halb neun. Foto: A. Becher

Von Nicola Scharpf

BACKNANG. „Ich bin ein Positivbeispiel“, freut sich Daniela Klepsch. Sie ist Mutter zweier Grundschülerinnen, die sie seit der coronabedingten Schulschließung vor über zwei Monaten von zu Hause aus unterrichtet. Die Große hat seit 18. Mai nun auch wieder Präsenzunterricht. „Ich habe sehr verständnisvolle Kinder“, sagt Daniela Klepsch. Seither hat an den Wochentagen für die Drittklässlerin und die Viertklässlerin, gemeinsam am Tisch sitzend, um halb neun der Heimunterricht begonnen. „Das hat sich eingebürgert wie das Zähneputzen. Daran wird gar nicht gezweifelt.“ Die Kinder bilden zusammen eine Art Klassengemeinschaft. „Da habe ich super Glück.“ Ist die Mama daheim, setzt sie sich mit ihren Töchtern an den Tisch. An den beiden Vormittagen, an denen sie arbeitet, erledigen die Mädchen ihre Aufgaben selbstständig und Daniela Klepsch kontrolliert sie am Nachmittag. Ihre eine Tochter sei ein Selbstläufer, bei der ein Mangel an Motivation kein Thema sei. Die andere ziehe mit. Darüber hinaus hätten ihre beiden Mädchen, die die Backnanger Mörikeschule besuchen, einen guten Schnitt, was die Lehrer angeht. Und über sich selbst sagt Daniela Klepsch: „Ich bin eine Mutter, die engagiert ist, Zeit hat und die deutsche Sprache kann.“ Insgesamt also beste Voraussetzungen für ein gelingendes Homeschooling.

Zwischen Eltern und Kindern fehlt die Distanz. Das macht es schwerer.

Das Beispiel zeigt aber auch, dass es von vielen Faktoren abhängt, wie gut der Unterricht daheim klappt: Der Lernwille und die Motivation der Kinder spielen mit rein, das Engagement und die Methoden der Lehrer, die Kompetenz und Hilfestellung, die Eltern geben können, die heimische Ausstattung mit Computer, Drucker und Internet. Ein einheitliches Stimmungsbild zu zeichnen, wie Eltern mit der seit vielen Wochen andauernden Beschulung ihrer Kinder zu Hause zurechtkommen, ist schwierig.

„Ich würde mir nicht erlauben, ein Gesamtbild abzugeben“, sagt Jessica Hitzig, Vorsitzende des Elternbeirats an der Backnanger Schillerschule und Mutter einer Sechstklässlerin sowie von Drittklässler-Zwillingen. Sie habe bislang wenig Rückmeldung seitens der Eltern bekommen. Hitzig vermutet, dass das daran liegt, dass die Familien „voll in ihrem Ding drinnen sind und gucken, wie sie den Tag über die Runden bringen“. Hitzig zögert, keine Nachrichten von Eltern als gute Nachrichten zu werten. „Man weiß nicht, was die Leute beschäftigt.“ Viel sei abhängig davon, welcher Lehrer welche Klasse betreue. „Es tut aber jeder, was er kann.“ Unterrichtsmaterial werde grundsätzlich digital zugeschickt. An einer Schule, die viele Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund besuchen, sei die Kommunikation mitunter schwierig, wenn die Eltern nicht alles verstehen. Der Knackpunkt sei aber auch, dass der Umgang zwischen Lehrern und Kindern ein anderer sei als zwischen Eltern und Kindern. „Es fehlt die Distanz.“ Das mache es Eltern schwerer.

Für Katarina Habek Filipovic ist es nicht ungewohnt, sich in den schulischen Angelegenheiten ihrer Kinder stark zu engagieren. Die Mutter dreier Söhne – 6. Klasse, 2. Klasse und Kindergartenkind im Vorschulalter – ist mit Mann und Kindern vor knapp zwei Jahren von Kroatien nach Deutschland gezogen. In Kroatien seien die Aufgabenstellungen in der Schule für die Kinder viel schwerer zu verstehen als in Deutschland. Hilfe durch die Eltern ist dort notwendig, sagt die ausgebildete Grundschullehrerin, die sich dank Volkshochschulkursen Deutschkenntnisse auf B-2-Niveau angeeignet hat. Seit ihre beiden älteren Söhne die Conrad-Weiser-Schule in Aspach besuchen, hilft sie ihnen – mal auf Kroatisch, mal auf Deutsch. Der Zweitklässler lernt beispielsweise momentan das kleine Einmaleins. Die Mama fragt es ausschließlich auf Deutsch ab, um Gedankenschritte zu sparen – damit der Sohn im Kopf nicht die kroatischen Zahlen hat und das Ergebnis anschließend noch ins Deutsche übersetzen muss. Texte in Geschichte oder Erdkunde hat sie ihrem Sechstklässler dagegen erst ins Kroatische übersetzt, um sie zu verstehen, dann auf Kroatisch erklärt und den Lerninhalt wieder ins Deutsche zurückübertragen. „Das kostet viel Zeit“, sagt sie.

In den vergangenen zwei Jahren haben ihre Söhne die Sprache so gut gelernt, dass sie während der Phase des Homeschoolings selbstständig in ihren Zimmern lernen können und zu ihrer Mutter, die sich währenddessen mit ihrem Jüngsten beschäftigt, nur bei Verständnisfragen kommen. Neuen Schulstoff bekommen die Jungs per E-Mail zum Selbstausdrucken oder es gibt Videokonferenzen oder digitale Treffen mit der Lehrerin in Kleingruppen via WhatsApp. Die Kommunikation mit den Lehrern klappt gut, findet Filipovic. Auch schon vor der Coronazeit hat sie sie als hilfsbereit und verständnisvoll erlebt.

Auch bei Jugendlichen helfen die Eltern mit.

Für Familie Weste ist klar: „Ohne elterliche Hilfe geht es nicht“, sagt Melanie Weste. Ihre Söhne sind in der 8. und 10. Klasse der Backnanger Schickhardt-Realschule und verbringen am Tag mindestens vier Stunden mit Unterricht und Lernen. Der Ältere steht unmittelbar vor den Abschlussprüfungen und gehört zu jenen Schülern, die als erste wieder Präsenzunterricht hatten. „Jugendliche sind keine Studenten in puncto selbstständiges Erarbeiten von Inhalten“, findet Melanie Weste. Sie sieht es als ihre Pflicht, ihren Kindern zu helfen: Sprachen sind Mamasache, Naturwissenschaften sind Papasache. Als Mutter habe sie auch ein Auge auf Abgabefristen, habe Zugriff auf den Schulmanager ihres jüngeren Sohnes. Eltern und Söhne Weste sind sich einig: Homeschooling steht und fällt einerseits mit dem Engagement der Lehrer. Es gebe durchaus mal persönlichen Nachhilfeunterricht am Telefon. Unterricht in den Nebenfächern habe anfangs allerdings kaum stattgefunden und insgesamt würden die Lehrer kaum erledigte Arbeiten zurückfordern oder korrigiert zurückgeben. Andererseits sei „die Digitalisierung an Backnang vorbeigegangen“, moniert Melanie Weste einen Punkt, an dem Homeschooling krankt. Für den Online-Unterricht nutzt die Klasse des Achtklässlers beispielsweise das dritte Portal innerhalb von sieben Wochen.

Dass Homeschooling zum Problem wird, weil die Digitalisierung nicht fortgeschritten genug ist, sieht auch Anja Heinisch. Die staatlichen Schulen würden privaten Schulen, die eine ganz andere Ausstattung mit Kapital hätten, arg hinterherhängen. Aber nicht nur die Schulen hätten da was verschlafen, findet die Vorsitzende des Elternbeirats für das Gymnasium am Bildungszentrum Weissacher Tal. Es gebe auch Schüler, die ab vom Schuss wohnen, wo gar keine Glasfaserleitungen für schnelles Internet verfügbar sind. „Wir wollen keinen aufgrund seiner Voraussetzungen benachteiligen“, so Heinisch. Als Elternbeiratsvorsitzende habe sie Eltern und Elternvertreter in den zurückliegenden Wochen immer wieder um Rückmeldung gebeten, ob Verbesserungsbedarf besteht. Tenor sei, dass sich die Eltern gut informiert fühlen durch die Schule. Die Schulleitung erfahre im Moment viel Wertschätzung. „Momentan läuft es bei uns sehr gut. Die Grundstimmung ist eine gute“, spricht sie für das BizeGymnasium.

„Ohne elterliche Hilfe geht es nicht“

Umfrage des Backnanger Gesamtelternbeirats: Manche Kinder drohen den Anschluss zu verlieren

Der Backnanger Gesamtelternbeirat, dem 12 Schulstandorte mit rund 4500 Schülern angeschlossen sind, hat seit Beginn der Schulschließungen zwei Umfragen bei den Eltern gestartet, um eine allgemeine Beurteilung über den Umgang mit dem Homeschooling zu erhalten. Hier eine Zusammenfassung:

Grundsätzlich zeigen die Eltern Verständnis für die aktuelle Situation, so die Vorsitzende des Gesamtelternbeirats, Silke Ade-Valente. Die Rückmeldungen der Eltern ordnet sie als vernünftig, konstruktiv und neutral-kritisch ein. Jedoch werde den Eltern derzeit viel abverlangt und die Situation halte schon lange an. Ade-Valente: „Perspektive ist unheimlich wichtig.“ Die Eltern seien auch verunsichert, da die Pandemie ständig neu bewertet werde und es keine Sicherheit gebe, ob die Kinder nach den Pfingstferien wieder alle zur Schule können und wie das tatsächlich umgesetzt werden kann.

Zu Beginn der Schulschließungen hätten viele Eltern selbst die Voraussetzungen für das Lernen zu Hause erst schaffen müssen. Vielen sei nicht bekannt gewesen, dass sie sich an die Schule wenden können, um mobile Endgeräte zu leihen, wenn diese nicht im Haushalt der Familien vorhanden sind.

Die Umsetzung des Homeschooling handhaben die Lehrer sehr unterschiedlich. An den weiterführenden Schulen gehe fast alles online. Die Grundschüler hingegen erhielten Lernpakete in Papierform von den Schulen oder Lernmaterial per E-Mail, das dann zu Hause ausgedruckt werden müsse. Ein Lob gebe es von den Eltern für die Schulleitungen und die vielen engagierten Lehrer, die regelmäßig mit den Schülern und deren Eltern in Kontakt sind, die sich große Mühe geben, Arbeitsmaterialien zu stellen, online wie auch telefonisch Fragen beantworten oder online Sprechstunden und Videokonferenzen halten, die regelmäßig Aufgaben kontrollieren und die Schüler begleiten. Es habe aber auch Berichte der Eltern von einzelnen Lehrkräften gegeben, die wenig bis kaum mit ihren Schülern in Kontakt seien.

Die Eltern berichten, dass die Eigenmotivation für die Schüler eine große Herausforderung sei, da die meisten auf diese Form des Lernens nicht vorbereitet gewesen seien. Es falle den Kindern schwer, zu erkennen, dass sie ausschließlich für sich selbst lernen.

Bei manchen Klassenstufen und Unterrichtsfächern sei die Lernstandskontrolle kaum machbar. Die Schüler seien untereinander gut vernetzt und hätten zum Lernen alle einen PC mit Internetzugang. So sei es leicht, Lösungen zu finden, ohne die Aufgabe selbst erarbeitet und verstanden zu haben. Bei den Grundschülern hänge das Lernverhalten viel vom Engagement der Eltern und deren Umgang mit den Lernaufgaben ab. Hier sei die Beurteilung des Lernstands für die Lehrer ebenfalls schwierig. Familien, in denen die Eltern nicht das deutsche Schulsystem durchlaufen haben oder die Sprache nicht gut beherrschen, könnten möglicherweise ihre Kinder weniger unterstützen.

Den Schülern fehlen stark die sozialen Kontakte zu den Schulkameraden. „Vor allem bei jüngeren Kindern oder Einzelkindern gab es deshalb schon viele Tränen, wie mir Eltern berichtet haben“, sagt Ade-Valente.

Den Eltern würden langsam Kraft und Geduld ausgehen, schildert die Vorsitzende des Gesamtelternbeirats. Besonders Familien mit mehreren jüngeren Kindern könnten das Homeschooling zeitlich kaum noch bewältigen.

Abschließend stelle sich die große Frage, wie die Kinder nach dem Homeschooling abgeholt und schnellstmöglich auf ein angemessenes Lernniveau gebracht werden. Alle Schüler zu versetzen, könne bei manchen dazu führen, dass sie noch weiter abgehängt würden und den Mut verlieren. Es bedürfe eines guten Konzepts mit individueller Lernstruktur und Lernunterstützung.