Die Lieferung an Coronaimpfstoff, die die hiesigen Hausärzte erhalten, kann die Nachfrage bei Weitem nicht befriedigen. Die Mediziner gehen deshalb weitestgehend nach der offiziellen Priorisierung vor. Archivfoto: J. Fiedler
Von Kornelius Fritz und Lorena Greppo
BACKNANG/MURRHARDT. „Sie haben Glück, dass Sie durchgekommen sind“, sagt Désirée Breßmer und lacht. In ihrer Hausarztpraxis in Großaspach standen die Telefone gestern kaum still. Die meisten Anrufer hatten dieselbe Frage: Wann bekomme ich einen Impftermin? Die Antwort fiel für viele enttäuschend aus. „Wir haben momentan fast keine Möglichkeit, neue Erstimpfungen anzubieten“, sagt Breßmer. Nach Ostern hatte die Hausärztin, die zusammen mit ihrer Kollegin Petra Kotzan eine Gemeinschaftspraxis führt, die ersten Coronaimpfungen mit dem Biontech-Impfstoff durchgeführt. Das ist jetzt sechs Wochen her, und so steht für die ersten Patienten bereits die Zweitimpfung an. Und da die Praxis zurzeit nur 48 Impfdosen pro Woche erhält, bleibt nicht mehr viel übrig. „Wir müssen die Patienten deshalb bitten, sich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu melden“, erklärt Désirée Breßmer, auch wenn sie die Enttäuschung darüber gut verstehen kann: „Wir wünschen uns ja auch, dass alle so schnell wie möglich geimpft werden.“
Kai-Alexander Dähmlow bekommt für seine Praxis in Murrhardt zwischen 50 und 70 Impfdosen pro Woche. „Wir könnten aber auch gut 100 verimpfen“, sagt er. Einen großen Unterschied mache es allerdings, welcher Impfstoff geboten ist. Astrazeneca bekomme er ausreichend, den haben aber die Patienten nicht so gern. Viele von ihnen wünschten sich das Biontech-Vakzin, da müsse er sie jedoch oftmals vertrösten. Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage beschäftigt Dähmlow sehr, er empfindet die Aufhebung der Impfpriorisierung daher auch als neue Belastung. „Jetzt müssen wir vor den Patienten begründen, warum es nicht geht.“ Denn ihnen wurde schließlich kommuniziert: Beim Hausarzt könnt ihr jetzt alle drankommen.
Junge, gesunde Menschen haben kaum Chancen auf einen Termin.
Terminanfragen werden in der Murrhardter Praxis inzwischen vor allem per E-Mail oder über die Praxis-App „PatMed“ gestellt. Die Liste sichtet der Hausarzt regelmäßig und bestimmt die Impfkandidaten für die nächste Woche. Zwar sei gestern kein sprunghafter Anstieg verzeichnet worden, allerdings hat der Allgemeinmediziner festgestellt: „Die Nachfrage steigt allgemein.“ Überwiegend meldeten sich Bestandspatienten, vereinzelt kämen auch Anfragen von externen Interessierten. Dähmlow hält sich bei der Vergabe der Termine weiter an die bisherige Priorisierung, sprich: Patienten mit Vorerkrankungen und in fortgeschrittenerem Alter haben Vorrang. „Sonst wäre es unfair.“ Wer sich für Astrazeneca entscheide, habe bessere Chancen, schnell dranzukommen.
Auch in der Praxis von Jens Steinat in Oppenweiler werden junge und gesunde Menschen ohne erhöhte Ansteckungsgefahr vorerst keine Impftermine bekommen. Der stellvertretende Vorsitzende der Ärzteschaft Backnang ist trotzdem froh darüber, dass die Priorisierung in den Arztpraxen aufgehoben wurde. Denn diese habe eine Menge Bürokratie mit sich gebracht: „Jetzt muss ich nicht mehr im Kleingedruckten der Impfverordnung nachlesen, ob ich jemanden impfen darf oder nicht“, freut sich Steinat. Das gebe ihm zum Beispiel die Möglichkeit, Ehepaare gemeinsam zu impfen oder Personen vorzuziehen, von denen er weiß, dass sie beruflich viel mit Menschen zu tun haben, auch wenn sie noch nicht auf der offiziellen Prioritätenliste stehen.
Allerdings will Steinat wie viele seiner Kollegen auch weiterhin bevorzugt Personen mit erhöhtem Risiko impfen: „Solange der Impfstoff knapp ist, ist ein verantwortungsbewusster Umgang damit weiter geboten“, findet der Allgemeinmediziner, der auch Pandemiebeauftragter der Ärzteschaften im Rems-Murr-Kreis ist. Bevor er neue Impftermine anbietet, will Steinat in seiner Praxis zunächst einmal die bestehende Warteliste abarbeiten: „Es gibt nämlich immer noch über 60-Jährige und sogar über 70-Jährige, die nicht geimpft sind.“
„Wir kennen unsere Patienten relativ gut und können einschätzen, wer die Impfung dringender braucht“, erklärt Stephan Schönfeld, dessen Praxis in Murrhardt-Fornsbach ist. Manche seien beispielsweise in ihrer Mobilität eingeschränkt, den Weg zum Impfzentrum könne man ihnen nicht zumuten. Schon vergangene Woche haben er und seine Kollegen ein sehr hohes Aufkommen an E-Mails und Telefonaten festgestellt. Und nicht nur die Bestandspatienten fragen an, auch darüber hinaus versuchen viele ihr Glück. Ihnen lege man dann nahe, sich an den eigenen Hausarzt zu wenden oder es im Impfzentrum zu versuchen. „Die Problematik ist ganz einfach: Viele wollen, aber es gibt zu wenig Impfstoff.“ In dieser Woche habe er überhaupt keine Biontech-Dosen für eine Erstimpfung bekommen, erklärt Schönfeld, lediglich für die Zweitimpfungen. Auch er hat festgestellt, dass der einfacher verfügbare Astrazeneca-Impfstoff bei Weitem nicht so beliebt ist. Gut klappe hingegen, dass die Patienten sich im Vorfeld online informieren, die Impfunterlagen herunterladen und den Anamnesebogen ausfüllen. „Wir sind als Ärzteschaft in der Region gut vernetzt und haben das rechtzeitig vorbereitet.“
Wer jung, gesund und beruflich nicht besonders gefährdet ist, wird auf die Impfung wohl noch warten müssen. Jens Steinat macht aber Hoffnung, dass es bis Mitte Juni auch für diese Personengruppe Termine geben könnte, wenn die Impfstofflieferungen wie angekündigt steigen. Wichtig sei aber auch, dass der Inzidenzwert weiter sinkt, betont er: „Je weniger Infektionen es gibt, desto mehr Zeit haben wir zum Impfen.“
Wer in den vergangenen Tagen versuchte, einen Impftermin im Kreisimpfzentrum in Waiblingen zu bekommen, hatte schlechte Karten. „Es wurden keine freien Termine in Ihrer Region gefunden. Bitte probieren Sie es später erneut“, war auf der zentralen Homepage www.impfterminservice.de
regelmäßig zu lesen.
Nach Angaben von Gerd Holzwarth, der als Dezernent im Landratsamt für das Impfzentrum zuständig ist, bleiben die Impfstofflieferungen weiterhin hinter den Erwartungen zurück. Statt 1500 Impfungen, die pro Tag maximal möglich wären, werden in der Waiblinger Rundsporthalle deshalb nur etwa 400 bis 800 Personen täglich geimpft, darunter sind viele Zweitimpfungen.
Als Landkreis mit einer unterdurchschnittlichen Impfquote sollte der Rems-Murr-Kreis vom Land eigentlich mehr Impfstoff bekommen, das hat laut Holzwarth bis jetzt aber nicht verlässlich funktioniert: „Vergangene Woche wurden uns drei Kisten Biontech zugesagt, geliefert wurden aber nur zwei.“
Als Ausgleich hat das Land diese Woche nun die Lieferung von vier Kisten Biontech angekündigt, das entspräche insgesamt rund 4700 Dosen. Werden diese tatsächlich geliefert, werde man Mitte der Woche wieder neue Termine anbieten können, kündigt Holzwarth an. Dann heißt es schnell sein: Beim letzten Mal waren 1600 Termine innerhalb von zwei Stunden vergeben.
Anders als in den Hausarztpraxen gilt in den Impfzentren weiterhin eine Priorisierung, allerdings wurde der Personenkreis noch einmal erweitert. Impfberechtigt sind seit gestern unter anderem Beschäftigte im Lebensmitteleinzelhandel und solche, die in Einrichtungen der sogenannten „kritischen Infrastruktur“ tätig sind, etwa in Apotheken oder im Transport- und Verkehrswesen.