„Wir brauchen euch, gerade jetzt!“

Aus dem Lockdown wird ein Open-up: Hanna und Heidi Josua streamen arabisch-christliche Sendungen aus ihrem Oberweissacher Esszimmer in die Welt. Der Dreiklang aus Lied, biblischer Botschaft und Coronainfos erreicht bis zu 1000 Aufrufe.

„Wir brauchen euch, gerade jetzt!“

Streamen einen christlichen Gottesdienst in arabischer Sprache: Heidi und Hanna Nouri Josua aus Oberweissach. Foto: A. Becher

Von Uta Rohrmann

WEISSACH IM TAL. Mitte März musste alles abgesagt werden. Auch die Gottesdienste der arabischen evangelischen Gemeinde, die zu der Stuttgarter Stiftskirche gehört. Hier treffen sich die unterschiedlichsten arabisch sprechenden Menschen. Sie kommen aus Gebieten, die vom Atlasgebirge bis zum Golf reichen – Marokkaner, Ägypterinnen, Libanesen, Syrerinnen, Iraker und andere. Flüchtlinge und Menschen, die aus beruflichen oder persönlichen Gründen hier sind. Analphabeten und Akademiker. Menschen, deren Familie seit Generationen im christlichen Glauben verwurzelt ist, Konvertiten und am christlichen Glauben interessierte Muslime.

Der aus dem Libanon stammende erblindete Pfarrer Hanna Nouri Josua und seine deutsche Frau Heidi Josua begleiten die Gemeindeglieder, die aus dem ganzen S-Bahn-Bereich um die Landeshauptstadt herum kommen, auch intensiv persönlich. „Wir möchten ihnen helfen, dass sie Fuß fassen in der Gesellschaft“, sagt der promovierte Theologe aus Weissach im Tal, der in Beirut Politik und Geschichte studiert hat. Ziel sei die Integration in den jeweiligen Wohnorten, in einer christlichen Gemeinde vor Ort. „Integration ist, wenn ich bei einer deutschen Familie zu Hause sein kann und umgekehrt“, weiß der gebürtige Libanese, der auch in Heilbronn, Singen und Weißenburg arabische evangelische Gemeinden betreut.

Heidi und Hanna Josua sind Brückenbauer – auch an ihrem Wohnort. So entwickelte Heidi Josua gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten Jennifer Reinert das bewährte Patenschaftskonzept, mit dem der Arbeitskreis Integration in Weissach Flüchtlingen hilft, in ihrer neuen Heimat gut anzukommen, und arbeitete während der Flüchtlingskrise ab 2015 als Sprach- und Kulturmittlerin Arabisch für das Landratsamt. Das Ehepaar bietet Seminare und Vorträge auch für deutsche Gemeinden an – über Islam und Christentum, Begegnung und Integration. Die seelsorgerliche und interkulturelle Arbeit des Theologen und der Religionspädagogin geschieht im Rahmen eines selbstständigen Vereins innerhalb der Landeskirche, dem Evangelischen Salam-Center, finanziert durch Spenden sowie einen kirchlichen Zuschuss.

Als wegen Corona nichts mehr ging, beschlossen die Autoren mehrerer Bücher, das Beste aus dem Hausarrest zu machen und an ihrem nächsten Manuskript zu arbeiten. „Aber unsere Gemeindeglieder machten einen Strich durch diese so plausible Rechnung“, erzählt Heidi Josua. „In allen Telefonaten hieß es: ‚Wir brauchen euch! Gerade jetzt.‘ Und wir merkten: Die Menschen brauchen ein vertrautes Gesicht, brauchen die beruhigende Nähe derer, denen sie schon vorher vertraut hatten und die für sie Halt inmitten vieler Haltlosigkeiten sind.“

Die Josuas begannen zu improvisieren, funktionierten eine Ecke in ihrem Oberweissacher Esszimmer zum Studio um. Wie geht das mit dem Livestream auf Facebook? Und wie benutzt man YouTube? „Als jemand mit einem Nicht-Verhältnis zu Technik war ich immer froh, solche Dinge delegieren zu können“, gibt die Mutter von fünf erwachsenen Kindern zu. Doch jetzt musste sie ran, biss sich autodidaktisch durch. Und es klappte: Die erste Livestreamsendung des libanesisch-schwäbischen Paars begann – mit aufnehmendem Smartphone auf dem Notenständer, Beleuchtung durch die Baulampe, die sich im Keller gefunden hatte, und mit Zetteln, die statt Einblendungen in die Kamera gehalten wurden. „Technische Steinzeit“, lacht Heidi Josua, „aber unsere Leute lieben es.“

Reaktionen kommen aus den USA und aus der arabischen Welt.

Von den Klickzahlen wurden die beiden völlig überrascht: Zwischen 100 und 1000 Aufrufe erhalten die Sendungen, die eigentlich lokal gedacht waren. Nicht nur die Gemeindeglieder und arabischen Bekannten der Josuas sahen sich das handgestrickte Format gerne an. Es wurde in sozialen Netzwerken geteilt, sodass auch Reaktionen aus den USA, Ägypten, dem Libanon, Jordanien und Schweden kamen. Der Inhalt der Sendungen, die nach wie vor mehrmals in der Woche gestreamt werden, ist ein Dreiklang aus Lied, biblischer Botschaft und Coronainfos.

Heidi Josua, die „mal Kirchenmusik gelernt“ hat, stellte sich nun der Herausforderung, vor der Kamera arabisch-christliche Lieder auf dem Klavier zu begleiten, während ihr Mann Violine spielt.

An Sonn- und Feiertagen hält Hanna Josua einen Gottesdienst mit Psalm, Schriftlesung und Predigt, an den Wochentagen gibt es eine kurze Andacht. Immer geht der Seelsorger auf die Fragen ein, die seine Zuhörer aktuell bewegen, wie Angst vor dem Unbekannten und Bedrohlichen, Flashbacks zu ähnlichen Situationen während Krieg und Flucht, Angst um die Verwandten in der Heimat.

„Für viele gab es nach Jahren der Unsicherheit nun langsam wieder eine gewisse Stabilität – die ist nun dahin“, weiß das Ehepaar. Um methodische Abwechslung in die Verkündigung zu bringen, erklärt die Religionspädagogin, die auch Orientalistik studiert hat, ägyptische Ikonen und arabisch-christliche Kalligrafien des aus Bagdad stammenden Künstlers Maamun Kamran.

Ein wichtiger Bestandteil der Sendungen sind auch aktuelle Coronainfos. „Vor allem ältere Migranten leben überwiegend in der Welt arabischer Medien und haben kaum Zugang zu deutschen Informationen“, sagt Heidi Josua. Zwar hätten Portale wie das Gesundheitsministerium, das Robert-Koch-Institut oder die Integrationsbeauftragte des Bundes inzwischen alle Informationen auch in vielen Fremdsprachen verfügbar, doch auf den Behördenseiten müsse man sich erst durch deutsche Erklärsätze klicken.

„Wer nur schwer Zugang zu seriösen Medien hat, bei dem haben es Fake News umso einfacher“, so die Erfahrung der Integrationshelfer. Kurzweilig geben die beiden in Dialogform Orientierung, informieren über Hygienemaßnahmen, klären medizinische Begriffe, greifen aktuelle regionale Regelungen auf, warnen vor Fake News, geben Tipps zur Bewältigung des Alltags und zur Beschäftigung von Kindern. Hanna Josua stellt Fragen zur aktuellen Lage, zu Zahlen und Forschungsergebnissen, Heidi Josua gibt die Antworten, oft mit Schaubildern. Beiden ist wichtig, die Informationen „auf der Grundhaltung der Ermutigung und eingebettet in christliche Hoffnung“ weiterzugeben.

Über die unverhoffte mediale Präsenz der Josuas freuen sich besonders auch Menschen, die diese von überregionalen Veranstaltungen wie Freizeiten oder Bibeltagen kennen, aber zu weit weg wohnen, um eine der arabischen Gemeinden besuchen zu können. Eine Stimme aus Heidelberg: „Ich danke Corona, dass wir euch endlich live sehen können, jede Woche.“ Eine andere Rückmeldung: „Wie schön ist es, euch beide zusammen zu sehen! Mir ist aufgefallen: Nachdem ihr mit diesen Sendungen angefangen habt, begannen auch andere arabische Pastoren in verschiedenen Ländern, mit ihren Frauen zusammen Sendungen zu machen. Es ist die Zeit gekommen, dass nicht mehr nur Männer auf der Kanzel stehen, sondern dass wir Orientalen entdecken, dass auch Frauen etwas zu sagen haben. Ohne es beabsichtigt zu haben, leistet ihr einen wichtigen Beitrag dafür, dass Frauen im Orient mehr zu Wort kommen.“

Gottesdienstliche Versammlungen unter strengen Auflagen sind inzwischen wieder erlaubt. Pfarrer Josua kann sich das so für seine Gemeindeglieder nicht vorstellen: „Unsere Leute sind emotional. Die nötigen Abstände würden kaum eingehalten werden – auch weil die Räumlichkeiten dafür wenig geeignet sind. Zudem haben wir einige ältere Gemeindeglieder, die nicht gefährdet werden sollten. Auch ich bin kurz vor dem Ruhestand. Aller Voraussicht nach machen wir bis zu den Sommerferien weiter wie gehabt, via Studio, von zu Hause aus.“

Die Sendungen sind unter „Arabic Evangelical Church Stuttgart“ auf Facebook und YouTube zu finden.