Auch Kinderkunst dient als Vorlage

Bei den vierten Holzkunsttagen in Rietenau tauchen die Teilnehmer in die Welt der Holzgestaltung ein. Mit Motorsäge, Stechbeitel und unter vollem körperlichen Einsatz erschaffen sie unter Anleitung von Miklós Vajna ihre ganz persönliche Skulptur.

Auch Kinderkunst dient als Vorlage

Knochenarbeit: Ines Kutasi arbeitet an einem Wildschwein aus Eichenholz. Foto: J. Fiedler

Von Annette Hohnerlein

ASPACH. Motorsägen heulen auf, als würden im nahen Wald Bäume gefällt. Zwischendurch ist ein Klopfen zu hören, als wäre ein besonders eifriger Specht am Werk. Und tatsächlich sind sie mit Feuereifer bei der Sache, die 14 Teilnehmer der Holzkunsttage in Rietenau. Die Frauen und Männer sind so in die Arbeit an ihren Werkstücken vertieft, dass sie kaum einen Blick für die schöne Umgebung haben. Auf einer Wiese am Waldrand beim sogenannten Pfarrgütle nördlich von Rietenau sind mehrere Zelte als Sonnenschutz aufgebaut, halb fertige Skulpturen, Holzabfälle, Werkzeuge und Motorsägen sind auf dem Gelände verteilt. Der Wind rauscht in den Bäumen und kühlt die erhitzten Gesichter der Bildhauer. Denn was die alten Hasen unter ihnen schon wussten, mussten die Anfänger erst lernen: Holzbildhauerei ist Knochenarbeit.

„Eichenholz ist hart, das ist schwer zu bearbeiten.“

Ines Kutasi aus Backnang musste gleich am ersten Abend des fünftägigen Workshops ihren schmerzenden Arm mit einer Kräutersudkompresse behandeln. Sie hat sich vorgenommen, ein kleines Wildschwein aus Eichenholz für ihren Garten zu modellieren. „Eichenholz ist hart, das ist schwer zu bearbeiten“, hat sie festgestellt. Sie möchte das Tierchen nur mit der Motorsäge und der Flex aus dem Stamm herausarbeiten, ohne das Holz am Ende glatt zu schleifen. So bleiben die Werkzeugspuren sicht- und fühlbar, die Oberfläche behält ihren rohen Charakter und sieht aus wie das struppige Fell eines Wildschweins.

Wie Ines Kutasi nimmt auch Ulrike Birkendorff zum ersten Mal an den Rietenauer Holzkunsttagen teil. Sie war früher Lehrerin an der Bodelschwinghschule in Murrhardt und hat sich von Zeichnungen ehemaliger Schüler zu ihrem Holzobjekt inspirieren lassen. Ihre Skulptur stellt einen sogenannten Kopffüßler dar, ein wichtelähnliches Wesen, das nur aus einem großen Kopf mit Armen und Beinen besteht. Die ersten figürlichen Zeichnungen von Kindern sehen oft so aus. Als Material hat sie einen Stamm aus Lindenholz gewählt, der wie alle anderen Stämme für den Workshop aus den umliegenden Wäldern stammt. „Holz ist ein lebendiger Stoff“, erklärt Birkendorff, „man muss darauf eingehen. Und man kann auch Überraschungen damit erleben.“ Mit der Betreuung durch den Leiter Miklós Vajna ist sie sehr zufrieden: „Er lässt einen wursteln, aber man kann ihn jederzeit fragen.“

Vajna ist bildender Künstler und Musiker, er führt zum vierten Mal die Holzkunsttage in Rietenau durch. Die Nachfrage war dieses Jahr besonders groß, berichtet er. Wohl aufgrund der Coronapandemie hätten sich 14 Teilnehmer angemeldet anstatt fünf bis sieben wie in den vergangenen Jahren. Offenbar hat sich der eine oder andere als Entschädigung für die ausgefallene Urlaubsreise den Bildhauerkurs gegönnt.

„Es gibt keine Maßstäbe, kein Richtig oder Falsch.“

Vajna lässt seinen Schülern größtmögliche Freiheit in der Gestaltung. „Es gibt keine Maßstäbe, kein Richtig oder Falsch“, erläutert er sein Prinzip. Deshalb werden die Arbeiten auch nicht gemeinsam besprochen; Kritik vor versammelter Mannschaft ist nicht sein Stil. Die einzige Vorgabe: Es sollen freie Skulpturen entstehen, keine Möbelstücke oder Gebrauchsgegenstände. Manche Teilnehmer werden von einem regelrechten kreativen Flow erfasst und wollen gar nicht mehr aufhören. „Die sind so was von wild“, freut sich der Dozent, „die kommen schon vor 9 Uhr und arbeiten die Mittagspause durch.“

Einige der Bildhauer, die schon zum wiederholten Mal dabei sind, haben eine beträchtliche Erfahrung in diesem Metier. Zum Beispiel Michael Weick. In den 1990er-Jahren hatte er auf einem Grundstück einige Fichten zu fällen, erzählt er. Dafür kaufte er sich eine Kettensäge und machte, da das Holz schon mal da war, daraus seine erste Figur. Und er blieb bis heute dabei. „Die Holzbildhauerei ist mein Hobby, meine Leidenschaft“, verrät der gelernte Ingenieur, der schon mehrfach an einem internationalen Bildhauersymposion in Sankt Blasien teilgenommen hat (wir berichteten). Für den diesjährigen Workshop hat er eine sogenannte Möbiusschleife als Motiv gewählt.

Die jüngsten Bildhauerinnen auf dem Pfarrgütle sind Alisha und Antonia aus Rietenau. Alisha hat in den vergangenen Jahren mehrfach bei den Holzkunsttagen zugeschaut und mitgeholfen, dieses Jahr ist sie als Teilnehmerin dabei. Ihre Freundin Antonia ist heute zu Besuch gekommen. Einträchtig sitzen die beiden Zwölfjährigen nebeneinander und bearbeiten ihre originellen Holzobjekte: eine Schokoladentafel und einen Donut.