Deutsch-türkische Kabarettwoche in Stuttgart startet

Comedy trotz Morddrohung

Die Künstler machen sich oft unbeliebt, mancher lebt im Exil – und nun sind sie in Stuttgart zu Gast: Zum 17. Mal lädt Sebastian Weingarten von diesem Freitag an zur deutsch-türkischen Kabarettwoche ins Renitenztheater. Humor sei inzwischen viel diverser, findet er.

Comedy trotz Morddrohung

Comedienne Idil Nuna Baydar

Von kah

Wirklich witzig waren die letzten Jahre nicht – weder für Künstler und Künstlerinnen noch für den Rest der Menschheit. Und auch in internationalen Beziehungen gibt es gerade nicht viel, worüber man sich freuen könnte. „Aber gerade deshalb brauchen wir doch Veranstaltungen wie die deutsch-türkische Kabarettwoche“, antwortet Sebastian Weingarten, Intendant des Stuttgarter Renitenztheaters auf die Frage, ob es aktuell Zeiten seien, in denen man überhaupt herzhaft lachen könne. „Gerade in großen Krisenzeiten war das Kabarett immer sehr stark“, findet er.

Ein bisschen wehmütig sitzt Weingarten im kleinen Konferenzraum seines Hauses, das er bald an seinen Nachfolger Roland Mahr übergeben wird. Vor 19 Jahren hat Weingarten das erste Mal deutsch-türkisches Kabarett auf die renommierte Kleinkunstbühne geholt, damals noch an anderer Adresse, zweimal musste die Veranstaltung seither ausfallen – coronabedingt.

Wie alles angefangen hat

„2003 bin ich zum Intendanten gewählt worden, da gab es noch einen Verbindungsgang zwischen dem Renitenz und dem türkischen Restaurant Charisma“, blickt Sebastian Weingarten auf die Anfänge seines Festivals zurück. Dort habe er oft gegessen und dabei die damalige Geschäftsführerin des deutsch-türkischen Forums kennengelernt. „Da habe ich gedacht, wir müssen etwas zusammen machen“, erinnert sich Weingarten. Damals wurden Comedians mit Migrationshintergrund wie Bülent Ceylan gerade erst populär; „die ersten sieben Jahre war er bei uns, ehe er in die Stadien ging“, sagt Weingarten nicht ohne Stolz. Auch Serdar Somuncu trat früh im Renitenz auf, „ein sehr polarisierender Kabarettist. Das war damals außergewöhnlich provokant.“

Mittlerweile sei die Szene viel diverser, mit vielen Comedians und Comediennes aus verschiedensten Nationen. „Manche haben einen marokkanischen Hintergrund, andere einen vietnamesischen, koreanischen, afghanischen.“ Trotzdem sei es angesichts der großen deutsch-türkischen Community in Stuttgart nach wie vor spannend, das Verhältnis zwischen Biodeutschen und türkischstämmigen Stuttgartern zu beleuchten, findet er.

Tatsächlich läuft das Verhältnis zwischen Deutschen mit und ohne Migrationsgeschichte auch in Stuttgart nicht immer reibungslos ab. Im Zuge der Krawalle junger Männer im Sommer 2020 wurden vermehrt Vorurteile gegen Jugendliche mit muslimischem Hintergrund laut. Auch hat das Votum vieler in der Türkei wahlberechtigter Deutschtürken für die Präsidentschaft Recep Tayyip Erdogans im Frühsommer 2018 bei vielen Deutschen Irritation ausgelöst.

Türkischer Name – und jetzt?

Deutsch-türkisches Kabarett kann angesichts solcher interkultureller Verständigungsprobleme helfen, gegenseitige Vorurteile abzubauen. „Zum Festival kommen ganz viele, die sonst gar nicht ins Theater gehen“, freut sich Sebastian Weingarten, auch Frauen mit Schleier.

„Wir haben auch diesmal wieder ein türkischsprachiges Programm für ein Publikum, das der deutschen Sprache weniger mächtig ist. Aber wir bringen die aktuellen Probleme satirisch und künstlerisch verarbeitet auf die Bühne. Zumindest haben wir in Stuttgart nicht diese Ghettos wie in Berlin und in Sachen Integration gemeinsam schon eine Menge erreicht. Ich denke, dass wir die Leute mit unserer deutsch-türkischen Kabarettwoche erreichen und ein Zeichen setzen können.“ Willkommen sind alle, Deutsche, Deutschtürken und alle Neigschmeckten, die Lust haben, alltägliche Erfahrungen aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. „Bei einigen Comedians geht es etwa darum, was ihnen aufgrund ihres türkischen Namens passiert ist, oder wie die Elterngeneration das Leben in Deutschland kurz nach ihrer Ankunft erlebt hat.“

Stand-up-Comedy sei besonders bei den jungen Künstlern die bevorzugte Form. Mit dem Programm „Zoom“ von Fatih Çevikkollu werde es aber auch politisches Kabarett geben. Dezidierte Unterschiede zwischen deutschem und deutschtürkischem Humor sieht Weingarten nicht, „viele der Künstler und Künstlerinnen sind ja hier aufgewachsen. Trotz mancher verschiedener Perspektiven wird der Humor auf beiden Seiten gleichermaßen verstanden.“

Info

Begehrt Vom 31. März bis 9. April geben sich namhafte Satiriker im Renitenztheater die Klinke in die Hand. Der Auftakt mit Osan Yaran am Freitag ist ausverkauft, wie auch Serdar Karibiks „Ganz großes Kino!“ am 4. April.

Zurück Die bekannte Comedienne Idil Nuna Baydar ist am Samstag in der Stuttgarter Premiere ihres neuen Programms „Ach, was soll’s“ zu erleben. Baydar hat mit Kunstfiguren wie der Berliner Prolltürkin Jilet Ayse zunächst auf der Videoplattform Youtube Furore gemacht. Wegen ihrer Äußerungen zu Rassismus und Diskriminierung bekam Baydar 2019 allerdings auch Morddrohungen von Rechtsextremen. Nach einer Auszeit ist Baydar nun wieder zurück auf der Bühne.

Zoom Politisch geht es im Programm von Fathi Çevikkollu zu. So nimmt der an der Berliner Hochschule Ernst Busch ausgebildete Schauspieler in seinem ersten Post-Corona-Programm „Zoom“ (8. April) unter anderem Verschwörungstheorien aufs Korn.

Exil Der türkisch-armenische Journalist und Kabarettist Hayko Baǧdat lebt erst einige Jahre im Berliner Exil. ZahlreicheMedien, für die er in derTürkei gearbeitet hatte, wurden nach dem Putschversuch gegen Erdogan im Jahr 2016 verboten. Wegen Morddrohungen lebt er unter Polizeischutz. Seine One-Man-Show „Schnecke“ (9. April) spielt Hayko Baǧdat komplett in türkischer Sprache.

Infos zum Programm unter www.renitenztheater.de