Der Reisende macht Station in Backnang

„Der literarische Salon“: Spannende Lesung mit Einblicken in das Schicksal des Autors Ulrich Alexander Boschwitz im Bürgerhaus

Der Reisende macht Station in Backnang

Lesung mit Herausgeber Peter Graf (links) und Schauspieler Thomas Sarbacher. Foto: T. Sellmaier

Von Claudia Ackermann

BACKNANG. Im Jahr 1938 schrieb der damals 23-jährige Ulrich Alexander Boschwitz den Roman „Der Reisende“. Erst vor drei Jahren wurde das Werk wiederentdeckt und daraufhin erstmals auf Deutsch veröffentlicht. Im Rahmen der Reihe „Der literarische Salon“ gab es im Bürgerhaus eine spannende Lesung mit Einblicken in das Autorenschicksal.

Peter Graf ist Herausgeber des Romans und gibt im gut besuchten Foyer des Bürgerhauses Einblicke in die Lebensgeschichte des Autors. Ulrich Alexander Boschwitz wurde 1915 in Berlin in einer gut situierten Kaufmannsfamilie geboren. Sein Vater starb kurz nach der Geburt des Sohnes. Die Familie habe keine Ahnung von den jüdischen Wurzeln des Vaters gehabt, der zum Christentum konvertiert war, so Peter Graf. 1935 emigrierte die Familie nach Skandinavien, wo Boschwitz’ erster Roman erschien. „Der Reisende“ ist bei anschließenden Aufenthalten in Belgien und Luxemburg entstanden. Kurz vor Kriegsbeginn wurde er von England aus interniert und nach Australien gebracht. Als er 1942 die Rückreise antrat, wurde sein Schiff von einem U-Boot torpediert und versank. Boschwitz wurde nur 27 Jahre alt.

Im Roman geht es um den jüdischen Kaufmann Otto Silbermann

Passagen aus dem Roman liest der Schauspieler und Rezitator von Hörbüchern Thomas Sarbacher. Im Roman geht es um den jüdischen Kaufmann Otto Silbermann, der 1938 in Berlin immer mehr in Bedrängnis gerät. Die Lesung beginnt mit einer Passage, in der Silbermann sein Haus an Findler verkaufen möchte, um das Land zu verlassen. Lebhaft trägt Sarbacher einen Monolog vor, in dem der selbstgefällige Findler versucht, den Preis immer weiter herunterzuhandeln. Er nutzt aus, dass Silbermann in einer Notlage steckt. „Mit euch Juden hat der Staat ja noch allerhand im Sinn“, heißt es im Text. Fäuste hämmern gegen die Tür. „Aufmachen, Jude“, brüllt ein Mann in Uniform. Sarbacher schlüpft mit seiner Stimme in verschiedene Rollen und transportiert die bedrohliche Situation mitreißend.

Den weiteren Verlauf fasst Peter Graf zusammen. Im Roman kann Silbermann über die Hintertreppe fliehen. In einem Hotel wird er vor die Tür gesetzt. Er beschließt, mit dem Zug zu seinem Prokuristen Becker nach Hamburg zu fahren, der dort geschäftlich zu tun hat. Sarbacher liest einen Dialog zwischen Silbermann und seinem Geschäftspartner Becker. Der ehemalige Kriegskamerad will das Geschäftsvermögen nun zum Großteil an sich reißen. Im Gespräch kommt es Silbermann vor, „als zwänge sich der andere fast verzweifelt zu jeder seiner Gemeinheiten“. Die Resignation ist in der Stimme des Rezitators zu spüren. „Gustav“, sagte Silbermann leise. „Warum willst du zum Lumpen werden? Es steht dir gar nicht.“

Otto Silbermann ist jetzt um Haus und Firma gebracht, erzählt Peter Graf den weiteren Verlauf. Mit dem Zug beginnt eine Odyssee durch Deutschland, in der er verschiedene Bekanntschaften macht. Der kleine Raum in den Abteilen wird zum Schauplatz einzelner Kammerspiele und innerer Monologe. „Ich bin in die Deutsche Reichsbahn emigriert“, zitiert Graf aus dem Buch. Silbermann trifft etwa auf einen anderen Flüchtling, der ihm von einem Fluchthelfer über Belgien erzählt. Sarbacher liest eine Passage über das Zusammentreffen mit einer elegant gekleideten Dame mit Augen wie „tanzende Irrlichter“, das sich fast zu einer amourösen Begegnung entwickelt. Der Roman „Der Reisende“ wurde im Jahr 1939 bereits unter einem Pseudonym in England publiziert. Er erschien 1940 in den USA und 1945 in Frankreich. Dann geriet er lange Zeit in Vergessenheit. Erst vor drei Jahren ist das Typoskript „wie eine Flaschenpost wieder an die Oberfläche gekommen“, so der Herausgeber.

Der Originaltext befindet sich in


der Deutschen Nationalbibliothek

Eine Nichte des Autors, die in Israel lebt, hat Peter Graf darauf hingewiesen, dass sich der mit Schreibmaschine verfasste Text im Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt befände. Mit Einwilligung der Angehörigen hat ihn Peter Graf lektoriert und erstmals in Deutschland im Klett-Cotta-Verlag publiziert. Es ist ein ergreifendes, literarisches Zeitdokument. Umso erstaunlicher, dass es von dem 23-jährigen Autor in nur wenigen Wochen geschrieben wurde. Mit den interessanten Hintergrundinformationen von Peter Graf und der eindrücklichen Rezitation von Thomas Sarbacher erlebten die Besucher einen bewegenden, literarischen Abend.