Aktuell wird mal wieder ein Kulturkampf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk geführt. Symptom einer Existenzkrise? Ein neues Buch ermöglicht eine historische Perspektive aufs Thema.
Manche sehen rot beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk.
Von Lukas Jenkner
Es ist mal wieder Kulturkampf im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) ist die Moderatorin Julia Ruhs zu konservativ, weshalb er sie aus der gemeinsam mit dem Bayrischen Rundfunk (BR) produzierten Sendung „Klar“ abberufen hat – wohl auch wegen eines (nicht offiziell bestätigten) Briefs, den 250 NDR-Mitarbeiter unterschrieben haben und in dem sie sich über die TV-Sendung beschweren sollen. Nun ist die Aufregung vor allem unter (konservativen) Unionspolitikern groß, allenthalben wird links-woke Cancel Culture gewittert.
Wie dramatisch ist das alles wirklich? Dazu lohnt ein Blick in die Geschichte des ÖRR, und siehe da: alles schon mal dagewesen. Andererseits liegen die Dinge aktuell mit Internet, AfD und politischer Polarisierung auch durchaus etwas anders. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest der Wissenschaftler und Politiker Karsten Rudolph, der eine Geschichte des ÖRR verfasst hat, die jüngst im Beck-Verlag erschienen ist. „Sendestörung – Aufstieg und Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ heißt das 240 Seiten starke Taschenbuch, ist straff geschrieben und liest sich bisweilen wie ein Proseminar in Rundfunkgeschichte, was angesichts der häufiger aufgeheizten Debatten durchaus angenehm ist.
CDU-Kanzler erschaffen das ZDF und das Privatfernsehen
Wer „Sendestörung“ liest, erfährt, dass das Gerangel um die Hoheit über den Rundfunk und die politische Ausrichtung der Berichterstattung so alt ist wie der ÖRR selbst. So verdankt zum Beispiel das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) seinen Start 1963 einem Prozess, in dem der autoritäre Demokrat und erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) versucht hat, einen regierungsnahen Rundfunksender zu installieren, um ein Gegengewicht zum seiner Meinung nach linken „Rotfunk“ zu schaffen. Und die Einführung des privaten Rundfunks 1984 ist vor allem vom ebenfalls christdemokratischen Bundeskanzler Helmut Kohl vorangetrieben worden, der sich einerseits immer wieder vom ÖRR verunglimpft sah, andererseits seinem Freund und Medienunternehmer Leo Kirch zum geschäftlichen Aufstieg verhelfen wollte.
Stetiger Begleiter des ÖRR sind auch die Debatten um die Rundfunkgebühren, die von manchen Landesregierungen gerne als Hebel genutzt wurden und werden, um politische Interessen durchzusetzen. Da wird auch mit harten Bandagen gekämpft bis hin zur Drohung, den Rundfunkstaatsvertrag zu kündigen und aus dem öffentlich-rechtlichen System auszusteigen – was im Fall Ruhs wieder diskutiert wird, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann forderte zumindest, den Staatsvertrag einzufrieren. Gleichwohl kann die Politik nicht schalten und walten, wie sie will, sondern wird regelmäßig in die Schranken gewiesen durch das Bundesverfassungsgericht, das sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mal wieder als Gralshüter des ÖRR erwiesen hat.
Immer wieder heftig geführte personelle Querelen
Und schließlich hat es immer wieder mitunter heftig geführte personelle Querelen gegeben, angefangen mit den Gespenstern der Vergangenheit aus dem Nationalsozialismus. Denn wie in der gesamten Bundesrepublik tummelten sich im Rundfunk mehr oder weniger belastete Altnazis, vor einem harten Schnitt kann keine Rede sein, die Stunde Null war auch hier ein Mythos – trotz der Installation des ÖRR durch die Alliierten. Manche Galionsfigur wurde von ihrer Vergangenheit sogar recht spät eingeholt, wie etwa Werner Höfer, der bis 1987 den „Internationalen Frühschoppen“ moderierte und dann weichen musste, weil seine publizistischen Verfehlungen aus der NS-Zeit bekannt wurden.
In historischer Perspektive dürfte der jüngste Streit um die Moderatorin Julia Ruhs wohl eine der vielen personellen Fußnoten bleiben. Langfristig gefährlich ist laut dem Autor Karsten Rudolph vielmehr die politische Polarisierung mit dem Aufstieg der AfD und die disruptive Revolution des Internets. Auf beides hätten die öffentlich-rechtlichen Sender bisher keine befriedigenden Antworten gefunden, schreibt Rudolph. Da tröstet es wenig, dass der ÖRR damit nicht allein steht im Land. Spannend dürfte es werden, wenn die AfD als erklärte Kritikerin des ÖRR-Systems tatsächlich mal in Regierungsverantwortung kommt, dann die Rahmenbedingungen des Rundfunks mitgestalten kann und wie das Bundesverfassungsgericht darauf reagiert.
Um es mit Rudolphs abschließenden Worten zu sagen: Wenn es dem ÖRR nicht gelinge, zurück in die Zukunft zu finden, dann „zerfällt er weiter, was wiederum nicht ohne Wirkung auf die weitere Zersetzung der Meinungsbildung durch kommunikative Echokammern und den Bestand der demokratischen Gesellschaft bleibt, deren Höhen und Tiefen er bis heute teilte“. Was das konkret heißt, muss zum Beispiel gerade die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali erleben, der ein rechter Shitstorm vor einigen Tagen so zugesetzt hat, dass sie sich für die nächste Zeit aus den sozialen Medien zurück gezogen hat.
Karsten Rudolph: Sendestörung – Aufstieg und Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, München C. H. Beck 2025, Paperback, 240 Seiten, 20 Euro