Die Poesie des Geheimnisvollen

Uta Zaumseils malerische Drucke in der Galerie der Stadt Backnang: Bevor die Ausstellung eröffnet werden kann, laden Galerieleiter Martin Schick und die Künstlerin aus Thüringen zu einem virtuellen Rundgang durch die Ausstellungsräume ein.

Die Poesie des Geheimnisvollen

Sie hat sich dem zeitgenössischen Hochdruck verschrieben: Uta Zaumseil. In dem Bild im Hintergrund thematisiert sie Spiegelungen. Foto: A. Becher

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Uta Zaumseils Bilderwelt bewegt sich auf verschiedenen Ebenen in unterschiedlichen Welten gleichzeitig. Die Künstlerin erzählt Geschichten, die dem Betrachter aber genug Freiraum für eigene Schlüsse lassen. Ausgangspunkt der oft großformatigen Arbeiten zwischen Hochdruck und Malerei sind Fotografien. Da auch die Galerie der Stadt Backnang während des Lockdowns in den nächsten Wochen geschlossen bleiben muss, hat Martin Schick mit der Künstlerin aus Thüringen im Zusammenhang mit dem Aufbau der Ausstellung geplaudert. Aufgezeichnet wurde das Gespräch von Georg Beïs aus Backnang. Der Link zum Video steht auf der Homepage der Städtischen Galerie.

Der Linoldruck aus dem Jahr 2018 mit einem Lesenden auf einer Matratze als Motiv, der über einer durch viele kleine Lichter erkennbaren Großstadt schwebt, gibt der Ausstellung den Titel: „Nachtflug“. Der Lesende ist in dem poetischen Bild zwischen Realität und Fiktion während der Zeit des Lesens in die Welt der Fantasie unterwegs, er schwebt von der einen in die andere Welt. Es ist die bildnerische Erzählung des Vorgangs, der mit der Lektüre verbunden ist, die Darstellung einer entrückten Situation. Der Lesende ist dann mal weg. Die Inspiration zu dem Bild bekam Uta Zaumseil, als sie sah, wie ihr Sohn auf seinem Bett lag und ein Buch las. „Mein Sohn ist ganz oft Mittelpunkt meiner Arbeit“, verrät sie.

Eingriffe des Menschen in die Natur.

Um die ganze, zuweilen rätselhafte, skurrile, verfremdete und mitunter auch politische Alltagswelt in den Bildern von Uta Zaumseil entdecken zu können, muss der Betrachter schon ein wenig Zeit mitbringen. Da ist zum Beispiel das Reh im Wald, das wie durch eine Nachtsichtkamera aufgenommen erscheint. Ein Auge des Tiers blitzt weiß hervor, der Ast eines Baums drängt sich ebenfalls komplett weiß in den Vordergrund. Plötzlich entdeckt man ein zweites Reh mit weißen Augen am linken Bildrand neben einer Rettungsfolie, die auch in anderen Bildern immer mal wieder auftaucht. Deutet sie hier auf ein wildes Lager von Obdachlosen im Wald hin? Im rechten, von dieser Szene abgesetzten Bildteil sind fotografierende Menschen von hinten zu sehen, denen wir uns als Betrachter praktisch anschließen wie bei den romantischen Bildern eines Caspar David Friedrich. Plötzlich werden wir hineingezogen in eine surreale Welt mit einem Container. Collageartig werden hier Szenen in eigentlich zwei Bildern zusammengebracht, auf die man sich selbst einen Reim machen darf, die aber durchaus unerklärlich bleiben können. „Unser Blick auf die Natur ist durch die Technik verändert“, kommentiert Uta Zaumseil die Nachtsichtgerätoptik bei einem Rundgang durch die Ausstellung. „Die Natur ist so nicht.“

„Uta Zaumseil fotografiert die Welt und sammelt Merkwürdigkeiten“, sagt Galerieleiter Martin Schick. Selten basieren die Arbeiten auf nur einem Motiv. Manchmal unternimmt die Künstlerin dabei Streifzüge ins Absurde. „Ich mag schon was Absurdes, was die meisten gar nicht sehen“, erklärt sie. Augenfällig ist indes die aufgerissene Litfaßsäule, deren Einzelteile wegzufließen scheinen. Auch abstrakte architektonische Strukturen und Spiegelungen werden in einigen Drucken thematisiert. In jüngster Zeit beschäftigt sich Uta Zaumseil zudem vermehrt mit Motiven aus der Großstadt, aus Berlin, wie dem Blick aus der Kunsthochschule Weißensee oder der merkwürdigen Menschengruppe, die sie nach einem Ausstellungsbesuch entdeckt hat. Einige der wieder nur von hinten zu sehenden Figuren, die auf dem Weg zur nächsten U-Bahn-Station sind, tragen Bademäntel. Oder da sind die Rehe mitten in der Großstadtlandschaft, die hier so gar nicht hingehören. „Man sieht, wo es hinführt, wenn die Tiere zu uns kommen müssen. Das holt uns alles ein“, sagt Zaumseil – und schon sind wir bei den Folgen des mit von den Menschen zu verantwortenden Klimawandels, bei Corona und bei der Politik. Allzu viel will Uta Zaumseil aber gar nicht erklären. „Es ist eine Bereicherung für ein Bild, wenn es mehrere Möglichkeiten der Rezeption gibt“, meint sie. In dem von der Galerie der Stadt Backnang produzierten Video sagt sie: „Ich steh auf Großstadt. Große Häuser. Überblicke. Die Lichter. Weil ich ja auf dem Dorf lebe.“

Wie Uta Zaumseil (Jahrgang 1962) mit einer bestimmten grafischen Technik Bilder wie Gemälde erzeugt, ist eindrucksvoll. Sie druckt in ihrem Atelier in einer ehemaligen Schule in Mehla bei Greiz auf MDF-Platten, auf Linoleum und auf Holz, jeder einzelne Hochdruck bleibt aber ein Unikat. Die Vervielfältigung ihrer Arbeiten würde sie nur langweilen. Das hört sich zwar wie ein Paradox an, doch der Künstlerin aus Thüringen geht es nur um das Ergebnis, das sie mit dieser Technik erreichen kann. Gedruckt wird von einer einzigen Platte. Vor jedem Schnitt steht eine intensive Reflexion über das Motiv. Denn was einmal weggeschnitten ist, kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das macht für Uta Zaumseil den Reiz an dieser zeitintensiven Technik aus. Auch die Farben mischt sie wie bei der Malerei mit Pigmenten selbst an. Bei einer Vervielfältigung einzelner Arbeiten bräuchte die Künstlerin mitunter zwischen 40 bis 45 Platten, so viele Farben finden sich mitunter in einem Bild. Doch das ist, wie gesagt, nicht ihr Weg. Sie hält es mit der Technik der „verlorenen Form“, wie es in der Fachsprache heißt. Denn immer wieder werden aus der Platte Teile weggenommen. Am Ende ist nur die letzte Platte übrig.

Gedruckt wird vom Hellen zum Dunklen. Zunächst schneidet die Künstlerin das weg, was weiß bleiben soll. Danach das, was später als hellste Farbe erscheint. Schritt für Schritt geht es so weiter bis zur dunkelsten Farbe. Auf diese Weise verleiht Uta Zaumseil der alten Technik des Farbholzschnitts eine zeitgenössische Ausdrucksform.

Die Technik bringt beim Arbeiten eine Verlangsamung mit sich.

So interessant die Technik auch ist, für Uta Zaumseil ist sie nur Mittel zum Zweck: „Mir geht es ums Bild, nicht um die Technik.“ Diese dient allerdings dazu, diesen malerischen Touch zu erzielen. Und: „Der Druckvorgang hat auch eine Abstraktion, die ich haben möchte.“ Dieser ist im Übrigen mit viel Zeit verbunden. „Du musst warten, bis eine Farbe trocken ist. Dann kannst du wieder überlegen“, beschreibt Uta Zaumseil ihre Arbeitsweise. Diese Zeit, die sie benötige, sei auch bei der eingehenden Betrachtung der Bilder zu spüren, glaubt sie.

Ob Nachtflüge, kosmische Phänomene wie der „Sternenkreisel“, LockdownMotive oder Traumhaftes: Wer in die Kunstwelt der Uta Zaumseil eintaucht, trifft auch ab und an auf schon Gesehenes. Und plötzlich kann man die von anderen Bildern bekannten Elemente lesen und freut sich neben dem Kunstgenuss ob der Tiefe der Inhalte.

Die Ausstellung, zu der ein Katalog erschienen ist, soll auch im Angermuseum in Erfurt gezeigt werden. Doch erst einmal warten die Backnanger darauf, bis sie die Bilder live erleben dürfen.

Preise und Ausstellungen

Die ursprüngliche Dauer der Ausstellung „Nachtflüge“ mit Arbeiten von Uta Zaumseil aus Thüringen war zwischen 21. November 2020 und 21. Februar 2021 vorgesehen. Nun ist die Galerie wegen Corona geschlossen, auch eine Vernissage war nicht möglich. Doch die Kunstfreunde können dennoch einen Blick in die Ausstellung werfen: Dies macht das Video möglich, das Martin Schick im Gespräch mit Uta Zaumseil zeigt. Der Link dazu ist auf der Homepage der Galerie http://galerie-der-stadt-backnang.de zu finden. Der direkte Link: https://youtu.be/VXiiqS-vImo. Wann die Ausstellung live zu sehen sein wird, ist noch nicht klar.

Seit der Wende arbeitet die gebürtige Greizerin als freie Künstlerin in Mehla. Sie erhielt zahlreiche Arbeitsstipendien. Studienaufenthalte führten sie unter anderem nach Rom und Hongkong. 2002 wurde Uta Zaumseil der deutsche Holzschnittpreis der Stiftung „Kunst, Kultur und Bildung“ der Kreissparkasse Ludwigsburg verliehen. 2003 erhielt sie den Kunstpreis der IG Metall und 2007 den dritten Preis in der Kategorie „Linolschnitt heute“ der Galerie Bietigheim-Bissingen, im Jahr 2010 wurde sie bei „Linolschnitt heute“ der Galerie Bietigheim-Bissingen mit dem zweiten Preis ausgezeichnet.

Zu Einzelausstellungen wurde sie von zahlreichen Galerien eingeladen, darunter die Dany-Keller-Galerie München und die Galerie Kuchling in Berlin. Auch in vielen Gruppenausstellungen war sie vertreten, etwa im Museum für Druckkunst Leipzig.