Ein berückend schöner Hörgenuss

Kantorei und Kammerchor der Stiftskirche sowie Solisten führen in Backnang Rossinis „Petite Messe solenelle“ auf

Die „Petite Messe solennelle“ von Gioachino Rossini ist nach dem „Stabat Mater“ Rossinis zweite und auch letzte große kirchenmusikalische Schöpfung. Sie entstand zur Einweihung der Privatkapelle der Pariser Gräfin Louise Pillet-Will und wurde dort 1864 in einem kleinen, aber sehr erlesenen Kreis uraufgeführt. Am Sonntag war sie in Backnang zu hören.

Ein berückend schöner Hörgenuss

Einen großen Klangkörper bilden die Kantorei und der Kammerchor der Stiftskirche: Beim Konzert in der Matthäuskirche in Backnang sind auch Instrumentalisten und Gesangssolisten mit dabei. Foto: A. Becher

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Wer den Namen „Rossini“ hört, denkt vermutlich als Erstes an Opern, Belcanto, grandiose Theatralik und mehr oder weniger adipöse Tenöre auf Freiersfüßen – mancher womöglich noch an feine italienische Küche. Auf Kirchenmusik jedenfalls kommen die wenigsten. Nicht mal Hans-Joachim Renz, Bezirkskantor, Kirchenmusikdirektor, Dirigent und ausgewiesener Vollprofi in Sachen Kirchenmusik hatte das auf Anhieb auf dem Schirm. Einige Chorsänger, so erzählte er nach dem Konzert in der Matthäuskirche, hätten die „Petite Messe solenelle“ gehört und ihn darauf hingewiesen: Das wollten sie auch mal singen. Gut, dass sie das getan haben. Und dass Chor (Chöre eigentlich) und Dirigent sich darauf eingelassen haben. Dass alle Beteiligten wochen- und monatelang geschuftet haben, um das so hinzukriegen: diese Dynamik, dieses Auf- und Abschwellen oft innerhalb eines einzelnen Tons, dieses Ein-gemeinsamer-Klangkörper-Werden. Dass Renz genau die richtigen Solisten dafür ins Boot holen konnte. Dass es gelungen ist, ein Konzertharmonium aus dem 19. Jahrhundert leihweise aufzutreiben. Dass es zur Aufführung in der Matthäuskirche kam. Dass die Backnanger es bemerkt haben und hingeströmt sind, als kriegten sie’s bezahlt. Dass alles so großartig war, dass die Zuhörer nicht nur das Husten, sondern zeitweise sogar beinah das Atmen vergaßen und vor allem das Herumrutschen auf den unbequemen Knarzstühlen in der Kirche.

An diesem Abend ist wirklich einiges zusammengekommen an Glücksfällen – viele davon die Frucht harter Arbeit, was, wie alle Künstler wissen, noch lange kein Garantieschein fürs Gelingen ist, und andere, nun ja, Glücksfälle eben. Vermutlich wollte Gott an genau diesem Abend genau diese Musik hören.

Aber der Reihe nach: Kantorei und Kammerchor der Stiftskirche unter der Leitung von Hans-Joachim Renz führten in der Matthäuskirche die „Petite Messe solennelle“ von Gioachino Rossini auf. Für die ungewöhnliche, aber vom Komponisten so vorgesehene, instrumentale Begleitung dazu sorgten Jochen Ferber am Klavier und Thilo Franck am Harmonium. Solisten waren Lydia Zborschil (Sopran), Carmen Mammoser (Alt), Bernhard Schneider (Tenor) und Johannes Fritsche (Bass). Das Konzert war ausverkauft, aber weil man die vielen Menschen, die an der Abendkasse spontan noch Einlass begehrten, nicht unbeglückt nach Hause schicken wollte, wurde die Trennwand zum Mehrzweckraum der Matthäuskirche schnell noch geöffnet und auch dort bestuhlt. Das Programmheft war dicker als sonst, weil es neben der künstlerischen Vita der Akteure, dem (immer gleichen) lateinischen Messetext und der deutschen Übersetzung noch einiges über die Entstehungsgeschichte des Werks, über Rossinis Leben und – ganz köstlich – über sein entspanntes aber respektvolles Verhältnis zum lieben Gott und zur Musik verriet. Die Komposition ist, nun ja, großes Kino: dramatisch, kontrastreich, dynamisch auf- und abschwellend, hochemotional, zuweilen dissonant, voll tollkühner Intervallsprünge und spannungsgeladener Synkopen, gelegentlich komisch (wann hatte man zuletzt so schönes Knätschen vom Harmonium gehört?), eilig vorwärtsdrängend (große Leistung von Jochen Ferber am Klavier), elektrisch aufgeladen, fassungslos stammelnd (das Crucifixus – man konnte sozusagen hören, wie Lydia Zborschil das Herz brach) und schließlich, mittendrin, auf dem hochdramatischen, lauten, jubelnden Höhepunkt des Amens, plötzlich: atemlose Stille. Der Dirigent erstarrt in Demutshaltung. Vom Turm her Glockengeläut. Von hinten knarzen ein paar Stühle (wie können sie nur?!). Und irgendwann, einsam wie ein Gebet, das Klavier im Prélude religieux, berückend schön. Dann bricht das Sanctus los... Chor, Sopran, Alt, Tenor, Bass. Den Solisten, sämtlich ausgefuchste Könner ihres Fachs, kam die Sangesfreude aus allen Poren, Knopflöchern und vor allem natürlich den Kehlen – aber das eigentliche Wunder des Abends war der Chor: Laien, Backnanger Bürger, lauter Feierabendsänger. 1000-mal müssen sie geprobt haben und 1000-mal fast verzweifelt sein, bis sie das so hingekriegt haben: Auf den Punkt, ein Leib, ein Fleisch, ein Klang, hoch konzentriert, strahlend (auch die Gesichter ein wunderbarer Anblick), stocknüchtern, berauscht, ganz da, ganz hin und weg. Ganz eins. Ganz viele. Eine Sternstunde. Rossini hätte seine Freude an ihnen gehabt. Gott sowieso. Und Hans-Joachim Renz kann stolz auf sie und sich selbst sein: Alle Mühe wurde reich belohnt.