Die Volksschule mit dem damals neu erstellten Erweiterungsbau (rechts). 1915 wurde die Ansichtskarte abgestempelt. Repros: P. Wolf
Von Claudia Ackermann
BACKNANG. Die Ursprünge des Schulwesens in Backnang reichen bis ins Mittelalter zurück. Spätestens im 13. Jahrhundert wurde im Augustiner-Chorherrenstift Unterricht erteilt, heißt es im Backnang-Lexikon. Auch der Stadtschreiber habe Anfang des 16. Jahrhunderts die Kunst des Lesens und Schreibens gelehrt. Dann reformierte der württembergische Staat das Schulwesen und stellte die Weichen für getrennte lateinische und deutsche Schulen, aus denen später einerseits die Gymnasien und andererseits die Volksschulen hervorgingen.
Michael Dwornitzak hat sich mit der Geschichte der Schulen beschäftigt. Bei einer Stadtführung mit dem Thema „Backnanger Schulgeschichten“ führte er 2009 aus, dass sich die erste nachweisbare Schule in Backnang in dem Fachwerkhaus am Ölberg 10 befand, in dem heute ein Kindergarten untergebracht ist. Dwornitzak informierte über geschichtliche Hintergründe zur Zeit der Reformation und die Anfänge des Schulbetriebs. Überliefert ist, dass 1539 ein Präzeptor, ein Schulmeister, angestellt wurde, der mit seiner Familie in dem Haus am Ölberg wohnte. Ein einziges Zimmer diente als Schulraum für die Lateinschule und die „teutsche Schule“. Mädchen und Jungen wurden hier zu verschiedenen Tageszeiten unterrichtet. Ein Foto aus Peter Wolfs Archiv zeigt das Gebäude am Ölberg 10 im Jahr 1898.
Als die Schülerzahlen in der Deutschen Schule stark anstiegen, musste die Stadt dringend für neue Unterrichtsräume sorgen. 1816/17 wurde auf den Grundmauern der seit dem Stadtbrand 1693 zerstörten St.-Michael-Kirche das Turmschulhaus erbaut, in dem sich heute die städtische Galerie befindet.
Im Jahr 1886 ist eine private Höhere Töchterschule eröffnet worden.
In einem Aufsatz über das Volksschulwesen im Backnanger Jahrbuch, Band 9, von 2001 schreibt Heinz Rauscher, dass 1880 die Zahl der Volksschüler auf 697 angestiegen war. Die Schüler wurden von acht Lehrern – aufgeteilt in acht Klassen – unterrichtet. Auf einen Lehrer kamen demnach 87 Schüler.
„Der Erziehungsauftrag der Volksschule verfolgte den Zweck, die religiös-sittliche Bildung zu gewährleisten. Dazu zählte auch die Erhaltung von Zucht und Ordnung“, ist in dem Aufsatz zu lesen. „Bei schweren Verfehlungen – auch außerhalb der Schule – drohten drakonische Strafen, wie der strengere Schularrest oder die geschärfte körperliche Züchtigung. Der strengere Schularrest bestand in der einsamen Einsperrung in einem dazu geeigneten, wo möglich zum Schulgebäude gehörigen Gelasse bis zur Dauer von zwölf Stunden.“ Die geschärfte körperliche Züchtigung mit Stockhieben konnte vor der versammelten Schülerschaft vollzogen werden.
Zusätzlich zur altsprachlich-theologisch ausgerichteten Lateinschule eröffnete die Stadt 1842 im Bandhaus eine Realschule, die heute einem Gymnasium mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Profil entsprechen würde, informiert das Backnang-Lexikon. Heute befinden sich in dem Gebäude die Jugendmusikschule und das Bandhaus-Theater. Erst 1907 nahm die Realschule nach lebhaften Diskussionen das erste Mädchen auf. Mit der Einrichtung einer Höheren Töchterschule (Privatschule) im Jahr 1886 existierten mit Volksschule, Lateinschule und Realschule vier Schulen in Backnang, heißt es bei Rauscher.
Der Platz für die Volksschüler im Turmschulhaus war Ende der 1880er-Jahre längst zu klein geworden, und sie wurden an verschiedenen Stellen untergebracht. So beschloss man, einen Neubau auf dem stadteigenen Gärtnergelände unterhalb des Güterbahnhofs nach den Plänen von Oberamtsbaumeister Christian Hämmerle zu errichten. 1891 konnte das neue Volksschulgebäude in der Bahnhofstraße eingeweiht werden. „Das über Terrasse mit zweiläufiger Freitreppe auf rechteckigem Grundriss gestellte stattliche Gebäude mit Seitenrisaliten unter Dreiecksgiebeln und mittigem Uhrengiebel in Anlehnung an den Zeitgeist im klassizistischen Stil mit Renaissanceelementen erbaut, entwickelte sich schnell zum Blickfang für vom Bahnhof kommende Besucher der Stadt Backnang“, schreibt Rauscher. Zwei Toilettenhäuschen im Fachwerkhausstil auf der Südseite des Hauses vervollständigten das Gesamtbild. Der Grundriss der neuen Volksschule war so angeordnet, dass das Innere der Länge und Tiefe nach in der Mitte durch Scheidewände getrennt war. Dadurch sollte die strikte Trennung von Mädchen- und Knabenkomplex erreicht werden, die weder durch einen Flur noch durch ein Treppenhaus miteinander verbunden waren. Lediglich zwischen den Schulsälen gab es Verbindungstüren.
Bereits wenige Jahre später reichte auch der Platz im neuen Volksschulhaus nicht mehr aus. Ein Erweiterungsbau wurde 1914 eröffnet – in Peter Wolfs Archiv befindet sich eine Ansichtskarte der beiden Gebäude, die 1915 abgestempelt wurde. Ab da beherbergte das ältere Gebäude nur die Knabenvolksschule und im Aufbau die Gewerbeschule. Im Neubau waren die Mädchenvolksschule, die Mittelschule und die Katholische Volksschule untergebracht. Es wurden fünf neue Lehrerstellen und eine neue Stelle für den Handarbeitsunterricht geschaffen. Handarbeit gehörte übrigens schon lange zum Lehrstoff für Mädchen. Ein Foto von 1931 zeigt, wie es bei einer Nähstunde in der Backnanger Volksschule zuging. Bevor eine gleichmäßige Naht zustande kam, musste geübt werden, die Maschine im richtigen Takt zu betreiben. Das Foto stammt aus dem Album von Gretel Fahrbach aus Backnang. Ihre Mutter Emma Seitter, geborene Bay, ist das zweite Mädchen von links (hinten). Außerdem sind Gertrud Göller, geborene Burgel, und Elsa Zimmermann, geborene Freimann, an den Nähmaschinen zu sehen.
Heute befindet sich im älteren Gebäude der ehemaligen Volksschule die Pestalozzischule (Förderschule) und im später entstandenen Erweiterungsbau die Schillerschule (Grundschule).
Nähstunde in der Volksschule im Jahr 1931. Die Mädchen des Jahrgangs 1917/18 hatten Unterricht bei Fräulein Schlierer. – Das erste Backnanger Schulhaus am Ölberg 10 (rechts). Hier waren einst die Lateinschule und die Deutsche Schule untergebracht.