Eine Frau, die niemals ihr eigenes Leben lebt

Große Kunst im kleinen Haus: Premiere von „Clara Schumann – Die Patriarchin“ im Bandhaus-Theater Backnang endet mit stehenden Ovationen

Eine Frau, die niemals ihr eigenes Leben lebt

Lena Sutor-Wernich besticht in der Rolle der Marie, der Tochter von Clara Schumann. Foto: A. Becher

Von Renate Schweizer

BACKNANG. Jeder kennt Clara Schumann. Keiner kennt Clara Schumann. Sie war das Ripp, das den sensiblen Robert Schumann, ihren Ehemann, in den Wahnsinn getrieben hat. Sie war ein Star. Sie war das Opfer eines narzisstischen Übervaters. Sie war eine große Klaviervirtuosin. Sie war geldgeil – nicht umsonst war sie das Gesicht auf dem 100-DM-Schein. Sie hatte viele Kinder. Sie war eine schlechte Mutter. Sie war ein Pflichtmensch. Sie brachte jedes Opfer für den Erfolg.

Wer war Clara Schumann? Und wer will das überhaupt wissen? Alle wollen es wissen, die bei der Premiere von „Clara Schumann – Die Patriarchin“ im Bandhaus-Theater gewesen sind. Aus Sympathie für die Theatermacherinnen waren die meisten hingegangen und weil man in Backnang inzwischen blindlings ins Bandhaus-Theater geht, egal was gespielt wird, erst recht in die Eigenproduktionen. Zu Beginn der ausverkauften Vorstellung hatten die wenigsten unter den Zuschauern irgendwas mit Clara Schumann am Hut. Als sich nach fast zwei Stunden ohne Pause der Bann des Publikums im fulminanten Schlussapplaus brach, gab es keine und keinen mehr, die oder der es nicht unbedingt wissen wollte: Wer, zum Kuckuck, war Clara Schumann? Das inzwischen bestens eingespielte Autorenduo Jasmin Meindl und Christian Muggenthaler hatten das Textbuch geschrieben. Es sei im Fall Clara Schumann vor allem ums Weglassen gegangen, so berichtet Meindl vorab. Die Methode besteht darin, zunächst Originalzitate aus Briefen, Presseberichten, von Zeitzeugen und aus der Literatur zu sammeln und dann: Weglassen. So viel weglassen, dass am Ende eine bühnentaugliche Geschichte entsteht. Eine Geschichte, die zu drei Vierteln aus Originalzitaten besteht. Eine Geschichte, die vom ersten Moment an das Publikum in Bann schlägt.

Bühnendunkel. Ein Schatten (Gerhard Kleesattel) huscht über die Bühne und verschwindet hinter dem Klavier. Er wird den Abend musikalisch begleiten – ausschließlich mit Kompositionen von Clara Schumann. Eine Frau mit Kerze tritt herein (Lena Sutor-Wernich), schwarz ist sie, streng, traurig und wunderschön. Ist das Clara Schumann? Nein, es ist die Erzählerin von Claras Geschichte. Sie zählt die Lebensdaten auf: Geboren, Trennung der Eltern, erstes Konzert, erste Komposition, erste Reise, Robert Schumann, erstes Kind, zweites Kind, Reisen, Arbeiten, noch ein Kind, noch eins, noch eins, Totgeburten, Roberts Wahnsinn, Reisen, Arbeiten, Roberts Tod, Arbeiten, Reisen, Schlag auf Schlag geht das.

Schwindlig kann einem werden von Anfang an. Schwindlig und ein bisschen übel. Zwischendurch zündet die Erzählerin hier und da ein Lämpchen an, die Bühne wird heller. Wo sind wir? Speicher? Arbeitszimmer? Wohnzimmerchen? Irgendetwas dazwischen wird es wohl sein. Die Schrift auf Wand und Boden ist Notenschrift, handgeschrieben, schwungvoll fließend, elegant. Alles ein wenig vergilbt, warm und würdevoll. In der Ecke ein kleiner Bullerofen, der im Verlauf der Geschichte noch eine wichtige Rolle spielen wird. Ansonsten überall Kästen, Kisten und Stapel von Briefen und verstaubtem Papier (Bühnenbild: Peter Engel). Hier wird ein Nachlass gesichtet. Von der ältesten Tochter, die ihre Mutter wie eine Heilige verehrt und damit den elterlichen Auftrag erfüllt, dem Clara selbst sich verweigert hat. Eine Frau, die niemals ihr eigenes Leben lebt und alle Briefe und Zeugnisse vernichtet, die nicht in ihr Bild von der Mutter passen. Lena Sutor-Wernich spielt Marie, die Tochter, zurückhaltend, mit extrem gebremstem Temperament. Nur wenn sie singt, bricht ihre Kraft sich Bahn mit einer Stimme, die fast zu groß ist fürs kleine Bandhaus-Theater und entschieden zu groß für dieses kleine, zurückgenommene Leben des Verzichts auf alles Eigene, ein Leben, gewidmet der Verehrung der überlebensgroßen Eltern. Mehr Personal als den Mann am Klavier und Claras Tochter braucht die Geschichte nicht. Die Stimmen aus den Briefen des Ehepaars werden aus dem Off eingespielt: Leslie Roehm spricht Clara, Uwe-Peter Spinner Robert Schumann. Die ausgefuchste Technik dieser Einspielungen übrigens ist, wie sie sein soll: unspürbar.

Ob man am Ende erfährt, wer Clara Schumann war? Was jedenfalls klar wird: Genialen Männern wird (fast) alles verziehen. Genialen Frauen (fast) nichts.

Eine weitere Aufführung im Bandhaus-
Theater gibt es am Donnerstag,
28. November, um 20 Uhr.