Kunsthaus Zürich und die Raubkunst-Debatte

„Es geht nicht um Imagepflege“

Das Kunsthaus Zürich hat „eine neue Strategie zur Provenienzforschung“ angekündigt. Wie sieht diese aus? Und wie weit ist man in Sachen NS-Raubkunst in Stuttgart?

„Es geht nicht um Imagepflege“

Gemeinsam für mehr Provenienzforschung: Philipp Hildebrand, Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft, und Ann Demeester, Direktorin des Kunsthauses Zürich

Von Nikolai B. Forstbauer

Provenienzforschung – noch immer umweht diesen Begriff eine eigenartige Mischung aus Desinteresse, Übereifer, Halbwissen und scheinbarer oder tatsächlicher politischer Bedeutung. In dieser Gemengelage horcht man auf, wenn mit dem Kunsthaus Zürich eines der wichtigsten europäischen Museen für die Kunst des 20. Jahrhunderts und geleitet bis Oktober 2022 von dem Stuttgarter Christoph Becker, „eine neue Strategie zur Provenienzforschung seiner Sammlung“ ankündigt – für Werke, die vor 1945 entstanden sind und in der Zeit von 1933 bis 1945 ihren Besitzer gewechselt haben.

Eine Million Franken für die Erforschung

Fünf Ziele formuliert die Kunstgesellschaft Zürich als Trägerin der Sammlung des Kunsthauses – und allesamt können sie kaum überraschen: Man will „proaktiv vorgehen“, „professionelle Prüf- und Qualitätsstandards“ beachten, „faire und gerechte Lösungen bei substantiierten Hinweisen auf unrechtmäßigen Besitz“ suchen, „mehr Ressourcen“ einsetzen und mit „verbesserter Transparenz“ arbeiten – und setzt nicht zuletzt auf die Unterstützung durch eine „unabhängige internationale Expertenkommission“. Zudem will man eine Million Schweizer Franken zur weiteren Klärung der Frage bereitstellen, unter welchen Umständen welche Werke zu welcher Zeit in die Kunsthaus-Sammlung gekommen sind.

Aufhorchen lässt anderes: Die Aufteilung in Raubkunst und zwischen 1933 und 1945 in die Schweiz gebrachtes und dort verkauftes Fluchtgut ist aufgehoben – nun spricht man von „NS-verfolgungsbedingtem Entzug“. Dies entspricht der Realität zahlloser Zwangsverkäufe der damaligen Zeit und weitet das Forschungsfeld deutlich aus.

Keine Neuerung für deutsche Museen

Juristischer Feinsinn ist aber auch hier gefragt, spricht doch der mit der Untersuchung der für die Sammlungs-Glanzlichter des Kunsthauses zentralen Sammlung Bührle beauftragte Raphael Gross von „NS-verfolgungsbedingtem Verlust“. Die Wortwahl ist nur scheinbar milder – sie ermöglicht eine deutliche Ausweitung der Untersuchung der Sammlung Bührle. Was jetzt in Zürich geschieht, ist für die Kunstmuseen in Deutschland schon Vergangenheit. „Wir begrüßen die neu veröffentlichte Strategie für Provenienzforschung des Kunsthauses Zürich, welche sicherlich für die Schweiz große Signalwirkung hat“, sagt Johanna Poltermann, Provenienzforscherin der Staatsgalerie Stuttgart. „Für deutsche Museen“, so Poltermann, „ist hier jedoch keine nennenswerte Neuerung zu erwarten, da die Provenienzforschung zur Identifikation von ,NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut’ an den großen kulturgutbesitzenden Institutionen schon viele Jahre etabliert ist.“ In der Staatsgalerie seit 2009.

Ausgangspunkt „Washingtoner Erklärung“

Poltermann macht noch auf anderes aufmerksam: „Grundlagen für Provenienzforschung in Deutschland sind die Washingtoner Erklärung von 1998, die Gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und Kommunen von 1999, die Erklärung von Terezín aus dem Jahr 2009 und eine ,Handreichung’ der Bundesregierung von 2019.“ Provenienzforschung erweist sich so unmittelbar mit der viel zitierten „großen Politik“ verbunden.

Kritisch mit der eigenen Geschichte umzugehen, das gehört auch zum Selbstverständnis im Kunstmuseum Stuttgart. Seit 2014 betreibt man systematisch Provenienzforschung, seit 2017 ist Kai Artinger mit dieser Aufgabe betraut – und präsentierte 2020 mit der Ausstellung „Der Traum vom Museum ,schwäbischer’ Kunst. Das Kunstmuseum Stuttgart im Nationalsozialismus“ ein viel diskutiertes Projekt, das auch die Zusammenhänge von Unterdrückung einerseits und nationalsozialistischer Visionen andererseits aufzuzeigen suchte. 2024 soll eine Schau folgen, die speziell den grafischen Beständen des Hauses gilt.

Was kommt aus der Sammlung Horkheimer?

Und aktuell? Neben allen Fragen rund um die grafische Sammlung der Stadt Stuttgart im Nationalsozialismus geht es um „die Herkunft ungeklärter Provenienzen der Dix-Sammlung“, sagt Kai Artinger – und zudem um „die unbekannte Herkunft von Kunstwerken, die im ,Dritten Reich’ erworben wurden und im Verdacht stehen, vielleicht aus der ehemaligen Sammlung des jüdischen Textilfabrikanten Moriz Horkheimer zu kommen, des Vaters des Sozialphilosophen Max Horkheimer“.

Kunstmuseumsdirektorin Ulrike Groos weitet den Blick noch: „Geplant ist in naher Zukunft eine Ausstellung, die veranschaulicht, wie die Provenienzforschung der Kunstgeschichte neue Perspektiven auf Kunstwerke mit rassistischen Darstellungen eröffnen kann“, sagt sie. Auch in der Staatsgalerie geht der Blick nach vorne: „Aktuell in Bearbeitung“, sagt Johanna Poltermann, „ist der Audioguide zur Provenienzforschung, den wir erstmals im Jahr 2015 erstellt haben“. Besonderes erwartet das Publikum seit 2020 in Raum 14: Dort kann die auf Virtual Reality basierende „Experience“ „Art Hunters“ zur Provenienz von Max Beckmanns Gemälde „Selbstbildnis mit rotem Schal“ gespielt werden.

Zürichs Gewicht

Im Kunsthaus Zürich ist man derweil um eine klare Position in eigener Sache bemüht. „Es geht hier nicht um Imagepflege und Symbolik, uns ist es ernst“, sagt Direktorin Ann Demeester. Und wie weit auch immer man in Deutschland und speziell in Stuttgart sein mag – das Signal aus Zürich hat Gewicht für die gesamte Fragestellung.