Dokumentarfilm „Schattenkind“ über Fotograf Andreas Reiners in Backnang zu sehen

Der bei den Hofer Filmtagen ausgezeichnete Dokumentarfilm „Schattenkind – Andreas Reiner – Bilder eines anderen Lebens“ wird am 13. März im Backnanger Universum-Kino gezeigt. Im Anschluss an die Vorstellung wird zu einem Filmgespräch mit dem Protagonisten eingeladen.

Dokumentarfilm „Schattenkind“ über Fotograf Andreas Reiners in Backnang zu sehen

Fotograf Andreas Reiner bei der „Schattenkind“-Premiere im „Atelier am Bollwerk“ in Stuttgart. Foto: Alexander Gonschior

Von Ingrid Knack

Backnang. „Guta Morga“. In Andreas Reiners Stimme klingt freudige Zugewandtheit mit. Der breite oberschwäbische Dialekt zeigt: Da ist einer authentisch. Wir treffen den Fotografen telefonisch nicht in Galmutshöfen bei Biberach in seinem alten Bauernhof an, sondern in einem Hotel in Aachen. „Nachher geht’s weiter nach Köln“, sagt er. „Die Filmtour geht jetzt wieder los.“

Am Montag, 13. März, kommt Reiner auch nach Backnang. „Da feiere ich meinen Geburtstag im Kino. Das ist okay“, meint er. Es ist sein 55ster. Nach der Vorstellung des Dokumentarfilms „Schattenkind – Andreas Reiner – Bilder eines anderen Lebens“ um 19.30 Uhr spricht der Protagonist mit dem Publikum. Kinobetreiberin Annegret Eppler schreibt uns: „Dass Herr Reiner persönlich kommt und sich Zeit für Fragen nimmt – das ist neben dem Film an sich für uns und ganz Backnang ein echter Glücksfall. Da kommt ein ganz besonderer Mensch. Und zwar einer, der sich weder verbiegt, noch in eine Schublade gehört. Und eben einer, der alle Höhen und Tiefen kennt.“

Am 26. Januar kam der Dokumentarfilm in die Kinos

Der 88 Minuten dauernde Streifen des Stuttgarter Filmautors und Regisseurs Jo Müller erhielt bei den Internationalen Hofer Filmtagen 2022 den mit 7500 Euro dotierten Hofer Granitpreis für die beste Regie eines Dokumentarfilms. Am 26. Januar kam er in die Kinos. Müller zeigt darin Reiner, den vielfach ausgezeichneten Fotografen mit der Vita, die sich keiner wünscht, bei der Arbeit. Die Hofer Jury sprach von einem gefühlvollen Porträt eines mitreißenden Künstlers, „dessen Leben identisch mit seiner bewegenden Fotografie ist“.

Als Andreas Reiner 15 Jahre alt war, starb sein damals 47-jähriger Vater an einem plötzlichen Herztod. Von seinem Vater, der beruflich viel im Ausland war, weiß er nicht mehr viel, erzählt er im Film. Für den Sohn Andreas hatte der Inhaber einer Maschinenbaufabrik in Wangen bei Göppingen kaum Zeit.

Andreas Reiners Mutter wurde nach dem frühen Tod ihres Mannes depressiv und unternahm mehrere Selbstmordversuche. Er sei damals immer mit einem Messer herumgelaufen, falls sie irgendwo hängen würde, um sie „herunterholen“ zu können, gibt er in dem Film Einblick in seine schwierige Jugendzeit. Der fünfte Selbstmordversuch seiner Mutter gelang, das war der Tag vor Reiners 21. Geburtstag. „Meine Mutter hat sich nie getraut zu trauern. Sie hat gedacht, sie muss immer taff sein“, so sieht es Reiner heute.

Als Junge fühlte er sich als der nicht gewollte Nachzügler

Schon als sein Vater noch lebte, fühlte sich das Kind Andreas als Schattenkind. Seine zwei Geschwister sind älter, er empfand sich als der nicht gewollte Nachzügler. Das hatte Folgen. „Ich war kein Guter“, versichert er. Der Harley-Davidson-Fan mit dem robust wirkenden Äußeren hatte eine stark verletzte Seele. Das drückte sich auch in Aggression aus. Seinen Zimmereibetrieb setzte er in den Sand, seine Ehe ging in die Brüche, seine schwangere Frau verließ ihn nach kurzer Zeit. Reiner merkte selbst, dass es so nicht weitergehen konnte und suchte einen Ausweg. Diesen sah er in einem Aufenthalt in der geschlossenen Psychiatrie als angeblich Suizidgefährdeter.

Nach der Zeit des Zusichkommens schulte er um und ließ sich als Fotograf ausbilden. Da war er fast schon im Schwabenalter. Während seiner Ausbildung entstand eine preisgekrönte Bildserie über das Warten auf den Tod in einem Hospiz. Später fotografierte Reiner im Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Neurologie und Rehabilitation in Göppingen den Chef der Tagesklinik im Museum der Einrichtung. Die Geschichten hinter den Exponaten sagen ihm mehr als einem anderen Besucher. „Ich leide da mit, ich kann da mitschwätzen“, kommentiert Reiner in „Schattenkind“.

Der Dokumentarfilm zeigt genau diese Seite des Fotografen Reiner. Er blickt hinter die Fassaden, nicht der Schein, sondern das wahre Sein des Menschen interessiert ihn. Das ist bei den Prominenten, die er fotografiert hat, nicht anders als bei den Menschen, die in unserer Welt zu den Randgruppen gehören. Reiners Vergangenheit erklärt, warum der Oberschwabe zu diesen tief berührenden und zuweilen auch abgefahrenen Bildergebnissen kommt.

Er kann sich in die Gefühle der Menschen hineindenken. Er führt, bevor er abdrückt, meist lange Gespräche mit den Modellen und schafft so Vertrauen. Seine offene Art scheint den Porträtierten zu helfen, sich ebenfalls nicht zu verstellen. Reiner macht auch vor Themen nicht halt, vor denen viele lieber die Augen verschließen. Für eine Serie fotografierte er Sargbeigaben. Selbst bei diesem Thema gelingt es ihm, beim Zuschauer ein Schmunzeln hervorzurufen. Etwa wenn er von gelben Säcken als Sargbeigaben spricht, die einem akkuraten Mülltrenner ins Jenseits mitgegeben wurden.

Beginn und Ende des Films handeln von der Arbeit an einem bestimmten Foto

Der Film beginnt und endet mit der Arbeit an einem Foto, das für die Verletzlichkeit von Mensch und Natur steht. Der Pianist Dirk Maassen spielt an einem Flügel, das Publikum sind Menschen mit Masken als einziges „Bekleidungsstück“. „Am verletzlichsten ist man – außer man ist Nudist – wenn man nackt ist“, sagt Reiner. Die Maske sei für die Fotografierten eine Art Schutz gewesen. Bis allein dieses Bild im Kasten war, hat es rund zwei Monate gedauert. Die Genehmigungen dafür zu bekommen, war nicht einfach. Denn der Kran, mit dem der Flügel auf die abgeholzte Fläche gehievt wurde, stand auf einer anderen Gemarkung als die Nackten. „Das heißt, ich hätte zwei Polizeibehörden einbinden müssen in dieses Projekt.“

Doch Reiner hatte Glück, einer der Bürgermeister setzte sich für ihn ein. „Die eine Gemeinde hat dann für diesen Tag die Hoheitsrechte, wenn man das so nennen kann, auf die andere Gemeinde überschrieben, sodass ich nur eine Polizeibehörde brauchte.“ Im Gegensatz dazu musste Reiner mit drei Forstbehörden verhandeln, damit der Kran überhaupt an den gewünschten Ort transportiert werden konnte. Das Foto hat etwas Apokalyptisches. Der Pianist scheint erst aufzuhören zu spielen, wenn die Welt untergeht...

Ein Bild, das lange im Kopf bleibt

In der Serie „Mofahelden“ ist der geistig behinderte Helmut auf einem der Bilder die Hauptperson. Er mimt mit einer Banane statt einer Pistole in der Hand James Bond. „Mit der Lizenz zum Bananen verspeisen“, wie er stolz während der Entstehung der Aufnahme sagt. Ein skurriles Bild, das einem aber wie viele der anderen Fotografien Reiners nicht mehr so schnell aus dem Kopf geht. Nein, Reiner führt den Helmut nicht vor. Dass der Mann Teil der Mofahelden sein darf, verleiht ihm Würde, er wird nicht stigmatisiert, nicht ausgegrenzt. „Er war stolz, dass er James Bond war, und er spricht heute noch darüber und hat das Foto in seinem Zimmer hängen“, weiß Reiner.

Andere Bilder können nur entstehen, weil auch die Porträtierten auf ein Thema aufmerksam machen möchten. Eine in durchsichtige Folie gepackte Frau mit einem Lipödem lehnt an ein überdimensionales Bett, das extra für das Foto hergestellt wurde. Zu ihren Erfahrungen gehört, dass Leute sie nicht mehr einladen, weil sie Angst haben, ihr Gästebett geht kaputt, wenn sie darin liegt. Geschichten wie diese will Reiner in ihrem Gesicht lesen, und das erzählt denn auch von Unbehagen.

Die Porträtierte steht stellvertretend für all die Frauen, die eine Störung der Fettverteilung haben, die kein Selbstverschulden, sondern eine Krankheit ist. Reiner konfrontiert die Gesellschaft mit Themen, bei denen viele gerne wegsehen. „Ich hätte mir vielleicht früher auch gewünscht, dass ein Fotograf kommt und eine Serie über Jugendliche macht, deren Mutter sich erhängt hat.“