Florale Bildwelten von 35 Künstlern

„Aufgeblüht und abgelichtet: Blumen in der Fotografie“ in der Galerie Stihl Waiblingen – Vernissage ist am Samstag

Anlässlich der Remstal-Gartenschau widmet sich die Sommerausstellung der Galerie Stihl Waiblingen Blumenmotiven in der Fotografie. Es eröffnen sich überraschend facettenreiche florale Bildwelten, die allesamt deutlich machen, dass Blumen weit mehr sind als hübsch und harmlos. Eröffnet wird die Ausstellung am Samstag, 11. Mai, um 11 Uhr, entweder auf dem Galerievorplatz oder in der Kunstschule nebenan. Zu sehen ist die Schau bis zum 25. August.

Florale Bildwelten von 35 Künstlern

Stilleben von Michael Wesely.

Von Jörg Nolle

WAIBLINGEN. Die Pracht findet im Saale statt. Es sollte jetzt zur Gartenschau eben nicht die Grasnarbe in der Talaue aufgerissen werden, um Blumenzwiebeln zu stecken. Stattdessen geht es in die Galerie Stihl Waiblingen, damit es uns ganz blümerant wird. Um bald zu erfahren, dass es sich bei den Fotografen von „Aufgeblüht und abgelichtet“ meist um abgebrühte Konzeptkünstler handelt, die uns durch die Blume einiges sagen wollen. Im so sehens- wie lesenswerten Katalog ist es die Kuratorin Stephanie Buck, die die Marschrichtung durchs weite Feld vorgibt. Das Heer der versammelten Lichtzeichner, die mehr als 30 national und international tätigen Fotokunstschaffenden sind angetreten, „den vorherrschenden Banalitätsverdacht“ zu entkräften, der auf der Flora laste. Die Blumen also im Spiegel dessen, was wir der Natur und damit auch uns antun. So ist es.

Aber wer die Augen aufgerissen bekommen will, der wird eben auch bedient. Es ist ein Staunen über die Wunder der Natur, egal ob gezüchtet oder nicht. Öfters aber auch ein Aufblitzen des menschlichen Geistes, was sich zu dem Thema machen lässt: technisch, thematisch, problematisch – nein: unser Verhältnis zur Natur problematisierend.

Wer das Kunsthaus in der Talaue betritt, hat die Wahl. Links herum, als ob man durch einen Vorhang von Blumen geht, oder rechts, der Ausstellungssystematik folgend. Tagelang haben die Freunde der Galerie mit dem Blumenvorhang ein Werk umgesetzt, das der britischen Objektemacherin Rebecca Louise Law vorschwebt. Ein starker, fünf Meter hoher Auftakt. Der nebenbei der Stadt zeigt, was sie sich vergeben hat mit der Absage an ein Wohngebäude, dessen Fassade rundum begrünt worden wäre. Es handelte sich um den vorletzten Versuch, sich doch noch mit der Natur zu versöhnen. Der Auftakt der Schau zeigt die Historie der – ein Arbeitstitel, nichts weiter – Blumenfotografie. Vor 90 Jahren, im Mai 1929, geschah es, dass bei der Werkbund-Schau „Film und Foto“ in Stuttgart die US-amerikanische Avantgarde-Lichtbildnerin Imogen Cunningham und der deutsche Fotograf Karl Blossfeldt ihre botanischen Nahaufnahmen präsentierten. In strengem Schwarz-Weiß. Aber spätestens bei Cunningham hatte die Blumenfotografie ihre Unschuld verloren. Blütenkelche, Samenstände – noch näher und noch expliziter machte es nur ein weiterer Klassiker: Robert Mapplethorpe, sonst bekannt als Fotograf männlicher Akte. Die Waiblinger Ausstellungsmacherinnen packen dieses sehr körperliche Kapitel in das Begriffs-Bouquet „Sinnlichkeit“. Die Hinführung ist schon einmal gelungen: Wer nach der Geschichte der Lichtbildnerei von Blühgewächsen sucht, der findet diese in der Schau.

Natur versus Konstruktion und barocke Opulenz

Es laufen einem die Augen über, fürwahr. Aber je näher man rangeht, je mehr man weiß, wie immer, umso mehr treten Technik und Thematik ins Blickfeld. Die Texttafeln zu den zehn Kapiteln leisten einiges, mehr noch der hervorragende Katalog. Es geht vom Kapitel „Barocke Opulenz und zeitgenössische Inszenierung“ über „Natur versus Konstruktion“ bis zu Beispielhaftem zum Phänomen der „Transparenten Blüten“. Und wie das entschleiernd Durchscheinende eben hergestellt wird.

Wieder und wieder sehen wir: Die Pracht ist zweischneidig. Sie ist schön anzuschauen, sicher. Im Stand der vollen Blüte. Wer aber weiß, dass er sein Leben nur geliehen hat, der findet hier jede Menge Symbole der Vergänglichkeit. Die christliche Ikonografie griff immer wieder auf Schlüssel-Blumen zurück. Die alten Meister arrangierten ihre Stillleben so, dass sie dem französischen Synonym nature morte den Stempel geben: tote Natur. Und schon sehen wir von Amin El Dib Reste von verwesten Schnittblumenbildern, die wir nicht einmal in die Hand nehmen wollen. Aber der Tod kann so artifiziell sein, dass er längst schon wieder schön ist. Da kommen die verwelkten Pusteblumen von Brigitte Lustenberger ins Spiel. Ins Kapitel frappierende Technik gehören die opulenten Aufnahmen von Luzia Simons. Sie drapiert auf einen Scanner Schnittblumen. Alles Nahe ist gleichermaßen hell und scharf, das Entfernte driftet ab ins obskur Dunkle. Plastischer, drastischer hatten wir nie Blütengewächse vor Augen. Der Vergänglichkeit nach helfen Michael Wesely und Martin Klimas. Wesely dokumentiert das Verblühen in einem einzigen Bild, aber im Verlauf von mehreren Tagen. Er ist bekannt geworden mit der Begleitung des Umbauprozesses des Moma in New York über zwei Jahre hinweg. Martin Klima dagegen verübt einen Anschlag auf einen Strauß mit Dahlien, indem er auf die Vase schießen lässt. Der Sekundenbruchteil des Zerspringens des Glases war sein fotografisches Objekt der Begierde – und in unseren Augen läuft ein kleiner Film ab. Judith Huemer gehört ins Fach der Performerinnen, die ihren eigenen Körper einsetzen. Sie streift sich einen blumenbedeckten Overall über, fotografiert die Bewegungen damit und erzeugt dann digital eine All-over-Struktur, wie es den Freunden des abstrakten Expressionismus gefallen muss. Rosemary Laing greift vollends in die Landschaft ein und bedeckt den Waldboden in Australien mit einem geblümten Teppich. Ihr Kommentar zur Kolonialisierung der Wildnis. Man spürt, die Einschläge kommen näher. Es geht um unser Verständnis von Natur, unser Verhältnis zu den Grundlagen aller Lebewesen. Noor Damen richtet das Objektiv auf den industriellen Anbau. Es geschieht auf Distanz, so als ob sie illegal in eine Plantage eindringt. Wout Berger, auch ein Holländer, dokumentiert, zu was wir Blumen eben auch gebrauchen. Wir brauchen dringend ihre Wurzeln, damit eine Böschung aus kontaminiertem Sand nicht weiter abrutscht. Das Ergebnis ist ein dürres Strauchwerk, versandet, verlandet. Die Blumen des Bösen züchten wir schon selber. Wer dann aufatmen will, der nimmt sich die Kunstprodukte von Kai-Uwe Schulte-Bunert vor. Perfekt, diese Symmetrie, die aparte Farbigkeit. Aber aus Pappmaché, Holz, Stoff, Draht, Glasperlen nachgebaut. Ein Fake. Noch das Spiel mit Licht und Schatten dazu, und wir können diese Illusion haben: Wenn die Natur versagt, zusammenbricht, dann bauen wir uns halt eine neue.