Gag-Feuerwerkmit Tiefgang

Philipp Weber analysiert in der Gruschtelkammer Auenwald unsere Bedürfnisse

Ernste Themen wie Manipulation und Werbung, Religion und Rechtspopulismus sowie Geschlechterklischees werden vom wahlschwäbischen Kabarettisten Philipp Weber zugleich wissenschaftlich und unterhaltsam zerlegt. Weber ist gebürtiger Pfälzer und lebt in Tübingen. Er gastierte bereits zum dritten Mal in der Sängerhalle Oberbrüden.

Gag-Feuerwerk
mit Tiefgang

Von Carmen Warstat

AUENWALD. „Wir sind noch nicht fertig“, unterbricht Philipp Weber sich selbst, denn er ist ein wenig von seinem Thema abgekommen. Eben noch hatte er begonnen, das Maslowsche Modell zu erläutern, wonach unsere Bedürfnisse pyramidal angeordnet sind, schon wirft er den Begriff der identitären Bedürfnisse ein, um Rechtsaußen in der Politik zu thematisieren. Und da redet er Klartext: Rechte Intellektuelle sind ihm „ein Widerspruch in sich“, das Gegenteil jeder Tautologie nämlich, also – kein weißer Schimmel, sondern eine „hilfreiche Telekom“, die gibt’s ja auch nicht, ein Widerspruch in sich eben. Und dann der phänomenologische Ansatz. Klingt intellektuell, ist dennoch witzig. Also: Haaransatz. Weber spricht hier von Haaren, genauer den Haaren von Donald Trump, Boris Johnson, Kim Jong-un, die er als „irre Menschen“ bezeichnet, deren Haaransätze ein Phänomen repräsentieren: „Nationalismus ist nicht nur gefährlich, sieht auch scheiße aus. Aus einem kranken Kopf sprießt kein gesundes Haar!“

So klar, so gut. Bei Philipp Weber gilt es, auf wissenschaftlicher Grundlage zu lachen und bis zum Umfallen zu lachen. Es hagelt Konsumkritik, und immer kontrastieren deutliche, zuweilen deftige Beispiele mit wissenschaftlichen Begriffen und Ausführungen oder hehre Dichternamen mit Dumpfbacken aus der Realität. Der Kabarettist transportiert, immer noch, möchte man meinen, die eigene Empörung über gesellschaftliche Auswüchse wie die der Werbeindustrie natürlich per Text, vor allem und in faszinierender Weise, aber auch über eine Stimme, die sich in ungläubige Höhen schrauben oder so fassungslos versagen kann, dass es zum Lachen verführt.

Und er lacht mit, charmant und ohne Selbstgefälligkeit, einfach so, als freute er sich über seine Eingebungen und die Einigkeit mit dem Publikum. Es ist ein regelrechtes Gag-Bombardement mit ernstem Hintergrund. Begriffe wie Emotion, Manipulation, Bedürfnis, Angst, Obsoleszenz werden durchdefiniert mit dem Ergebnis, dass (mit Rousseau) Eigentum als „eine Gefahr für die menschliche Freiheit“ erkannt wird, denn „was du besitzt, besitzt am Ende dich“. Weber macht es fest an Milchaufschäumern und Weber-Grills, an Gillette und an Toilettenpapier, auch an Bier, an Nutella und an Autos natürlich.

„Auch für euch hat die Pharma-Industrie ein ganzes Füllhorn neuer Krankheiten“

Nicht Halt macht der Künstler vor der Pharma-Industrie: „Auch für euch hat die Pharma-Industrie ein ganzes Füllhorn neuer Krankheiten.“ Sexuelle Unlust ist ohnehin längst pathologisch eingestuft, auch wenn Weber sie „vollkommen in Ordnung“ findet. Aber, da der DSM 5 (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen, 5. Auflage) bei mehr als zweiwöchiger Trauer nach einem Todesfall bereits von einer „Anpassungsstörung“ spricht, versagt die Stimme des Kabarettisten wieder. Er hat recherchiert, ist bestens informiert und gebildet und legt seinem Lachprogramm abgesicherte Informationen zugrunde. Das macht es insofern glaubwürdig und umso wirksamer, als Neues oder Unbekanntes stets auf Vertrautes trifft. David Beckham immer und immer in Unterhosen etwa oder Uli Hoeneß’ Rechtsschutz oder Eierlikör („Ohne Advokat würde ich heute noch sitzen“).

Philipp Weber bezeichnet sich selbst als Zweckrationalisten (mit einem Auto, das Gebrauchsgegenstand und „letztes Refugium der Pottsau in mir“ ist) und als Conchita Wurst des Kabaretts (er erklärt dies nicht näher), als Hannibal Lecter der Küche auch (hat er doch sämtliche Klingen und Maker zu Haus).

Weber ist studierter Biochemiker und weiß um die gefährlichen Potenziale von Trockeneis. Die Mechanismen von Werbung, Produktplacement und Machtpolitik hat er durchschaut und arbeitet als Aufklärer erster Güte. Vom seinerseits erwähnten HDS (Humor-Defizit-Syndrom) keine Spur.