Gegen Mainstream gebürstet

Simone Solga eröffnet Gruschtelkammer-Saison in Auenwald mit dem Programm „Das gibt Ärger“

Mit einem herz- und geisterfrischenden Auftritt der Kabarettistin Simone Solga startete jetzt die neue Spielzeit der Gruschtelkammer Auenwald. Ihr Programm „Das gibt Ärger“ begeisterte das Publikum in der Sängerhalle Oberbrüden. Die langjährige Kanzlerflüsterin hat sich mittlerweile emanzipiert...

Gegen Mainstream gebürstet

Die einstige Kanzlerflüsterin bittet in Oberbrüden um Asyl : „Das gibt Ärger“ heißt das aktuelle Programm von Simone Solga. Foto: A. Becher

Von Thomas Roth

AUENWALD. Es ist eine pfiffige Story: Ihren Job als Kanzlersouffleuse hat sie gekündigt. Simone Solga beantragt jetzt Asyl – in vielen Kommunen hat sie das schon getan, nun ist Oberbrüden an der Reihe. Und sie drückt auf die Tränendrüse. Sie komme aus einem krisengeschüttelten Gebiet, wo nur noch Hoffnungslosigkeit herrsche, also aus dem Kanzleramt, und sei über die Balkanroute (Backnang, Unterweissach, Unterbrüden) hierhergelangt. Wenn es ihr hier gefalle, erwäge sie, ihre Familie nachzuholen.

Hohe Präzision, tiefe Sachkenntnis, breiter Thementeppich und lange Erfahrung: Die gebürtige Leipzigerin ist ausgebildete Schauspielerin und hat über Jahre in Leipzig Theater gespielt. Als erste ostdeutsche Mimin engagierte Dieter Hildebrandt sie zu Beginn der 1990er-Jahre für die Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Die Trägerin des Deutschen Kleinkunstpreises (2018) hatte sich zuvor bei der Leipziger Pfeffermühle das Feld des politischen Kabaretts erschlossen.

Nicht nur im Ensemble, sondern vor allem auch in ihren One-Woman-Shows brilliert die 56-Jährige mit glasklaren Aussagen. Diese mögen dem einen oder anderen ein spontanes „Hoppla“ entlocken. Denn Solga übernimmt keineswegs mainstreamige Meinungen. Sie geht differenziert zu Werke. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit für Frau und Mann? Ja, aber auch für mittelmäßige Leistung, fordert sie und weiß, dass Frauen meist mehr leisten müssen, um anerkannt zu werden. In Führungspositionen agieren sie, so Solga, potenziell ebenso irrational wie Männer – nur eben anders.

Provokanz („Ich liebe meinen SUV“), durchaus Distanz zum Umgang mit dem Phänomen Greta Thunberg, Gendersprache („Als ob wir keine anderen Probleme hätten“): Es gibt kaum ein gesellschaftliches oder politisches Thema, zu dem sie nicht ihre ureigene, aus ihrer (auch ostdeutschen) Lebenserfahrung gespeiste Meinung zum Besten gibt. Das ist mutig und, sieht man das gesamte Programm, dabei gänzlich unverdächtig. Und wenn sie sagt, dass sie lieber in Locations wie der Gruschtelkammer als im TV auftritt, glaubt man ihr das aufs Wort. Sie habe keine Lust, sich von irgendwelchen TV-Redakteuren ihr Programm glätten zu lassen, auf dass es sendefähig werde.

Als Solga mal kurz und exakt die Zusammenhänge der Flüchtlingsbewegung auf dem afrikanischen Kontinent darlegt, herrscht in der Gruschtelkammer betroffene Stille, wie man sie dort selten erlebt hat. Mit ihrem Charme und ihrer Souveränität löst sie diese Nullpunktstimmung im Nu wieder auf, aber gesagt ist gesagt, und das sitzt.

Es ist das heterogene, das persönlich subjektive Moment, das diese Künstlerin so glaubhaft macht. Simone Solga pirscht sich nicht an kalauerische, leichte, seichte Pointen an, obwohl sie auch das locker beherrscht, sondern erzählt von ihrer inneren Stimme, die sagt: Jetzt hast du Lust auf Leberwurstbrot mit Essig- oder Salzgurke. Auf diese Stimme hört sie gern, wenn auch mit etwas schlechtem Gewissen. Sie entlarvt den Umgang mit Schuldgefühlen wie Flugscham („Ist das eine nackte Stewardess?“) als halbherzig („dann streichen wir die Reise nach Südafrika“ – die eh nicht geplant war) und verschont niemand, keine Partei oder deren Vertreter, das Publikum nicht – auch nicht sich selbst. Irgendwie, so sagt sie gegen Ende, „mag ich die Merkel ja auch irgendwie, auch wenn ich mir ein Leben ohne sie wünsche“. Irgendwie typisch für Solga. Erfrischend inkonsequent. Unideologisiert. Einfach ein Mensch.