Generation 1975: Mit 14 ins neue Deutschland

Ina Rommee und Stefan Krauss sind in Backnang aufgewachsen und arbeiten mittlerweile als Künstlerpaar in Berlin. In ihrer Videoinstallation im Haus der Geschichte in Stuttgart haben sie die Generation zwischen Mauerbau und Fall der Mauer im Blick. Ein weiteres Projekt ist geplant.

Generation 1975: Mit 14 ins neue Deutschland

Ina Rommee und Stefan Krauss bei der Videoaufnahme eines Interviews mit einem Zeitzeugen. Fotos: privat

Von Claudia Ackermann

Backnang/Stuttgart. Heute vor 60 Jahren wurde mit den Vorbereitungen zum Bau der Berliner Mauer begonnen, die erst über 28 Jahre später wieder geöffnet wurde. Die Generation, die zwischen Mauerbau und Mauerfall geboren wurde, hat in jungen Jahren nur das geteilte Deutschland erlebt. Ina Rommee und Stefan Krauss, die beide in Backnang aufgewachsen sind und jetzt in Berlin leben, sind der Frage nachgegangen, wie Jugendliche in Ost und West die Wiedervereinigung und ihr Leben davor und danach empfunden haben. Aus Gesprächen mit zehn Zeitzeugen, die alle 1975 geboren sind, haben die Medienkünstlerin und der Fotograf und Kameramann die künstlerisch-dokumentarische Videoinstallation „Generation 1975: Mit 14 ins neue Deutschland“ erstellt, die im Haus der Geschichte in Stuttgart zu sehen ist.

In der Runduminstallation mit zehn Monitoren in der Baden-Württemberg-Lounge kommen Personen zu Wort, die in Ost- oder Westberlin, in Brandenburg und in Baden-Württemberg aufgewachsen sind. Ganz unterschiedliche Perspektiven sollen aufgezeigt werden. Das Projekt ist in Zusammenarbeit mit den Generationenprojekten „Oral History“ der Universität Konstanz entstanden. Von dort aus wurden die Teilnehmer, die sich nach Aufrufen in Zeitungen und im Radio gemeldet hatten, ausgewählt. Knapp 150 Personen hatten sich zur Mitwirkung bereit erklärt, von denen zunächst 25 für jeweils drei- bis vierstündige Interviews ausgewählt wurden. Dass aus Baden-Württemberg ein Teilnehmer aus Backnang und einer aus Großaspach dabei sind, ist reiner Zufall. Der Interviewpartner aus Backnang stammt aus einer Pfarrerfamilie, die engen Kontakt zu einem Pfarrer in der DDR hatte, den er dort mit seinen Eltern mehrfach besuchte. Der Teilnehmer aus Großaspach stammt aus der Türkei und hatte Familienangehörige, die in Westberlin lebten. Aber es gibt auch den Bericht einer Frau vom Bodensee, die offen sagt, dass sich für sie durch den Mauerfall nichts geändert hat, „außer dass es ein paar Seiten mehr in den Geschichtsbüchern gab“.

Die Teilnehmer, die den Mauerfall in beiden Teilen Berlins miterlebt haben, sprechen über ganz persönliche Erinnerungen und Gefühle. Die große Veränderung und die Menschenmassen auf den Straßen konnten für einen 14-jährigen Teenager auch beängstigend sein. Ina Rommee erläutert zur Videoinstallation: „Der Zuhörende befindet sich den Zeitzeugen gegenüber und kann beobachten, wie eine Generation beim Erzählen innehält und sich an die Jugend und Kinderzeit in der DDR oder der BRD erinnert. Wie sie den Erzählfaden wieder aufgreift und die oder der jeweils Nächste ihn mit seinen Erfahrungen weiterspinnt.“ Ina Rommee und Stefan Krauss haben die Mitwirkenden übrigens jeweils zu Hause besucht und dort die Videoaufnahmen gedreht. Dass auch Interviewpartner in und bei Backnang dabei waren, freute sie besonders. Stefan Krauss wurde 1983 in Backnang geboren, besuchte das Max-Born-Gymnasium und später die Schauspielschule in Stuttgart. Dann zog es ihn zunächst für längere Zeit auf Reisen nach Südamerika und Asien. Zurück in Deutschland ließ sich der Fotograf vor zwölf Jahren in Berlin nieder.

Ina Rommee ist in Kasachstan geboren und kam im Alter von zwei Jahren nach Deutschland. Zunächst wohnte die Familie für kurze Zeit in Schorndorf und zog dann nach Backnang um. Hier verbrachte sie ihre Grundschulzeit an der Mörikeschule und besuchte danach die Schickhardt-Realschule. Im Jahr 2004 begann sie eine Grafikdesignausbildung in Cannstatt, erwarb die Fachhochschulreife und ging ebenfalls vor zwölf Jahren nach Berlin, wo sie Visuelle Kommunikation und Kunst und Medien an der Universität der Künste studierte. Obwohl Ina Rommee und Stefan Krauss beide ihre Kindheit und Jugend in Backnang verbrachten, sind sie sich wissentlich hier nie begegnet.

Als es sie im selben Jahr nach Berlin verschlug, wollte es der Zufall, dass sie beide im Bezirk Neukölln nur wenige Häuser voneinander entfernt wohnten. „Wir haben uns auf dem Dach kennengelernt“, blickt Ina Rommee heute zurück. Die Dächer der Häuser in Neukölln waren miteinander verbunden. Man konnte durch Luken aussteigen und hoch oben ganze Altbaublocks entlanggehen. „Ziemlich viele Leute waren auf den Dächern unterwegs“, erinnert sich die heute 32-Jährige. Ina Rommee verbrachte dort Zeit mit Mitbewohnern ihrer Wohngemeinschaft, Stefan Krauss mit seinen Freunden. Als sie sich kennenlernten, stellten sie nicht einmal an einem Akzent fest, dass sie beide aus Schwaben stammten. „Dort oben fühlte man sich frei“, sagt Stefan Krauss. „Wo man herkam oder was man ist, war nicht so entscheidend.“ Die beiden trafen sich daraufhin öfter an diesem besonderen Ort. Erst später stellte sich ihre gemeinsame Verbindung zu Backnang heraus. Heute leben und arbeiten sie zusammen in einem anderen Berliner Bezirk und haben einen Sohn im Alter von eineinhalb Jahren. Die Dachluken in Neukölln hat man inzwischen verschlossen, weiß das Künstlerpaar.

Generation 1975: Mit 14 ins neue Deutschland

Videoinstallation in der Baden-Württemberg-Lounge im Haus der Geschichte in Stuttgart.

Weitere Zeitzeugen gesucht

Die Videoinstallation „Generation 1975: Mit 14 ins neue Deutschland“ in der Baden-Württemberg-Lounge im Haus der Geschichte in Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 16, wird gefördert von der Bundesstiftung Aufarbeitung, der Bundeshauptstadt Berlin und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Sie kann noch bis 29. August besichtigt werden.

Ein weiteres Projekt mit dem Titel „Generation 1961 Mauerbau“ ist geplant, für das noch Zeitzeugen für die Interviewstudie gesucht werden. Informationen gibt es unter www.geschichte.uni-konstanz.de/bertram/generationmauerbau.