Gleis eins bietet neue Möglichkeiten

Großhöchberg hat ab sofort einen Bahnhof: Er ist die nächste Station im sich stetig weiterentwickelnden Kabirinett

Die neue Freiluftinszenierung „Abgefahrn!“ des Kabirinetts feiert heute Abend Premiere und Großhöchberg hat ab sofort einen Bahnhof. Er ist eine weitere Station auf dem Weg des kleinen Theaterhauses, das es seit nunmehr fast 20 Jahren gibt. Weitere Neuerungen kündigen sich an: Der Biergartenbetrieb soll professionalisiert und das Theater um einen Anbau erweitert werden.

Gleis eins bietet neue Möglichkeiten

Gesa Weik als Kioskbesitzerin und Thomas Weber als Bahn-Servicemitarbeiter Christian Schnauffer verkürzen den Reisenden auf Gleis eins die Wartezeit mit Kleinkunst und Kulinarik. Fotos: A. Becher

Von Nicola Scharpf

SPIEGELBERG. Großhöchberg hat einen Bahnhof. Einen Hauptbahnhof sogar, mit Gleis eins. So soll der kaum 100 Einwohner zählende Spiegelberger Teilort zum Verkehrsknotenpunkt werden. Von Sulzbach über Spiegelberg und Großhöchberg nach Moskau – ohne lästiges Umsteigen in Hall, um drei Minuten früher auf dem Kreml zu stehen: Es sind sensationelle Nachrichten, die Theatermacher Thomas Weber in der Rolle des Bahn-Servicemitarbeiters Christian Schnauffer in der Eingangssituation des zweistündigen Open-Air-Stücks „Abgefahrn!“ überbringt. Aber – so ist das in der ausverkauften Premiere wie auch zu den weiteren Spielterminen der Inszenierung – der Zug, auf den Schnauffer, Kioskbesitzerin Elli Schieber (gespielt von Gesa Weik) und die Reisenden im Publikum warten, kommt leider nicht. Stattdessen kommen Pointen und Wortwitz in den Dialogen zwischen „dem Mann mit Pfiff und der roten Mütz’“ und der akrophoben „Saftschubse mit Vertriebshintergrund“. Zu der Wartesituation gesellen sich eine kleine Beziehungsgeschichte, weitere Nebengeschichten wie die vom merkwürdigen Koffer sowie schwäbische Imbiss-Highlights für die Wartenden – um die Verspätung zu entschädigen. „Abgefahrn!“ hat Thomas Weber aus einem kleinkünstlerischen Intermezzo mit Gesa Weik in der Schwäbischen Waldbahn weiterentwickelt. In der Kulisse steckt einiges an Aufwand: Die Gleise hat das Großhöchberger Theater von einem Reiseveranstalter für Bahnreisen aus Kornwestheim geliehen, per Sattelschlepper auf den Kulturhügel bringen lassen und in ein richtiges Schotterbett gelegt. Für die Schranke wurde man beim Forst fündig, für andere Details beim Spiegelberger Gartenbahn-Fan und für die rustikalen Holzbretter als Sitzbänke bei einem örtlichen Sägewerk. Ein „großes Geflecht“, sagt Theatermacher Weber, stecke hinter der Bahnhofskulisse, und ein „schönes Miteinander“.

Die neue Produktion, die bis Mitte August an den Wochenenden zu sehen ist, ist nur eine Station von vielen in der bald 20 Jahre währenden Geschichte des Kabirinetts. Im Mai 2000 hat Thomas Weber das kleine Theater als „unkalkulierbares Abenteuer“ gegründet. Vom Geheimtipp hat es sich zu einem Publikumsliebling entwickelt. Weber schätzt, dass rund 200000 Gäste das Kabirinett seit seinem Bestehen besucht haben. Der Direktor und Schauspieler sieht seine Aufgabe darin, das Theater so weiterzuentwickeln, dass es spannend und frisch bleibt für den Gast. Einen Beitrag dazu soll ein Anbau an das bestehende Theatergebäude leisten, der planmäßig bis zur nächsten Freiluftsaison fertig sein soll.

Für das Bauprojekt mit Lagerkapazität, Sozialraum, barrierefreier Toilette, Küchenzeile und Ferienwohnung für zwei Personen hat das Kabirinett eine Förderung von gut 50000 Euro aus dem Leader-Programm bekommen. Leader ist ein Förderprogramm der Europäischen Union und des Landes Baden-Württemberg, mit dem Projekte im ländlichen Raum umgesetzt werden können. Der Zuschuss für das Kabirinett wurde vor allem deshalb bewilligt, weil das Projekt eine touristische Erhaltung und Weiterentwicklung verspricht, die Attraktivität der Arbeitsplätze steigert und Inklusion auf und vor der Bühne ermöglicht. „Der Anbau entschärft die Situation“, schildert Weber. Seither würden Gastkünstler seine privaten Räume nutzen, um sich auf ihre Auftritte vorzubereiten. Auch Requisiten lagere er bislang in seinem Wohnhaus. Das Lager im Anbau verkürze die Wege und erleichtere die Arbeit. Außerdem soll die seitherige Getränkeausgabe – eine ehemalige Losbude aus dem Norden der Republik, bei der man Wurst- und Fleischwaren gewinnen konnte – weichen. Die Getränkeausgabe soll professionalisiert werden, wie überhaupt der gesamte Gastrobereich mit seinen Abläufen. Der Biergarten soll häufiger auch unabhängig von Vorstellungen öffnen.

Dass die Kombination aus Kultur und Kulinarik bei den Leuten ankommt, weiß Weber aus Erfahrung: Das Lümmelpicknick, bei dem die Besucher zu musikalischen Auftritten auf der Bühne ihr mitgebrachtes Grillgut genießen, ist seit Jahren eine feste Größe im Kabirinett-Sommerprogramm. Dieses Jahr hat das „Angrillen“, ein Kulturfrühschoppen mit schwäbischen Songs, die Biergartensaison erfolgreich eröffnet. Für Veranstaltungen wie diese bringt der Anbau neue Möglichkeiten. Weber schwärmt in den höchsten Tönen von seinem kleinen Theaterhaus: „Wir tragen dazu bei, dass dies ein ganz besonderer Ort im Schwäbisch-Fränkischen Wald ist.“ Er spricht von einem einzigartigen Kulturort mit einzigartiger Aufenthaltsqualität im Schwäbisch-Fränkischen Wald und dass die Probierbühne auf dem Lande ein Stück neue Lebensqualität entwickelt. Er will sie zu einer echten Perle, zu einem unübersehbaren Wahrzeichen der Region machen.

„In einem Künstlerhirn gibt es große Pläne und Träume“, sagt Thomas Weber über sich und seine ursprüngliche Idee, für das Stück „Abgefahrn!“ sogar einen echten Bahnwaggon auf die Apfelwiese hinter dem Theater stellen zu lassen. Die Umsetzung gestaltete sich als zu (kosten)aufwendig. Aber auch ohne Waggon ist die Reise in die Fantasiewelt des ganz großen Bahnhofs eine spannende.

Gleis eins bietet neue Möglichkeiten

Echte Bahngleise im Schotterbett, eine Schranke und Bahnhofsbeschilderung: Das ist die Kulisse für die Freiluftinszenierung „Abgefahrn!“ auf der Apfelwiese hinter dem Theater.