Sie wissen nicht, was Sie schenken sollen? Bücher natürlich! Wir haben die spannendsten, schönsten und klügsten für Sie ausgesucht.
Bücher sind das Sahnehäubchen unter allen Gaben.
Von unserer Redaktion
Welche Tricks beherrschten die Glückspieler der Shakespeare-Zeit? Was geht in heutigen Tradwives vor? Wie kommt es, dass ausgerechnet ein Geflügelschlachtbetrieb zum Schauplatz eines der überraschendsten Romane dieses Jahres werden konnte? Wie lebt es sich mit einer Patrone im Kopf? Überhaupt, wie kommt es, dass Literatur glücklich macht, auch wenn sie vom Unglück spricht? Und jetzt vielleicht die wichtigste Frage von allen: Welche Bücher verschenke ich zu Weihnachten? Auf all diese Fragen finden Sie in den Geschenktipps unserer Buchexperten eine Antwort.
Menschliche Niederungen und architektonische Höhenflüge mit Frei Otto
In diesen unlustigen Zeiten wäre eine Erinnerung an P.G. Wodehouse angeraten, ein beliebiges Werk, beispielsweise „Auf geht’s, Jeeves!“ (Insel, 10 Euro), denn das Überkandidelte der Menschen und ihre Verrücktheiten hat der Engländer aufs Amüsanteste in jedem Roman durchgespielt.
Ansonsten kann man sich an Stuttgarter Heroen aufrichten, die Großartiges geschaffen haben: „Frei Otto – Bauen mit der Natur“ (Prestel, 59 Euro) von Martin Kunz und Mechthild Ebert erinnert in Texten und Bildern an das Leichtbaugenie Frei Otto (1925-2015). Ein anderer Bildband widmet sich dem Architekten, dem die 64 Glück gebracht hat: Martin Elsaessers (1884-1957) Wettbewerbs-Entwurf für die Stuttgarter Markthalle trug diese Zahl. 1914 stand sein Bau. Jörg Schillings „Martin Elsaesser – Baukunst zwischen den Zeiten “ (av Edition, 58 Euro) zeigt neben geglückten Bauten auch Entwürfe. Manche weisen eine Extravaganz auf, die Wodehouses Helden sicher gefallen hätten.
Ein Hähnchenzerlegungsbetrieb ist nicht unbedingt ein Ort, an den man als Romanleserin entführt werden möchte. Aber genau in einer solchen Akkordschlachterei verknüpfen sich auf wunderbare Weise die Geschichten von sechs Menschen in Nava Ebrahimis Roman „Und Federn überall“ (Luchterhand, 24 Euro) – sowie Themen wie Fremdheit, Migration, Identität, Menschlichkeit. Die Deutsch-Iranerin beherrscht also die Kunst, leichthändig von komplexen Dingen zu erzählen – in der Todeszone entsteht ein mit subtilem Witz getränktes, präzises Gesellschaftsmosaik. Ein Flüchtling erhofft sich darin durch die Übersetzung seiner Verse Erfolg für seinen Asylantrag – es sind Gedichte, denen also hier die Kraft zugeschrieben wird, Gesetze zu erweichen.
Die Wucht der Lyrik – das führt in einer logischen Linie zu Patti Smiths Band „Bread of Angels. Die Geschichte meines Lebens“ (Kiepenheuer & Witsch, 26 Euro), in dem sie ihre faszinierende biografische Erzählung („Just Kids“) fortsetzt. Wer sie jemals Allen Ginsbergs Gedicht „Footnote to Howl“ deklamieren hörte, weiß um die gänsehauterzeugende Dreieinigkeit von Poesie, Power und Punkrock, die ihrem Leben innewohnt.
Entlang der Donau – Menschheitstheater auf dunklem Grund
Allein vom Umfang könnte man den Titel von Dimitré Dinevs „Zeit der Mutigen“ (Kein & Aber, 36 Euro) auf die Lesenden beziehen. Doch wer sich vom Erzählstrom der 1200 Seiten dieses Jahrhundertromans durch die sich verästelnden Schicksale dreier Familien tragen lässt, findet, was man sich beinahe schon nicht mehr zu suchen getraut hat: einen Roman, der noch einmal alles zusammenbringt, was die Geschichte auseinander getrieben hat. Entlang der Donau führt der Weg durch die dunkelsten Zonen des 20. Jahrhunderts und eröffnet zugleich ein episches Panorama dessen, was große Literatur Unterdrückung und Gewalt entgegenzusetzen hat.
Und weil nur einmal im Jahr Weihnachten ist, kann die Reise gleich weitergehen zu dem flirrenden Menschheitstheater, das Manfred Pfister in dem opulenten Prachtsband „Die englische Renaissance“ (Galiani, 98 Euro) eröffnet. Eine Grand Tour in fünfhundert ausgewählten Originaltexten durch eine Epoche, die gerade aufbricht zu dem, was wir sind. So schön können Bücher sein.
Gefährliches Herzflattern und unheimliches Herdklappern
„Wenn mein flattriges Herz/ auffliegt/ vom unbequemen Sitz/ in meinem Brustkorb“ – sehnen Sie sich auch nach solchen Zeilen? Je mehr dämlicher KI-Text uns flutet, desto lebensnotwendiger wird Lyrik. Kann man auch dem Krieg im Gedicht begegnen? „Während die Nachrichten von Schusswechseln/ und Raketenangriffen/ die Verstecke unserer Gedanken/ zertrümmern/ Wörter für ,Seele‘ und ,retten‘ schwirren wie Atome, reisen durch die Leere/ kollidieren wie verrückt“ – die ukrainisch-amerikanische Autorin Oksana Maksymchuk wagt es mit Blick auf ihre Heimat in „Tagebuch einer Invasion“ (Edition Lyrik Kabinett, 24 Euro).
Apropos Heimat: Als unheimliche Wiedergängerinnen der an Herd und Heim gebundenen Hausfrauen betreten sogenannte Tradwives die Szene. Was sind die gefährlichen Verheißungen dieses Lebens? Hannah Lühmanns kluger Roman „Heimat“ (hanserblau, 22 Euro) führt vor, wie die weiblichen Existenzen in ihrer Unbehaustheit zum Vehikel für rechtes, faschistisches Gedankengut werden.
Dunkle Schatten im Dickicht der Erinnerungen und mehr Sonne mit T.C. Boyle
Ein schmales Buch mit so viel Inhalt: Auf 160 Seiten bewegt sich Dorothee Elmiger durch den Dschungel Panamas, schlägt Pfade ins Unterholz, tastet sich durch das Dickicht aus Erinnerungen, historischen Spuren und körperlichen Empfindungen. Der vielstimmige Roman „Die Holländerinnen“ (Hanser, 23 Euro) gewann 2025 den Deutschen Buchpreis und katapultiert uns in der kalten Jahreszeit in eine schwülwarme Dunkelheit auf der anderen Seite der Erdkugel. Ein Muss in jedem Bücherregal!
Wem das zu düster ist, greift zu „No way home“ von T.C. Boyle (Hanser, 28 Euro) – ebenfalls keine Komödie, spielt aber immerhin in der sonnigen Wüste Nebraskas. Dort trifft der junge Arzt Terrence auf Bethany, eine geheimnisvolle Frau, deren Ex-Freund Jesse wie ein dunkler Schatten über ihr schwebt. Boyle webt auf 384 Seiten ein spannungsreiches Dreiecksdrama über Macht, toxische Beziehungen, Verletzlichkeit und die unaufhörliche Suche nach einem Ort, an dem man sich wirklich zu Hause fühlt.
Hier geht es zur Rezension von „Die Holländerinnen“
Hier geht es zur Rezension von „No way home“
Vom Bau des Panamalkanals und wieder eine Kathedrale von Ken Follett
Kaum im Amt, wollte sich Donald Trump den Panamakanal unter den Nagel reißen. Schließlich hätten die USA ja sooooo viel für seinen Bau getan. Gegraben haben ihn aber Panamesen und Migranten aus aller Welt. Cristina Henríquez erzählt in ihrem spannenden Roman „Der große Riss“ (Hanser, 26 Euro) deren Schicksale: des Fischersohn Omar zum Beispiel, der sich aus der Sprachlosigkeit des Lebens mit seinem Vater befreien möchte, oder der jungen Ada aus Barbados, die das Geld für eine Augenoperation ihrer Schwester verdienen will.
Mit großen Bauwerken sind immer viele Leben verknüpft. Das ist seit der Steinzeit so, wie Ken Follett in „Stonehege. Die Kathedrale der Zeit“ (Bastei-Lübbe, 36 Euro) erzählt. Follett-gemäß geht die Geschichte immerhin optimistisch aus. Englische Steinmonumente sind ein gemeinsames Erbe der Menschheit, kein nationaler Besitz.
Wie auch alle Kultur durch gegenseitige Bereicherung, nicht durch Abschottung entsteht – nachzulesen in Martin Puchners „Kultur. Eine neue Geschichte der Welt“ (Klett-Cotta, 35 Euro), einer sehr klugen Historiographie der fruchtbaren kulturellen Aneignung.
Göttliche und irdische Geschichten – von Stephen Frey und Isabel Allende neu erzählt
Viele Menschen interessieren sich für die Sagenwelt der Griechen, denn man ahnt ja, wie sehr uns das darin verwebte Denken über die vielen Jahrhunderte hinweg bis heute immer noch prägt. Vornehm gesagt. Oder etwas weniger vornehm: Es gibt darin bekanntlich jede Menge Verbrechen, Verrat, Sex und Totschlag. Das interessiert. Wenn es in vielen gewichtigen Bänden jüngerer Zeit nur nicht so unglaublich erhaben und überhöht und verlangweilt dahergekommen wäre. Aber zum Glück haben wir ja noch Stephen Fry, den britischen Literatur-, Film-, TV-, Pop-und Satire-Universal-Tausendsassa. Seit 2018 veröffentlicht er seine Geschichten aus der griechischen Götterwelt. Nach „Mythos“, „Helden“ und „Troja“ ist nun „Odyssee“ erschienen (Aufbau Verlag, 28 Euro), und es ist fabelhaft, wie Fry süffig, aber eben doch voller Kultur-Respekt von den „Abenteuern, Irrfahrten und Heimkehr“ der griechischen Kriegshelden erzählt, die sich nach zehn Jahren Krieg auf ein fröhliches Wiedersehen daheim freuen, dort dann aber oft genug noch nicht mal mit dem Schrecken davonkommen.
Beinahe so kreativ wie Stephen Fry ist die Schriftstellerin Isabel Allende. Ihr jüngster Roman „Mein Name ist Emilia del Valle“ (Suhrkamp, 28 Euro) erzählt nicht nur spannend und dicht vom Leben einer Reporterin vom Ende des 19. Jahrhunderts, sie zeigt uns vor allem, wie wenig global unser angeblich so ausgeprägtes deutsches Geschichtsbewusstsein ist. Denn hat schon mal jemand gehört von all den Bürgerkriegen, die damals sehr blutig den südamerikanischen Kontinent erschütterten? Emilia del Valle sieht in Chile die Dinge, wie sie waren. Und wie sie sind. Troja war eben leider nur der Anfang.
Männerliebe und -leben
Alan Hollinghurst, durch sein bisheriges Werk bekannt als Chronist schwulen Lebens, verbindet in seinem neuem Roman „Unsere Abende“ (Albino Verlag, 28 Euro) die Biografie eines Schauspielers mit einem Panorama der englischen Gesellschaft von den 1960er Jahren bis zur Brexit-Entscheidung und Corona-Pandemie.
Luka Kiesers „Pink Elephant“ (Blessing Verlag, 14 Euro) ist ein Jugendbuch, aus dem auch Erwachsene viel lernen können. Drei vierzehnjährige Jungs aus Tübingen, der eine aus der Mittelschicht, die beiden anderen mit Migrationshintergrund, durchleben im Sommer 2006 Höhen und Tiefen einer Pubertätsfreundschaft zwischen Drogenkonsum und Kleinkriminalität.
Und als Neuübersetzung noch Pier Vittorio Tondellis Roman „Getrennte Räume“ (Gutkind Verlag, 25 Euro), der demnächst von Luca Guadagnino verfilmt werden soll: ein Beziehungsdrama zwischen zwei jungen Männern, von denen der eine an Aids stirbt.