Lesung von Dirk Reinhardt in Backnang

Literatour Der Jugendbuchautor Dirk Reinhardt hat in Backnang aus seinem Roman „Über die Berge und über das Meer“ gelesen. Er vermittelt Einblicke in eine fremde Kultur und in die Beweggründe, die junge Menschen dazu bringen, ihre Heimat zu verlassen.

Lesung von Dirk Reinhardt in Backnang

Am Ende der Lesung durften die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen an Dirk Reinhardt stellen. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. „Lesen ist Eintauchen in eine fremde Welt“, mit diesen Worten begrüßte Schulleiterin Isolde Fleuchaus Schülerinnen und Schüler in der Aula im Beruflichen Schulzentrum. Doch nicht immer handelt sich bei der fremden Welt um einen fantastischen Ort voller Wunder und Staunen. Manchmal wirft einen diese fremde Welt auf den harten Boden der Realität. Macht nachdenklich, ist schmerzhaft.

An diesem Nachmittag war Dirk Reinhardt zu Besuch, ein Autor, der sich seit zehn Jahren ausschließlich der Jugendliteratur verschrieben hat. Wobei, wie er betont, das ausgewählte Werk für diese Lesung auch als „All-Ages-Roman“ gelten könne, also ein Buch, bei dem es zwar um Jugendliche gehe, aber das eigentlich für Leseratten jedes Alters geeignet sei. Bereits zum dritten Mal besuchte Reinhardt die Stadt Backnang im Rahmen der Literatour. Dieses Mal hatte er einen sehr bewegenden Jugendroman dabei. „Über die Berge und über das Meer“ handelt von der Flucht zweier afghanischer Jugendlicher nach Deutschland. Ihnen gemein ist, dass sie ursprünglich ihre Heimat überhaupt nicht verlassen wollten, doch durch die Umstände dazu gezwungen werden.

Ein lebendiges und vielschichtiges Bild von Afghanistan

In den ausgewählten Lesestellen stellt Dirk Reinhardt seine beiden Protagonisten vor und zeigt beispielhaft, mit welchen Schwierigkeiten die Teenager zu kämpfen haben, bevor sie sich schließlich auf den langen Weg machen. Die Beweggründe, die Sorgen und Ängste der beiden werden anschaulich geschildert. Doch eine Wahl haben sie nicht. Was der Vater bestimmt, wird gemacht. Es wird allerdings auch klar, dass die Väter ihren Entschluss in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihre Kinder und die Familien fällen. Man fiebert mit, als sich die beiden am Mittelmeer kurz vor der Überfahrt nach Griechenland beinahe am gleichen Ort aufhalten – und sich doch nicht begegnen.

Den anwesenden Schülerinnen und Schülern vermittelt Reinhardt ein lebendiges und vielschichtiges Bild des fremden Landes weit im Osten. Anhand von Fotos verdeutlicht er die Lebensweise und gibt Einblicke in die uns doch fremde Kultur, ohne sich ein Urteil darüber zu erlauben. Dabei erfährt man so manches Erstaunliche. Etwa, dass es eine alte paschtunische Tradition gebe, nach der ein Mädchen ganz offiziell zum Jungen erklärt werden könne, falls in einer Familie kein Sohn geboren werde. Zumindest, bis die Zeit der Pubertät näher rückt.

Für die Handlung gibt es eine reale Vorlage

Eine der anwesenden Klassen hatte das Werk bereits im Unterricht behandelt und sich im Anschluss an die Lesung Fragen überlegt, die Reinhardt gern beantwortete. Wie er etwa auf die Idee gekommen sei, diese Art Bücher zu schreiben? Bereits als Jugendlicher habe er gern Romane gelesen, die auf wahren Begebenheiten beruhten, so die Antwort. Insbesondere „Oliver Twist“ von Charles Dickens habe ihn sehr beeindruckt. „Der Roman ist nicht nur spannend, sondern auch Realität“, so Reinhardt, der reale und gesellschaftliche Hintergrund habe ihn fasziniert. „Ist die Geschichte ausgedacht?“, wollte eine Schülerin wissen. Zum Teil ja, doch der Großteil beruhe auf realen Geschehnissen und Geschichten, die ihm junge Flüchtlinge erzählt hätten, beantwortete Reinhardt die Frage. Überhaupt hätten ihn diese jungen Menschen erst auf die Idee gebracht, das Buch zu schreiben. Bereit zuvor hatte er sich mit dem Thema Flucht beschäftigt, allerdings handelt „Train Kids“ von jungen Südamerikanern, die versuchten, sich per Zug in die USA zu schmuggeln. Nach einer Lesung sei er von einem jungen Afghanen angesprochen worden. Dieser habe sich in der Geschichte wiedergefunden und von seiner eigenen Flucht berichtet. Doch bei diesem einen jungen Menschen mit Fluchterfahrung war es nicht geblieben. So hatten ihn diese Gespräche schließlich zu „Über die Berge und über das Meer“ inspiriert. Etwa eineinhalb Jahre habe es von der Idee bis zum Druck gedauert, berichtete er. Gut die Hälfte der Zeit habe er mit Recherchen verbracht.

Viel Applaus gab es am Ende für diesen Nachmittag, der zum Nachdenken anregte und Bibliothekarin Christiane Engelmann-Pink meinte zum Abschluss: „Es ist wichtig, zu sehen, dass es Menschen gibt, denen es schlechter geht.“

Zur Person Dirk Reinhardt

Werdegang Dirk Reinhardt wurde 1963 geboren, studierte Germanistik und promovierte 1993 in Geschichtswissenschaft. Seit 1994 arbeitete er als Texter und freier Journalist, seit zehn Jahren widmet er sich vollständig der Schriftstellerei. 2009 erschien sein erstes Kinderbuch „Anastasia Cruz – Die Höhlen von Aztlán“. Bereits in seinem Roman „Train Kids“ (2015) nimmt er sich des Themas Migration an, 2019 greift er das Thema erneut auf in „Über die Berge und das Meer“. Dirk Reinhardt lebt in Münster.

Auszeichnungen Für seine Jugendbücher wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem für „Über die Berge und das Meer“ mit der Ernennung zum „Buch des Monats Mai 2019“ durch die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur, Empfehlung beim „Luchs des Monats Mai 2019“ von Die Zeit und Radio Bremen, Nominierung für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2020.