„Jede konstruktive Begegnung hilft“

Das Interview: Der Poetry-Slammer Kai Bosch aus Backnang spricht im Zusammenhang mit seiner dritten Veröffentlichung „Titel werden überbewertet“ über seine mit Selbstironie gewürzten Kurzgeschichten, seine Lyrik, seine Träume und die Szene.

„Jede konstruktive Begegnung hilft“

Seine Passion ist Poetry-Slam und das Schreiben: Kai Bosch präsentiert sein drittes Buch. Zurzeit studiert er an der Uni Hohenheim. Foto: A. Becher

Von Ingrid Knack

„Titel werden überbewertet“ heißt Ihr neuer Band mit Texten. Werden Titel überbewertet? Wie sind Sie auf den Titel gekommen?

Zunächst einmal besitzt das Wort „Titel“ mehrere Bedeutungen. Ich finde nicht, dass in einem Wettbewerb errungene Titel überbewertet werden, aber Buchtitel auf jeden Fall. Für Käuferinnen und Käufer spielt der Titel bei der Kaufentscheidung eine zentrale Rolle, jedoch sagt die Überschrift wenig über die Geschichte und den Schreibstil aus. Aus dieser Überlegung heraus habe ich mein Buch „Titel werden überbewertet“ genannt.

„Titel werden überbewertet“ ist nach dem Comedyroman „Laberaffe“ 2014 und der Textsammlung „Tagträumer“ 2016 Ihre dritte Veröffentlichung. Ihr zweites und drittes Buch sind im weltweit größten Poetry-Slam-Verlag „Lektora“ veröffentlicht worden. Glückwunsch. Wie ist die Zusammenarbeit mit dem Verlag zustande gekommen und wie sieht sie aus?

Der Geschäftsführer Karsten Strack ist im Dezember 2015 auf mich zugekommen und hat mich für einen Auftritt bei der Lebenshilfe Paderborn angefragt. Begeistert sagte ich zu und schlug ihm vor, einige meiner Texte in einer Sammlung zu bündeln. Nachdem die Texte den Qualitätscheck bestanden haben, nahm das erste gemeinsame Buchprojekt schnell Gestalt an. Seitdem stehen wir in Kontakt, und so war die zweite Textsammlung lediglich eine Frage der Zeit. Die Zusammenarbeit findet seit jeher auf Augenhöhe statt und wird geprägt von einem großen Vertrauensverhältnis. Ich bin Lektora sehr dankbar dafür, dass ich über ein großes Mitspracherecht verfüge, sowohl beim Inhalt als auch bei der Titelwahl und der Covergestaltung.

In „Träumender Macher“ sprechen Sie ganz konkret über Ihr drittes Buch und lassen tief in Ihre Seele blicken, Sie halten’s auch immer wieder mit Selbstironie: Wie viel Realität und wie viel Fiktion steckt in Ihren Texten? Wo ziehen Sie die Grenzen zum Privaten?

Zahlreiche meiner Texte beinhalten einen wahren Kern, den ich ausschmücke. Sobald ich Pointen über ein Erlebnis schreiben kann, ist das ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass ich die Situation bereits weit genug verarbeitet habe, um mich über sie lustig zu machen. Immer wieder stelle ich fest: Je mehr mich eine Gegebenheit aufwühlt und umtreibt, desto stärker wird der Text, der auf ihr basiert. Andere Texte haben keinen wahren Bezug und zeichnen sich durch schöne Spiele mit der Sprache aus. Wie zum Beispiel die Vokaltexte, die dem Buch seinen roten Faden verleihen.

In dem „Träumenden Macher“ sprechen Sie auch davon, dass Ihr bisheriges Leben gerade mal das Intro war. Mit 23 Jahren haben Sie schon viel erreicht: drei Bücher, über 200 Auftritte, Sie geben Workshops, Sie studieren. Wie sehen Ihre Zukunftsträume aus?

Zunächst einmal arbeite ich daran, mein Studium erfolgreich abzuschließen. Danach möchte ich mir einen Teilzeitjob im Verlagswesen oder in der Medienbranche suchen und die verbleibende Zeit nutzen, um aus meinem Hobby einen Beruf zu machen. Wenn ich in ein paar Jahren regelmäßig Soloshows spielen könnte, wäre das natürlich genial. Auch in die Workshoparbeit, die mir große Freude bereitet, würde ich gerne noch stärker eintauchen. Darüber hinaus ist „Titel werden überbewertet“ sicherlich nicht mein letztes Buch. Wenn eines Tages ein Bestseller entstünde, würde ich mich sicherlich nicht beschweren.

Haben Sie intensivere Kontakte zu anderen Poetry-Slammern? Überwiegt in der Szene mehr das Gefühl einer gemeinsamen Passion oder Konkurrenz?

In der Szene habe ich einige Freunde gefunden, im Poetry-Slam herrscht im Großen und Ganzen ein freundschaftliches Miteinander. Jeder gönnt jedem den Sieg. In der Regel ist es uns auf der Bühne wichtiger, gemeinsam einen schönen Abend zu verbringen und eine gute Show für das Publikum zu spielen, als den Wettbewerb zu gewinnen.

In mehreren Texten sprechen Sie über die „wahre Beeinträchtigung in den Denkmustern“ Ihrer Gesprächspartner und die Notwendigkeit, Schubladen in Köpfen zu öffnen. Was muss sich Ihrer Ansicht nach noch verändern und wie könnte man das erreichen?

Häufig erlebe ich, dass Menschen mit Behinderung belächelt und unterschätzt werden. Viele Menschen agieren unsicher im Umgang mit einer behinderten Person. Dabei sollte es normal sein, dass Menschen mit und Menschen ohne Behinderung miteinander diskutieren. Der Charakter sollte im Vordergrund stehen, nicht die Behinderung. Jede konstruktive Begegnung, jeder Dialog hilft.

Sie ziehen oft ein Fazit wie: „Lass den Traum niemals zum Trott verkommen!“ Oft ist dies auch mit Ihrer eigenen Vita verknüpft. Wollen Sie eigene Erfahrungen weitergeben oder sagen Sie das vor allem sich selbst?

Sowohl als auch. Meine Träume, Ziele und Visionen verleihen mir den Antrieb für den Alltag. Ich finde, die Lebenszeit ist zu begrenzt, um sie nicht zu nutzen. Meinen Tatendrang möchte ich aufrechterhalten und weitergeben.

Dass Ihr Buch vor dem zweiten Lockdown veröffentlicht wurde, heißt auch: Es gibt keine offizielle Präsentation und Sie können es auch vorerst nicht bei öffentlichen Auftritten verkaufen. Stehen schon Termine für die nächste Zukunft an, in der Corona hoffentlich schon etwas mehr zurückgedrängt ist?

Dass ich das Buch nicht im Rahmen von Veranstaltungen bewerben kann, ist natürlich sehr schade. Dieses Jahr sind auch bei mir unzählige Workshops und Auftritte ausgefallen, der Aufbau von längerfristigen Kooperationen gestaltete sich als nahezu unmöglich. Zwar habe ich einige Auftrittstermine für nächstes Jahr vereinbart, aber wer weiß, ob diese Veranstaltungen stattfinden werden. Hoffentlich gewinnen die Kulturschaffenden, die Gastronomen und die Hotellerie 2021 die Planungssicherheit zurück.

Sie haben auch einmal ein Rap-Mixtape veröffentlicht. Wollen Sie so etwas mal wieder machen? Ihre Geschichte „Kleinstadtvorort – eine Ghettoparodie“ schreit danach . . .
Mein Mixtape „Traumerfüllung“, das auf YouTube verfügbar ist, war eine absolute Herzensangelegenheit und ich bin sehr stolz darauf, besonders auf die komplexe Reimstruktur in den Songs. Aber ich bin schon realistisch genug, um zu wissen, dass aus mir kein Rapstar mehr wird. Man weiß nicht, was die Zukunft bringt, aber ein zweites musikalisches Projekt ist im Moment nicht geplant. Stattdessen fokussiere ich mich lieber auf andere Projekte.

Veröffentlichungen und Preise

Kai Bosch ist im Mai 1997 in Waiblingen geboren. In den Jahren 2008 bis 2014 besuchte er die Max-Eyth-Realschule in Backnang und von 2014 bis 2017 das sozialwissenschaftliche Gymnasium Anna-Haag-Schule in Backnang. Seit Oktober 2018 studiert er Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim.

Sein erster Auftritt war am 14. November 2014 im Backnanger Treffpunkt 44. Bisher veröffentlichte Bücher: Laberaffe (Tredition, 2014), Tagträumer (Lektora-Verlag, 2016), Titel werden überbewertet (Lektora-Verlag, 2020).

Beteiligung an den Anthologien: Backnang-Stories 2014 (Leseratten-Verlag, 2014), Die ultimative Poetry Slam Anthologie 2 (Lektora-Verlag, 2019).

Website: www.kaibosch.de. Dort schreibt er unter anderem: „Obwohl ich seit meiner Geburt aufgrund einer Tetra-Spastik körperlich beeinträchtigt bin und eine Stotter-Symptomatik aufweise, habe ich seit jeher freudig und redselig am Leben teilgenommen. Anstatt mich einschränken zu lassen, nehme ich mein Handicap an, gehe offen damit um und packe meine Ziele an.“ Kai Bosch gibt auch Workshops in Poetry-Slam und kreativem Schreiben.

2015 wurde er baden-württembergischer U-20-Landesmeister im Poetry-Slam. 2016 bekam er für seine Mitwirkung beim Theaterstück „Kannst du schweigen? Ich auch!“ im Rahmen des bundesweiten Wettbewerbs „andersartig gedenken on stage“ den Förderpreis für eine „herausragende schauspielerische Einzelleistung“.