Matthias Egersdörfer in der Gruschtelkammer in Auenwald

Der fränkische Kabarettist unterhält die Zuhörer in der Gruschtelkammer mit seinen „Nachrichten aus dem Hinterhaus“. Die Gäste selbst müssen so einiges einstecken. Das Lachen vergeht ihnen dabei nicht.

Matthias Egersdörfer in der Gruschtelkammer in Auenwald

Matthias Egersdörfer unterhält mit kuriosen Geschichten und einem derben bis kunstvollen Sprachstil. Foto: Alexander Becher

Von Klaus J. Loderer

Auenwald. Im Schwäbischen würde man einen solchen Menschen vielleicht als Bruddler bezeichnen. Allerdings bruddelt Matthias Egersdörfer nicht nur vor sich hin. Er schimpft lautstark über dies und das. Und eigentlich kann er sich über alles aufregen. Gerade sind es die Mitbewohner eines Hinterhauses, über die er sich echauffiert. Das geschieht in breitem Fränkisch. Da haben einige vorne im Publikum Sitzende schon ihren Senf abbekommen.

Das Publikum in der Auenwaldhalle begrüßt den in Nürnberg geborenen Schauspieler und Kabarettisten am Mittwochabend mit tosendem und langem Applaus. Der antwortet genervt „Guten Abend“ und schlürft lautstark einen Kaffee. Das gehört zum Programm „Nachrichten aus dem Hinterhaus“. Wie immer bei Egersdörfer müssen die Zuschauer bissige Kommentare ertragen. Das kann bei Matthias Egersdörfer, wenn er sich in Rage gesteigert hat, in regelrechte Publikumsbeschimpfungen ausarten – zum Ergötzen des Publikums. „Es ist keine Lachveranstaltung“, versucht er erfolglos das Publikum zu erziehen, das nun umso mehr lacht. Matthias Egersdörfers Tonfall kann von trocken bis mürrisch reichen, manchmal lieblich flötend und häufig geifernd sein. Das wechselt von Moment zu Moment.

Das selbst verfasste Manifest, die lieben Nachbarn und Absurditäten

Dabei fängt „Nachrichten aus dem Nachbarhaus“ harmlos an: Der Kabarettist regt sich über die von den Nachbarn produzierten Geräusche auf. Gerade stören sie ihn ganz besonders, denn er möchte seinen Gästen in seinem Wohnzimmer das von ihm verfasste Manifest vorlesen. Und gerade jetzt rumpelt Herr Spitzbart besonders laut. So kommt Matthias Egersdörfer zunächst nicht über die beiden ersten Punkte des Manifests des idealen Sonntags hinaus. Erst mehr als zweieinhalb Stunden später deklamiert er alle 20 Punkte des Manifests. Inzwischen ist beim Publikum der Eindruck entstanden, es mit einem Psychopathen zu tun zu haben.

Die anfänglich gelegentlich erwähnte Ehefrau verschwindet nach und nach aus der Geschichte. Dafür taucht die verstorbene Mutter auf – genau genommen führt Egersdörfer die Handpuppe der Mutter ein. Indem er deren Dialoge deutlich sichtbar selbst spricht, parodiert er vergleichbare Bauchrednerauftritte. „Es kann nicht gut sein, wenn ein erwachsener Mann eine Puppe seiner Mutter bei sich hat“, nimmt er sich selbst auf die Schippe. Dieses Spiel nimmt teilweise groteske Züge an, wenn die Mutter immer wieder interveniert und ihn heftig kritisiert. Überhaupt sieht dieser Mensch in jedem Blick und in jeder Geste eine Kritik an sich. In immer kompliziertere Unterstellungsfantasien steigert er sich hinein, alleine wenn ein auf dem Dach stehender Handwerker ihn von oben herab anschaut. Was nun Fantasie und was Wirklichkeit ist, das vermischt sich im Laufe des Abends immer mehr. Wenn er angeblich den Mitmenschen ein freundliches „Grüß Gott“ zukommen lässt, hören diese das in Wirklichkeit womöglich als gekeiftes „Hä“. Das Publikum in der Auenwaldhalle staunt und kichert ob der Geschichten. Viele sind Erinnerungen an die Kindheit und Jugend wie der Italienurlaub und die Einkaufsfahrt mit der Mutter aus der Perspektive eines Kleinkinds. Matthias Egersdörfer kommt vom Hundertsten ins Tausendste und baut immer neue Geschichten ein, ohne jemals auch nur eine davon bis zum Ende zu erzählen. Die kuriosen Geschichten verpuffen so plötzlich wie sie aufblitzen. Der Sprachstil wechselt genauso überraschend zwischen überaus derb und kunstvoll gedrechselt. Da möchte er gerade noch die Apothekerin vernaschen und den Hemdenverkäufer auspeitschen und schon wähnt er sich als Reh bei Vollmond auf einer Lichtung und möchte vom Gras naschen, über das gerade noch der Nachtwind gestrichen ist.

Egersdörfer versucht, gegen den Stumpfsinn, den er überall um sich wähnt, anzukämpfen

In Egersdörfers durchaus deftigem Humor kumulieren die Absurditäten geradezu. Er schlägt sie dem Publikum um die Ohren und haut noch einmal drauf, indem er unterstellt, dass die Leute damit sowieso überfordert sind. Seine verschachtelten Gedanken, das ewige Kreisen um einen Punkt und die Verschrobenheit des Darstellers erinnern an Thomas Bernhards Figuren. Wie diese versucht Egersdörfer, gegen den Stumpfsinn, den er überall um sich wähnt, anzukämpfen. Das Publikum kann es ihm nicht recht machen – lacht es, ist es falsch, lacht es nicht, umso schlimmer. Dabei glaubt Egersdörfer an das Gute. Er stellt sich Radiosprecher seines Lieblingsklassiksenders etwa sehr elegant und mit gefeilten Fingernägeln vor. Doch im nächsten Moment geht auch schon die Schimpferei los über etwas, das ihm gerade gar nicht im Radio gefällt.

Nach vielen Zitaten aus anderen Manifesten liest Egersdörfer sein Manifest schließlich mit allen 20 Punkten vor, natürlich unterbrochen von diversen cholerischen Anfällen. Aber das Publikum erfährt dann doch, wie der ideale Sonntag eines Kabarettisten aussieht. Ob wohl jemand das Angebot angenommen hat, dass er seine DVDs mit einem gemalten Penis signiert?