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Möbel im Shaker Stil – cooles Design für die Ewigkeit

Wie die Freikirche der „Shaker“ mit ihren schlichten Entwürfen Generationen von Designern inspirierte und warum die Möbel und Accessoires heute noch begeistern.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Shaker Village of Pleasant Hill, Kentucky. Schlichter Stil, natürliche Materialien werden auch von heutigen Interieurexperten geschätzt, zeigt die Ausstellung in Weil am Rhein.

Von Tomo Pavlovic

Im Jahre 1926 erklärt Walter Gropius: „Das Bauhaus will der zeitgemäßen Entwicklung der Behausung dienen, vom einfachen Hausgerät bis zum fertigen Wohnhaus.“ Was der Gründer des Bauhauses vor bald 100 Jahren sagte, ist eine Art unwiderruflicher Glaubenssatz für alle, die sich etwas auf ihr Wissen rund um Design und Architektur einbilden.

Gropius und seine Mitstreiter an der bis heute wichtigsten Kunstschule der Welt initiierten seinerzeit einen radikalen Wandel des alltäglichen Lebens: Gebrauchsgegenstände sollten fortan ästhetisch ansprechend und vor allem nützlich sein. Dekoratives hatte in der Bauhaus-Vision keinen Platz. Zudem wurde die ökonomische Produktionsweise der Möbel und Haushaltsgegenstände zur sozialen Notwendigkeit erklärt.

Gropius, ein heimlicher Shaker?

Und dann steht man eines schönen Tages in Weil am Rhein im dortigen Vitra Design Museum und fragt sich erstaunt: War dieser Walter Gropius in Wahrheit ein verkappter Shaker? Gemeint ist nicht etwa ein Cocktail-Shaker mit Sinn für gut gemixte Innenarchitektur. Nein, die Shaker waren Mitglieder einer US-amerikanischen christlichen Freikirche, die zunächst im 18. Jahrhundert im Bundesstaat New York ihre Heimat hatte. Ihre weiteste Verbreitung fanden die Shaker-Gemeinden um die Mitte des 19. Jahrhunderts mit etwa 20 Siedlungen und 6000 Mitgliedern. Um 1920 gab es noch zwölf Gemeinschaften.

Der Begriff Shaker bezieht sich auf die Gebetsform des kollektiven Schütteltanzes, für die die Shaker viel Hohn ernteten, unter anderem von dem Schriftsteller Charles Dickens, der seine persönliche Begegnung mit den Shakern in einer Anekdote als durch und durch trostlos und finster festhielt. Das galt im übrigens auch für die Möbel, im Besonderen für die Holzstühle mit ihren hohen Rückenlehnen.

Wachsen statt Fortpflanzung

Die Glaubensgemeinschaft der Shaker zeichnete sich durch eine hohe Arbeitsethik, Selbstdisziplinierung und ein nahezu klösterliches Gemeindeleben aus, in dem Sex unter den Gemeindemitgliedern verpönt war. Nachkommen wurden nicht gezeugt, sie wurden aufgenommen. Die Shaker-Gemeinschaften pflanzten sich nicht fort, dafür wuchsen sie. Waisen und Findelkinder wurde gerne aufgenommen, man kümmerte sich um sie wie um den eigenen Nachwuchs.

Doch was, um Himmelswillen, haben genau diese Shaker mit gutem Design, mit dem Bauhaus oder Ikea zu schaffen? Wie konnte eine amerikanische Freikirche aus dem 18. Jahrhundert Generationen von Künstlerinnen, Architekten und Designerinnen weltweit inspirieren? Diese Frage beantwortet das Vitra Design Museum in Weil am Rhein in seiner Ausstellung „Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter“.

Tatsächlich ist es eine dieser seltenen Ausstellungen, die einen sprachlos machen, im positiven Sinne. Die vom Mailänder Studio Formafantasma gestaltete Schau zeigt über 150 Originalexponate, die mehrheitlich aus der Sammlung des Shaker Museums in Chatham, New York stammen. Und bei den meisten dieser Objekte möchte man einfach nur auf das leider nicht vorhandene Preisschild schauen, um die Teile gleich mitzunehmen, in den Kofferraum zu packen und zu Hause aufzustellen.

Zum Inbegriff des Shaker-Designs wurden einfache, standardisierte Stühle, die Charles Dickens deprimierend fand, die aber noch heute höchste handwerkliche Qualität mit einer reduzierten, zeitlosen Formensprache verbinden. Genau dieser Anspruch war eben nicht die Erfindung der Bauhäusler, ganz zu schweigen von der skandinavischen Designschule. Auch Schränke, Kommoden und Tische beeindrucken immer noch durch ihre Schlichtheit und illustrieren das Streben nach Ordnung und Struktur, das die Shaker auch in ihren „Millennial Laws“ (Jahrtausendgesetzen) von 1821 und 1845 verankerten.

Radikal schlicht

Wichtig: die Möbel sind von einer radikalen Schlichtheit und überzeugen gleichzeitig durch ihre Funktionalität. Gerade bei Sonderanfertigungen für Ältere und gehandicapte Gemeindemitglieder wurden in den Werkstätten clevere Lösungen gefunden. So gab es spezielle Untersetzer zur Erhöhung von Stühlen, auch Gehhilfen mit vier Beinen konnten deswegen den Alltag von Gebrechlichen erleichtern, weil die Gestelle leicht waren. Das lag auch am bevorzugten Werkstoff der Shaker: dem Holz. Bewusst sollten Materialien aus der Natur verwendet werden, die sie als Gottes Schöpfung ansahen.

Dank ihrer calvinistischen Prägung hatten die Shaker einen guten Sinn beim Wirtschaften, was den Gemeinden zu Wohlstand verhalf. Sie verkauften Stühle – vom Kinderstuhl bis zum Rollstuhl aus Holz – in verschiedenen Größen, Kleider und Holzkisten für Saatgut.

Das Geheimnis des Erfolgs: Serielle Fertigung von Alltagsgegenständen bei sparsamem Einsatz von Material. Die meist ovalen, ineinander verstaubaren Spanschachteln, die als Originale auch in der Schau in Weil am Rhein zu bewundern sind, waren in verschiedenen Größen und Farben zu bekommen. Die Behältnisse waren aus gesägtem Holz gefertigt, kamen schlicht daher, ungeleimt, dafür mit der typischen Schwalbenschwanzverbindung.

Die Innovation der Shaker bestand nicht in der Erfindung der Schachtel, denn die gab es schon längst, etwa in Süddeutschland, wo seit dem 16. und 17. Jahrhundert Spanboxen mit religiösen Motiven zur Aufbewahrung von Schmuck und anderen Dingen zu bestimmten Anlässen verschenkt wurden. Die Shaker übernahmen diese Tradition, entwickelten aber erstmals Maschinen zur schnellen seriellen Herstellung der Spanschachteln.

Heute werden Replika-Modelle der Shaker-Boxen für viel Geld vertrieben (etwa beim Onlineversandhändler Biber), hergestellt nach 200 Jahre alten Originalskizzen, nachhaltig gefertigt aus Kirschholz, mit Miniholzdübeln gesteckt.

Dass eine Ausstellung im Vitra Design Museum mehr sein will als eine rückwärtsgewandte Erinnerungsschau, ist natürlich klar. Die Kuratoren präsentieren deswegen nicht nur die Möbel, sondern veranschaulichen auch die utopische Kraft dieser mittlerweile so gut wie verschwundenen Gemeinden. Die Shaker waren vor allem auch deswegen so erfolgreich, weil sie den Gemeinschaftssinn über alles stellten.

Für Anhänger des freiheitlichen Individualismus klingt das erst einmal verdächtig, doch die Shaker lebten das vor, wovon heute wieder viele träumen: von einer Gesellschaft, in der man autark und umweltschonend, auch mit Hingabe ein einfaches, handwerklich geprägtes Leben mit anderen teilt.

Design eines gemeinschaftlichen Lebens

Nicht jedermanns Sache, gewiss. Den Abschluss der Ausstellung bildet dazu passend die Installation „Meetinghouse 2“ der zeitgenössischen Künstlerin Amie Cunat. Diese maßstabgetreue Neuinterpretation eines Shaker-Gemeindehauses, in dem Gottesdienste abgehalten wurden, ist für die Besucher der Ausstellung frei zugänglich und lädt zur Reflexion über Gemeinschaft ein, heißt es.

Im Katalog zur Schau steht dann auch sinngemäß, dass in der heutigen, von gesellschaftlichen Krisen und Konflikten geprägten Zeit die Shaker mit ihrer eigenwilligen Verbindung aus Utopie, Spiritualität und wirtschaftlichem Pragmatismus zeigen würden: eine andere, vielleicht bessere Welt ist möglich. Klingt schön, irgendwie. Viele Millennials und Angehörige der Generation Z sehnen sich genau danach. Nach mehr Solidarität, Gemeinschaft, Authentizität. Nur das mit dem selbst gewählten Zölibat wird den meisten vermutlich nicht gefallen.

Info

Ausstellung„Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter“ ist noch bis zum 28. September im Vitra Design Museum in Weil am Rhein zu sehen. Die Schau des Vitra Design Museums, der Wüstenrot Stiftung, des Milwaukee Art Museum und des Institute of Contemporary Art Philadelphia, wurde in Kooperation mit dem Shaker Museum konzipiert.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Innenraum eines Wohnhauses, Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Dwellinghouse (1830), Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024

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Stuhl mit Kippmechanismus, Mount Lebanon, New York, ca. 1850.

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Absolut instagramtauglich: Meetinghouse (1793), Hancock ShakerVillage, Hancock, Massachusetts, 2024.

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Schwester Sarah Collins beim Weben einer Sitzfläche für einen Stuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1935-36.

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Schaukelstuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1850-70.

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Hochstuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1880–8.3

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Verschiedene Spanschachteln.

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Beistelltisch, Mount Lebanon, New York, ca. 1820-50.

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Spanschachtel, Mount Lebanon, New York, 1860: Würde sich auch in jeder heutigen Wohnung im reduziert skandinavischen Stil gut machen.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Umhänge aus Wolle.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

„Elevator“, Orthopädischer Schuh, Canterbury, New Hampshire, ca. 1900. Auch Inklusion war schon bei den Shakern angesagt, der Schuhe wurde für Gehbehinderte entworfen.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Landwirtschaftliche Werkzeuge. Die Shaker lebten und arbeiteten zusammen, entwarfen auch Werkzeuge.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Schusterbank, Mount Lebanon, New York, ca. 1845.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Modifizierter Webstuhl, Sabbathday Lake, Maine, ca. 1875-99.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Dampfmaschine, Sabbathday Lake, Maine, ca. 1867-78.

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Polierbesen, New Lebanon, New York, 2024.

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Medizinflasche „Hamamelis-Extrakt“, Canterbury, New Hampshire, 1920. Die Shaker entwickelten ihre eigene Medizin. Sie zogen bei Krankheitsfällen aber auch ausgebildete Ärzte hinzu, wenn es nötig wurde.

Möbel im Shaker Stil  – cooles Design für die Ewigkeit

Selbstversorgung war Credo der Shaker: Saatgutkiste, Mount Lebanon, New York, ca. 1880.