„Oft führt er den Hörer auch in die Irre“

Das Interview: Aus Anlass des zu Ende gehenden Beethoven-Jahrs sprachen wir mit dem Pianisten Viktor Soos aus Backnang über sein Verhältnis zu Beethoven.

„Oft führt er den Hörer auch in die Irre“

In diesem Jahr hat sich Viktor Soos aus Backnang unter anderem mit Beethovens Hammerklaviersonate Opus 106 beschäftigt. Foto: G. Tedeschi

Von Ingrid Knack

Herr Soos, lieben Sie Beethoven? Oder bevorzugen Sie andere Komponisten?

Beethoven gehört schon seit meinen Anfängen am Klavier zu einem meiner Lieblingskomponisten. Nicht nur die 32 Klaviersonaten, sondern auch seine fünf Klavierkonzerte, seine neun Symphonien und viele weitere bedeutende Werke inspirieren und beschäftigen mich jeden Tag. Ein Leben als Musiker ohne Beethoven ist kaum vorstellbar.

Hat sich Ihr Beethoven-Bild, Ihr Zugang zu dem Komponisten und seinen Werken, im Laufe der Jahre verändert?

Allerdings. In meinen fünf Jahren als Klavierstudent in Lübeck habe ich bereits Werke von zahlreichen Komponisten erarbeitet. Doch Beethovens Kompositionen, vor allem seine Sonaten, werfen mit zunehmender Betrachtung und Beschäftigung immer wieder neue Fragen auf. Gerade als Pianist kann man durch die Auseinandersetzung mit Beethovens Werken sehr viel über das Wesen der Musik lernen und das Gelernte anschließend auch auf andere Werke übertragen.

Das habe ich schon von vielen anderen Pianisten gehört.

Der berühmte Pianist Hans von Bülow meinte einst, das „Wohltemperierte Klavier“ von Johann Sebastian Bach sei das „Alte Testament“, die Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven seien das „Neue Testament“. Die Bedeutung seines Zitats wird mir durch die kontinuierliche Beschäftigung mit solchen Werken immer mehr bewusst.

Manche empfinden Beethoven ja im Gegensatz zu Mozart als „gefährliches Gelände“ beziehungsweise sehen sich etwa durch das schnelle Switchen des Komponisten von der einen in die andere Stimmung überfordert. Wie gehen Sie an einen Beethoven heran?

Den Vergleich zu Mozart finde ich sehr spannend. Denn anders als Mozart benutzt Beethoven auf den ersten Blick eher einfach gestrickte Motive wie beispielsweise bei der 5. Sinfonie oder der Waldsteinsonate Opus 53. So spielt Beethoven dann auch mit den Erwartungen der Zuhörer: Aus augenscheinlich simplen Motiven entstehen durch unterschiedliche Dynamik und schnell wechselnde Charaktere hochkomplexe Werke. Man kann seine Musik sehr rhetorisch verstehen und genau damit beschäftige ich mich viel: Wieso hat Beethoven das genau so geschrieben und nicht anders? Möchte er die Zuhörer irritieren? Oft führt er den Hörer auch in die Irre und wirft Fragen auf, die er erst am Ende des Werks beantwortet. Mit solchen Gedanken beschäftige ich mich jeden Tag.

Gibt es eine Beethoven-Komposition, die Sie vor anderen bevorzugen? Wenn ja, warum?

Das kann man schwer sagen. Bislang habe ich jedoch noch kein Werk von Beethoven kennengelernt, welches mir weniger gefallen hätte als andere Werke. Grundsätzlich bevorzuge ich die Werke, die ich momentan einstudiere und mit denen ich mich beschäftige.

Haben Sie sich auch mit einem oder einigen der doch sehr vielen Werke Beethovens auseinandergesetzt, die weniger bekannt sind?

Im Studium konnte ich mich noch nicht mit allen Stücken von Beethoven beschäftigen. Zu Beginn studiert man erst einmal bekanntere Werke ein. Doch hin und wieder habe ich auch mal die eine oder andere unbekanntere Bagatelle gespielt.

Viele Konzerte, die zum 250. Geburtstag Beethovens in diesem Jahr geplant waren, sind ja ausgefallen. Gibt es BeethovenEinspielungen, die Sie unseren Lesern empfehlen würden?

Alfred Brendels Einspielung der gesamten 32 Klaviersonaten ist etwas ganz Besonderes. Auch die Einspielung der fünf Klavierkonzerte von Emil Gilels muss man mal gehört haben.

Wie haben Sie das Jahr 2020 als Musiker erlebt? Haben Sie sich auch auf andere Formate als sonst besonnen?

Zum einen habe ich die Zeit genutzt, um große Werke zu lernen wie beispielsweise Rachmaninoffs 3. Klavierkonzert oder Beethovens Hammerklaviersonate Opus 106, die sehr viel Zeit zum Einstudieren benötigen. Zum anderen habe ich versucht, mich bestmöglich an die aktuelle Situation anzupassen. Im Sommer durften nur wenige Zuhörer aufgrund der Abstandsregelungen in die Konzertsäle. Damit mehr Menschen ins Konzert kommen konnten, haben viele Veranstalter beispielsweise anstelle von einem Konzert mit Pause zwei kürzere Konzerte hintereinander angeboten. Auch über Online-Plattformen habe ich Konzerte gegeben und unterrichtet.

2021 gibt es ja wieder zahlreiche Jahrestage. Zum Beispiel wird dann Igor Strawinsky 50 Jahre gestorben sein und man wird an den 100. Todestag des französischen Pianisten, Organisten und Komponisten Camille Saint-Saëns erinnern. Spielen diese Komponisten in Ihrer Vita eine besondere Rolle?

Ich spiele sehr gerne mit anderen Musikern Kammermusik, darunter befinden sich auch einige Werke von Camille Saint-Saëns, die besonders im nächsten Jahr auf dem Programm stehen.

Was steht 2021 für Sie persönlich an?

Für 2021 habe ich bereits einige Soloabende und Kammermusikkonzerte geplant. Wie viele Konzerte tatsächlich stattfinden werden, muss man abwarten. Ein großes Projekt wird für mich der Internationale Beethoven-Klavierwettbewerb in Wien sein, einer der renommiertesten Wettbewerbe weltweit, der aufgrund von Corona von April 2020 auf April 2021 verschoben wurde. Das Programm besteht ausschließlich aus Werken von Beethoven und ich freue mich sehr, unter den 34 ausgesuchten Teilnehmern zu sein.

Internationale Konzerttätigkeit

Viktor Soos wurde 1996 in Backnang geboren. Seinen ersten Klavierunterricht erhielt er mit sechs Jahren in der Jugendmusikschule Backnang. Mit 13 Jahren wechselte er zu dem Backnanger Pianisten und Dozenten an der Musikhochschule Stuttgart Jochen Ferber. 2014/2015 war Soos Jungstudent an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main in der Klavierklasse von Oliver Kern. Mittlerweile studiert Viktor Soos an der Musikhochschule Lübeck Klavier bei Konrad Elser. 2006 hatte Soos zudem bei Bezirkskantor Hans-Joachim Renz in Backnang mit dem Orgelunterricht angefangen.

Soos gab Konzerte etwa in Chile, Finnland, Frankreich, Italien und Tschechien. Er spielte auf renommierten Festivals wie dem Ruhr-Klavierfestival oder den Donaueschinger Musiktagen. Auftritte hatte er unter anderem in der Philharmonie Essen, den Donauhallen in Donaueschingen, der Hamburger Laeiszhalle und im Teatro del Lago in Frutillar. Er spielte mit Orchestern wie den Lübecker Philharmonikern unter Ryusuke Numajiri, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter Kristiina Poska und dem Waiblinger Kammerorchester unter Knud Jansen. Soos bekam schon viele Preise und war bei Radioaufnahmen beim NDR, WDR und SWR dabei.