„Ohne Sound wäre ein Game langweilig“

Sounddesigner Julian de Freitas betreibt in Backnang ein Tonstudio. Ideen entwickelt er nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in der Natur, beim Wandern und Fotografieren.

„Ohne Sound wäre ein Game langweilig“

Auch für das Computerspiel „Bibi Blocksberg“ hat Julian de Freitas Klänge und Geräusche entwickelt. Foto: A. Becher

Von Heidrun Gehrke

BACKNANG. Wie klingt ein Eichhörnchen? „Ugggkk“, sagt Julian de Freitas. Er sagt das nicht einfach so. Bei ihm kommt es aus berufenem Munde. Der freiberufliche Soundkünstler vertont Computer-Games wie „Die drei Fragezeichen“ oder die berühmte kleine Hexe „Bibi Blocksberg“ für Spielekonsolen, hat ein Faible für analoge Tonbandkassetten und tüftelt an Sounds für Kunstinstallationen.

Ob mit „Controller“ an Konsolen oder mit dem Keyboard und der Mouse am PC: Wer zockt, braucht Sound. Der entsteht unter anderem in einem privaten Tonstudio in Backnang. „Ohne Sound wäre ein Game langweilig und nicht spielbar“, sagt der Sounddesigner Julian de Freitas. Jeder Spieler sei angewiesen auf ein stetiges auditives Feedback parallel zum Spielgeschehen, im Fachjargon „Audio Player Feedback“ genannt. „Egal ob ich einen Treffer lande, einen Gegenstand aufsammle, ein Puzzle löse oder ein Level höher komme, immer sind Töne als aktives Element im Game eingebaut“, sagt er. Oft werden Sounds genutzt, um den Spieler gezielt an versteckte Gegenstände zu führen. „Sie geben dann zum Beispiel ein funkelndes Schimmern von sich.“ Mit 3-D-Sounds schafft er „Atmos“ im dreidimensionalen Raum außerhalb der Kamera. „Damit das Objekt neben dem Blickfeld des Spielers identifiziert werden kann.“ Als Sounddesigner sei er für gesamte Vertonungen verantwortlich – sein Traumjob. „Ich muss so viele tolle Ideen wie möglich finden und auch erfolgreich umsetzen, um die ideale interaktive Vertonung zu gewährleisten.“

„Meine Arbeit ist Kunst mit einem Auftragsziel.“

Er schaut sich jedes Spiel gründlich an. „Die Handlung gibt mir den Rahmen vor, in dem ich frei agieren kann.“ Abhängig von Handlung und dem Agieren der Figur verändern sich Klanggewand, Tempo und Tonhöhen. So lautet der zweite Teil seiner Berufsbezeichnung auch „Music Composer“. Ist seine Arbeit Kunst? Oder ist er Dienstleister, der künstlerisch arbeitet? „Meine Arbeit ist Kunst mit einem Auftragsziel. Künstler bin ich, indem ich Musik komponiere“, sagt er. Offiziell seien Videospiele in Deutschland nicht als „Kunstform“ anerkannt wie etwa in Frankreich und England. Dennoch: „Die Kunst besteht für mich darin, das gesamte Soundkonzept eines Spiels zu erzeugen, mit dem ich ein visuelles Geschehen darstelle.“

Wenn es die Zeit zulässt, macht er freie Arbeiten. Die Klang-Video-Raum-Installation „DIC 1.0, Destructive Constructive Interactive“ zum Thema Kunsterschaffung durch Datenvernichtung war 2018 in der Galerie Steinenberg zu sehen. Inspiration geben ihm andere Spiele, sein Fachwissen, die Kommunikation mit Gameentwicklern und Programmierern und auch „die Lust an dem Projekt selbst“. Ideen entwickle er zudem in der Natur, beim Wandern und Fotografieren.

Aktuell arbeitet Julian de Freitas an einem Multiplattform-Titel für Nintendo Switch, Playstation 4 und 5, Xbox und PC. Der Titel müsse geheim bleiben, solange das Spiel nicht angekündigt wurde im Handel. Mit anderen Spielen hingegen, in denen seine Sound-Kreationen den Ton angeben, sind gewiss viele Kinder und Jugendliche auch aus Backnang und Umgebung schon in Berührung gekommen – freilich ohne es zu wissen. Wer außer Insidern weiß schon, wie die Soundeffekte entstehen, zu denen sich „Branchengrößen“ wie Mario, all die Cyberpunks und Actionfiguren in Overwatch und Fortnite herumwirbeln, gegen künstliche Intelligenzen kämpfen und knifflige Aufgaben lösen? Julian de Freitas ist als Freelancer im heimischen Tonstudio für den Arbeitgeber, das Entwicklerstudio Independent Arts Software, tätig – das einzige, das es in Deutschland noch gebe. Das letzte Großprojekt, in dem seine Sound-Kreationen den Ton angeben, sei „Eldrador Creatures“ für den Auftraggeber Schleich. Auch der bekannte Hersteller von Hartgummifiguren bringe Computerspiele heraus: kindgerechte mit Bauernhoftieren ebenso wie Episoden mit Monstern und Elfen.

Aufgewachsen ist der 36-Jährige mit Walkman und Vinylschallplatten. Infiziert für alles, was klingt und tönt, wurde er am guten alten Kassettenrekorder. „Kaum konnte ich den Rec-Knopf drücken, habe ich mit der Bandmaschine des Papas Musik mitgeschnitten.“ Er sei „Corgamer im Herzen“, beschreibt er sich mit einem Szenebegriff. „Ich besitze mehrere Arcade-Spielautomaten und auch Retrokonsolen, auf jeden Fall kenn ich Pac-Man.“ Heute stattet er mousegesteuerte Fahrradverfolgungsjagden der Drei Fragezeichen mit Pedalsound und Windgeräuschen aus und begleitet sie zu „spooky“ Klängen in mysteriöse Fälle und macht ihnen mit schnellen kurz gesetzten Crescendo-Akzenten Beine. Seine kompositorischen Fähigkeiten stecken auch in der Computerspielfigur Bibi Blocksberg drin. Je weiter das Hexle vom Boden entfernt ist, desto lauter blendet er ein „Immi-immi-immi“-Geräusch ein. Immer lasse er eine gute Portion „kindliche Fantasie“ walten, wenn er sich in Kinder-Games hineindenkt. Den bekannten kleinen Elefanten Benjamin Blümchen hat er schon im Zoo quirlig tröten lassen. Doch sein Lieblingstier, das Eichhörnchen, sei ihm beruflich noch nie über den Monitor gewetzt: Julian de Freitas liebt die possierlichen Nager. Einem hat er das Leben gerettet, und dieser „Eichi“ durfte sich auch fünf Jahre lang in seinem Leben breit machen: Julian de Freitas hat es als kleines schutzloses Wesen in Hamm auf dem Nachhauseweg auf der Straße gefunden und in seiner kleinen Zweizimmerwohnung mit der Flasche aufgezogen. „Er hatte Schlafplatz und Nest zunächst in einem Vogelkäfig, der Tag und Nacht offen war“, erzählt er.

„Eichis“ Stimme und Sounds existieren weiter.

Aus Platzgründen, weil der kleine Kerl zu aktiv wurde, sei er wieder nach Backnang zu seinen Eltern gezogen. 2020 ist „Eichi“ in Backnang gestorben, wo Julian de Freitas ein Auswilderungsgehege eingerichtet hatte. Doch „Eichis“ Stimme und „Sounds“ leben beim Sounddesigner natürlich weiter: Neben unzähligen Fotos hat Julian de Freitas viele Megabytes an „Eichi“-Mitschnitten auf der Festplatte gebannt. Für den Fall, er müsste jobmäßig eine Klangkomposition zusammenmischen, die ein Eichhörnchen in „action“ darstellt – sein „Eichi“ würde auf jeden Fall wieder „mitmischen“. Eine Idee hat er schon: „Es wäre eine Mischung aus meinen Originaltönen und abstrakten Synthiesounds, vielleicht auch mit einem vermenschlichten Cartoony-Sound gemischt.“ Das komme ganz auf den Charakter des Hörnchens an.

Weitere Infos über Julian de Freitas und seine Arbeit gibt es im Internet unter www.defreitas-audio.de oder www.dci-art.de.

„Ohne Sound wäre ein Game langweilig“

Die Stimme des Eichhörnchens „Eichi“ kommt vielleicht mal in einem Freitas-Werk vor. Foto: privat