Neue Serie

Plötzlich ist man ein trauriger Erwachsener

Die ZDF-Serie „Chabos“ ist eine famos gespielte Zeitreise in den Sommer des Jahres 2006, als sich das Leben einiger Teenager aus Duisburg für immer veränderte.

Plötzlich ist man ein trauriger Erwachsener

2006 im Freibad (von li.): Peppi mit seinen Kumpels Gollum, PD und Alba.

Von Tilmann P. Gangloff

Eigentlich will Peppi, Mitte dreißig, nur wissen, warum er nicht zum Klassentreffen eingeladen worden ist. Er wäre zwar sowieso nicht hingegangen, aber dass man ihn einfach ignoriert, kratzt erheblich an seinem Ego. Also macht er sich auf den Weg in die alte Heimat, um herauszufinden, wer ihn von der Liste gestrichen hat. Prompt wird die Heimkehr zu einer Zeitreise, denn Peppi erinnert sich nun an jene Wochen im Juni und Juli 2006, die als „Sommermärchen“ ins kollektive Gedächtnis eingegangen sind. Für eine Handvoll Teenager aus dem Duisburger Stadtteil Meiderich hat sich das Leben in jenem Sommer für immer verändert.

Natürlich haben Arkadij Khaet und Mickey Paatzsch (Buch und Regie) das Konzept, im Rahmen einer Rückkehr Gegenwart und Vergangenheit miteinander zu verknüpfen, nicht erfunden, zumal „Chabos“ durch ein BBC-Vorbild inspiriert worden ist („Ladhood“, 2019-2022); aber was die beiden daraus gemacht haben, ist aufgrund des Erzähltempos, der vielen überraschenden Handlungswendungen, der abwechslungsreichen Machart sowie dank der famosen jugendlichen Mitwirkenden außerordentlich kurzweilig und preiswürdig.

Gerade der permanente Bruch mit der erzählerischen Konvention macht einen erheblichen Reiz der Serie aus: Immer wieder kommentiert der erwachsene Peppi (Johannes Kienast) die Ereignisse in die Kamera. Außerdem taucht er selbst in den Rückblenden auf und muss auf diese Weise ohnmächtig mitansehen, wie sein junges Alter Ego und dessen drei Freunde mehr oder weniger unverschuldet in den Sumpf eines erheblichen Schlamassels geraten; und je stärker sie strampeln, desto tiefer zieht es sie hinab.

Das Beste an „Chabos“ ist jedoch der universelle Ansatz. Selbstverständlich spielen die sogenannten Nullerjahre, die derzeit ohnehin ein Comeback erleben, eine große Rolle. Die Musik, die Klamotten, die Einrichtungen der Jugendzimmer: All das prägt die Serie. Davon abgesehen jedoch ist sie zeitlos und funktioniert deshalb bei allen, die sich noch gut daran erinnern können, wie sich das Leben mit 16 angefühlt hat. Ihre innere Spannung verdankt die Erzählung zwei Motiven, die sich durch beide Ebenen ziehen. In der Gegenwart sucht Peppi seine Kumpane von einst auf, in der Vergangenheit sorgt jugendlicher Leichtsinn dafür, dass der junge Peppi (Nico Marischka) innerhalb weniger Wochen knapp 3500 Euro auftreiben muss: Weil Felix (Arsseni Bultmann), den alle bloß Gollum nennen, was alles über seine Position innerhalb der Clique sagt, „Saw II“ illegal aus dem Netz runtergeladen hat, flattert Peppis Vater eine Anzeige ins Haus. Der Junge ist überzeugt, dass diese Summe der kriselnden Ehe seiner Eltern (Peter Schneider, Anke Engelke) den Rest geben wird. Die Ideen der Freunde, möglichst rasch an möglichst viel Geld zu kommen, wirken mehr und mehr wie Verzweiflungstaten und haben am Ende zur Folge, dass ihre Lebenswege zum Teil radikal die Richtung ändern und die Freundschaft auf der Strecke bleibt.

Rund um diesen roten Faden haben Khaet und Paatzsch all das gruppiert, was für Geschichten dieser Art obligat ist: Popkultur, Peinlichkeiten und pubertäre Scherze. Den größten Spaß machen jedoch die Zeitbezüge: Die Jungs überreden Mitschülerin Mascha (Arina Prass), die später tatsächlich als Rapperin Karriere macht, an einer Castingshow („Germany’s Next Star“) teilzunehmen, die unschwer als „DSDS“-Kopie zu erkennen ist. In einer der witzigsten Szenen erwacht Peppi beim Nachmittagsnickerchen als Gast einer Nachmittags-Talkshow, in der sein Fall verhandelt wird.

Die Rückblenden in „Chabos“ sind bunt, hell und freundlich, die Gegenwartsbilder hingegen eher kühl, trist und unheimelig, die Zeitenwechsel stellenweise clever eingefädelt. Große Freude machen auch kleine Verblüffungen wie jene, als Peppi mit entsprechenden Ausschnitten belegt, dass „Chabos“ den feministischen „Bechdel-Test“ besteht, aber der eigentliche Clou der Szene offenbart sich, als die Kamera um 180 Grad schwenkt.

Gelungene Gratwanderung

Zwischendurch wird’s aufgrund subtil integrierter Subthemen wie Spielsucht, Angst vor Abschiebung oder Mobbing zwar auch mal ernst, und der Liebeskummer des in Mascha verliebten Peppis sorgt für einige Melancholie, doch das größere Kunststück des Autoren- und Regieduos ist die gelungene Gratwanderung: Der junge Peppi und sein Kumpel PD (Jonathan Kriener) sind zunächst alles andere als liebenswert. Er sei einfach nur ein schlechter Freund, muss sich Peppi gegen Ende, als er Selbstanzeige erstatten will, von einem Polizisten sagen lassen; aber da ist er dank seiner Selbsterkenntnis („und plötzlich ist man ein trauriger Erwachsener“) längst zum Sympathieträger geworden.

Chabos. ZDFneo zeigt die Serie sonntags um 20.15 Uhr, alle Folgen stehen bereits in der Mediathek.