Sie stürzte sich in jede Rolle

Alle Facetten einer Diva – Zum Tod der großen Schauspielerin Hannelore Elsner

Von Katrin Hillgruber

Als dunkelhaarige Schönheit mit katzengleichen Bewegungen hat sie Filmgeschichte geschrieben. Hannelore Elsner brillierte in vielen Rollen und veredelte auch Banales.

Eine seltsam entrückte und gleichzeitig aggressive Schriftstellerin kauft sich in der Münchner Maximilianstraße einen eleganten schwarz-weißen Mantel, um sich wenige Tage später aus dem vierten Stock einer Klinik in den Tod zu stürzen. Hannelore Elsner verlieh ihrer Namensvetterin Gisela – weder verwandt noch verschwägert – in dem Schwarz-Weiß-Film „Die Unberührbare“ eine unvergessliche Aura.

Beim Gedanken an Gisela Elsner schiebt sich seitdem eine ausladende Kleopatra-Perücke vor das innere Auge. Auf einem unregelmäßig verfugten Weg zwischen zwei Ost-berliner Plattenbauten stakst eine stark geschminkte Frau, die diesen für die Umgebung viel zu eleganten Haute-Couture-Mantel trägt.

Im April 2000 feierten Gisela Elsners Sohn Oskar Roehler und die kongeniale Hauptdarstellerin Hannelore Elsner die Premiere des Films „Die Unberührbare“ - der auf der Biografie der Schriftstellerin basierte. Hannelore Elsner, damals 58 Jahre alt, erhielt für ihre ergreifende Darstellung dieser tragisch unverstandenen Satirikerin und kommunistischen Diva des deutschen Literaturbetriebs hochverdient gleich drei bedeutende Auszeichnungen: den Preis der Deutschen Filmkritik sowie den Deutschen und den Bayerischen Filmpreis.

Im bayerischen Burghausen kam Hannelore Elstner – das T ließ sie später weg – am 26. Juli 1942 zur Welt, als Tochter eines Ingenieurs. Ihren älteren Bruder, mit dem sie unzertrennlich war, wie sie in Interviews erzählte, verlor sie kurz vor Kriegsende durch einen Tieffliegerangriff. Der Vater starb an Tuberkulose, als sie acht Jahre alt war. Die dunkelhaarige Schönheit mit den katzenartigen Bewegungen und dem selbstbewussten, ansteckenden Lachen brach mehrfach die Schule ab und wurde mit 15 auf der Straße entdeckt. In München absolvierte sie schließlich eine Schauspielausbildung. Mit siebzehn gab sie ihr Filmdebüt in der Schmonzette „Freddy unter fremden Sternen“ und war als Serviermädchen Helene in Ernst Marischkas Verfilmung des Liebesromans „Alt-Heidelberg“ zu sehen. Ihre erste bedeutende Rolle hatte sie in Will Trempers Melodram „Die endlose Nacht“ von 1963, das in neun Wochen des Nachts im Berliner Flughafen Tempelhof gedreht wurde: eine mutige, von der Nouvelle Vague und dem italienischen Neorealismo inspirierte Kampfansage an das restaurative Kino der Adenauerzeit. „Die endlose Nacht“ war ihr erklärter Lieblingsfilm aus mehr als 200 Film- und Fernsehproduktionen, in denen sie mitgewirkt hatte.

Hannelore Elsner spielte nicht nur „Das Mädchen mit den schmalen Hüften“ und an der Seite des näselnden Komikers Theo Lingen in berüchtigten „Pauker“-Filmen, sondern schon früh auch im Genre des Fernsehkrimis, darunter im Straßenfeger „Stahlnetz“ und in „Funkstreife Isar 12“. Parallel dazu hatte sie ab 1964 erste Theaterengagements in München und Berlin. An den Münchner Kammerspielen war sie 1966 als erste Nackte in Slawomir Mrozeks Stück „Tango“ zu sehen, an der Seite von Maria Nicklisch und Helmut Griem, die jedoch angezogen blieben. 1973 war sie als erste westdeutsche Darstellerin in einem Defa-Film zu sehen, als Gräfin in Celino Bleiweiß‘ Eichendorff-Verfilmung „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Ihr zweiter Ehemann, der Regisseur und Kameramann Alf Brustellin, besetzte sie zunehmend in anspruchsvolleren Filmen.

Der 1981 geborene Sohn Dominik entstammte einer Beziehung mit Dieter Wedel. Außerdem war die Lebenskünstlerin Hannelore Elsner mit dem Verlagsleiter Uwe Carstensen verheiratet und unter anderem mit dem Produzenten Bernd Eichinger und dem Germanistikprofessor Günter Blamberger liiert.

Die erste deutsche Fernsehkommissarin trat 1978 mit der Mainzer „Tatort“-Ermittlerin Marianne Buchmüller (Nicole Heesters) auf den Plan, doch auch Hannelore Elsners Frankfurterin Lea Sommer setzte in diesem Bereich Maßstäbe. Meist in schwarzes Leder gewandet und von ihrem schüchternen Assistenten Nick (Til Schweiger) unterstützt, drehte Hannelore Elsner bis 2006 insgesamt 66 Folgen der „Kommissarin“, zwei davon liefen als „Tatorte“, allerdings in Hamburg. Eine ihrer eindrucksvollsten Kriminalrollen hatte Hannelore Elsner als potenzielles Opfer eines harmlos wirkenden Lustmörders: In dem 1983 von Wolfgang Becker inszenierten SWF-„Tatort“ namens „Peggy hat Angst“ spielte sie die das ebenso schöne wie kesse Model Peggy Karoly, das nichts ahnend eine Beziehung mit dem Mörder der vermissten Natascha (Ute Christensen) eingeht. Hans-Georg Panczak verkörperte den charmanten Übeltäter, der seine Angebetete mit Baudelaires „Blumen des Bösen“ antextete. „Warum komme ich mir im Vergleich zu Ihnen immer so altmodisch vor?“, wird Peggy bei einem Verhör von der in Karos gewandeten Kommissarin Hanne Wiegand, gespielt von Karin Anselm, gefragt. „Vielleicht, weil Sie es sind?“ antwortet Peggy alias Hannelore Elsner knapp, mit jenem erotischen Timbre, das sie auch als Synchronsprecherin qualifizierte, etwa in Filmen von Claude Chabrol oder in „8 Frauen“ von François Ozon.

Auch in Altersrollen brillierte die Unermüdliche, so als Marlene in Dany Levys „Alles auf Zucker!“. 2018 ließ sie als Mutter des Modeschöpfers Rudolph Moshammer in „Der große Moshammer“ unter der blau getönten Perücke bayerische Boshaftigkeit aufflackern. „Für mich war Hannelore Elsner eine große Abenteurerin, die sich mit Neugier, Hingabe und Tapferkeit in jede Rolle und in ihr Leben gestürzt hat“, sagte die Autorin und Regisseurin Doris Dörrie, mit der sie unter anderem 2008 „Kirschblüten – Hanami“ drehte. Am Sonntag ist Hannelore Elsner mit 76 Jahren in München einer kurzen schweren Krankheit erlegen.

Ihr Filmdebüt gab sie in der Schmonzette „Freddy unter fremden Sternen“