Soundskulpturen zum Jubiläum der Galerie der Stadt Backnang

Galerieleiter Martin Schick hat den in Berlin lebenden, amerikanischen Künstler, Komponisten elektronischer Musik und Musikwissenschaftler Douglas Henderson zum 25. Galeriegeburtstag nach Backnang eingeladen. Gezeigt wird bis 27. November die Ausstellung „Artificial Horizon“ .

Soundskulpturen zum Jubiläum der Galerie der Stadt Backnang

Douglas Henderson lädt dazu ein, in eine Welt ungewöhnlicher und komplexer Seh- und Hörerlebnisse einzutauchen. Fotos: Alexander Becher

Von Ingrid Knack

Backnang. Christina Kubisch, die nach den Worten des Backnanger Galerieleiters Martin Schick die „Mutter der Klangkunst“ in Deutschland ist, hat vor ziemlich genau 25 Jahren in der damals noch ganz jungen Galerie der Stadt Backnang ausgestellt. Immer wieder waren danach bei den jährlich vier Ausstellungen zeitgenössischer Kunst auch Klangkünstler vertreten. Nun schließt sich nach einem Vierteljahrhundert der Kreis mit der faszinierenden Soundskulpturenwelt von Douglas Henderson, der 1960 in Baltimore, Maryland, geboren wurde und mittlerweile in Berlin lebt.

2007 hatte der damals in New York lebende Künstler vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) ein sechsmonatiges Stipendium bekommen, danach zog es ihn nicht mehr zurück in die USA. „Ich wollte nicht nach New York zurückgehen, New York ist zu verrückt“, sagt er bei einem Vorabrundgang durch die Ausstellung, die Teil des Jubiläumsprogramms „25 Jahre Galerie der Stadt Backnang“ ist.

Henderson, der in jungen Jahren in der Noise-Rock-Band Spongehead Gitarre spielte, gilt als Klangkünstler, dessen Werk alle Aspekte des Mediums umfasst, von elektroakustischen Klangkompositionen bis hin zu skulpturalen Arbeiten.

Erst die Besucher bringen die Installation im gotischen Chor zum Klingen

Das sieht beispielsweise so aus: Der Boden des gotischen Chors der Galerie der Stadt Backnang ist mit Stahlsaiten bespannt, Henderson spricht von einer gigantischen E-Gitarre. Die Besucher, die den Raum betreten, werden Teil der von einer emotionalen Mitte ausgehenden Installation, sie erzeugen allein durch die Art, wie sie sich im Raum bewegen – ob sie langsam dahinschreiten, hüpfen oder die Saiten nur mit einem Fuß antippen – einzigartige Klangfolgen. Die unterschiedlich langen Saiten bringen so ganz ungewöhnliche Töne hervor, die sich fremd anhören oder auch an Echos erinnern. Die Installation mit 220 Saiten funktioniert nur durch das Publikum, das sie zur Zeitmaschine macht. Denn Henderson verweist mit dieser Arbeit auch auf die Position, in der wir uns im Weltenlauf befinden, die Jetztzeit.

Ein ähnliches Werk mit dem Titel „Playback. No Rewind Button“ war 2020 in der Stadtgalerie Saarbrücken in einem rechteckigen Raum zu erleben. „Da hatte es einen anderen Klang, und man hatte ein ganz anderes Gefühl dabei“, versichert der Künstler.

Der „Sounder Nr. 2“ im Erdgeschoss, den Douglas Henderson zusammen mit seinem Bruder, dem Bildhauer David Henderson, kreiert hat, kommt auf den ersten Blick als viereckiges schwarzes, schweres Relief daher. Doch tritt man näher, sieht man: Das Bild vibriert, in doppeltem Sinne scheint es die Wellenbewegung des Schalls widerzuspiegeln, wobei drei Wellen sich überlagern, plötzlich erscheint das Relief viel leichter. „Das Objekt hat mein Bruder gebaut, er war von Wassertropfen inspiriert. Ich habe die Ton- und die Bewegungstechnik und die Komposition gemacht“, sagt der Klangkünstler. Das Objekt selbst, das zu einer Art Lautsprechermembran wird, besteht aus epoxidgetränkter Karbonfaser. Zwei Wandler auf der Rückseite der Skulptur ermöglichen etwa sehr tiefe Sinustöne, zudem gibt es Wasserklänge. Douglas Henderson spricht sogar von Tönen, die zwar sichtbar werden, aber nicht mehr hörbar sind.

Pinsel malen wie von Geisterhand bewegt Kreise auf ein Blatt

Das hört sich vielleicht sehr technisch an, aber in der Kunst von Douglas Henderson ist viel Humor zu finden. Das Werk mit dem Titel „Großer Hexenkreis“ besteht zum Beispiel aus folgenden Zutaten: Lautsprecher, Besen, die eine gewisse Persönlichkeit entwickeln, Karbonfaser, epoxidverstärkte Pappe, Holz und Gummi, Mono-Audio, 8 Minuten-Schleife. Drei Besen drehen ihre Kreise, sie können nicht ausscheren. Und da ist die Arbeit, die „flutter“ heißt: Sechs Felder mit weißen Bahnen eines leichten Materials sind unterschiedlich ansteuerbar, immer wieder andere visuelle Formen entstehen. „Manchmal machen sie das Gleiche, manchmal was anderes“, so Henderson. Hier hört man nur die Mechanik. Und die Elemente haben den Anschein, als tanzten sie. „Ich habe viel mit Tanz und Choreografie gearbeitet. Jetzt kann ich meine eigene Choreografie machen, endlich“, sagt der Gewinner des Deutschen Klangkunstpreises und des European Sound Awards 2013, der sich als echter Tüftler erweist und mit ausgeprägtem Forschergeist ans Werk geht.

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Audiochromatographie: Mit Computer und Mischpult wird elektronische Musik auf Lautsprecher gespielt. Deren Vibrationen setzen eine Mechanik in Gang: Pinsel streichen plötzlich wie von selbst Farben auf ein Blatt. Das Ergebnis sind Bilder, die an Schallplatten erinnern. Schick spricht von einem Experiment, Musik „sichtbar“ zu machen. Kein Wunder, dass das Festival Ars Elecronica in Linz Henderson 2015 mit dem Arward of Distinction auszeichnete.

Und da sind noch die Arbeiten „Flag of Convenience“ (Billigflagge), mit der Henderson die Praxis des Ausflaggens von Schiffen zum Beispiel nach Panama thematisiert, und „Das letzte Refugium für Halunken“, bei der es um Patriotismus geht. Musikalisch gab er dafür den DJ und kreierte einen Mix aus 28 Nationalhymnen, die das United Nations Orchestra aufgenommen hatte. Freilich spielt auch hier die Bewegung eine tragende und sehr lustige Rolle.

Kleine Werkschau im Tom und ein Begleitprogramm für junge Menschen

Vernissage Eröffnung ist am heutigen Freitag, 16. September, um 20 Uhr. Es sprechen Stadtrat Heinz Franke und Martin Schick. Wer die Arbeiten schon davor anschauen will, kann dies bereits ab 17 Uhr tun.

Grafiken im Tom Zu der Ausstellung gibt es eine externe Erweiterung: Einige Werke von Douglas Henderson werden im Tom gezeigt, dem einstigen Kiosk am Bahnübergang beim ehemaligen Spinnereibahnhof, Spinnerei 2, in Backnang.

Im Anschluss an die Eröffnung am heutigen Freitag in der Galerie der Stadt Backnang, Petrus-Jacobi-Weg 1, wird es dazu im Tom um 21.30 Uhr eine weitere kleine Eröffnung geben. Die Ausstellung im Tom ist heute ab 21 Uhr zu betrachten. Die Öffnungszeiten im Tom sind sonntags 14 bis 16 Uhr – es gibt Kaffee und Kuchen. Weitere Informationen zum Tom gibt es unter der Telefonnummer 0152 04934675 oder unter Instagram / spinnerei2 Norbert Kempf.

Öffnungszeiten Galerie Die regulären Öffnungszeiten der Galerie der Stadt Backnang im Petrus-Jacobi-Weg 1 sind Dienstag bis Freitag von 17 bis 19 Uhr sowie Samstag und Sonntag von 14 bis 19 Uhr. An den Feiertagen, dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober, und an Allerheiligen, 1. November, ist von 14 bis 19 Uhr geöffnet.

Museumspädagogik Samstag, 8. Oktober, 10 bis 13 Uhr, „Bilder hören, Klänge sehen“, eine Malwerkstatt für Kinder von 6 bis 11 Jahren mit Barbara Kastin. Anmeldung bis 5. Oktober: 07191 /894-477 oder galerie-der-stadt@backnang.de

Am Samstag, 12. November, geht es von 10 bis 13 Uhr um „Sound and Silence“. Der Workshop ist für Jugendliche und junge Erwachsene. Anmeldung bis 9. November (siehe oben).