Trump streckt der Welt die Zunge raus

Der Künstler Rainer Vogt aus Backnang porträtiert Menschen der Macht aus der Welt der Wirtschaft und der Politik. Auch der Nochpräsident der Vereinigten Staaten und der künftige erste Mann in Amerika gehören zu seinen Motiven.

Trump streckt der Welt die Zunge raus

Rainer Vogts provokanter Trump und ein Trump mit selbstzufriedener Miene treffen auf einen Joe Biden, der ernst in die nahe Zukunft blickt. Foto: A. Becher

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Die Figuren, die in Rainer Vogts malerischem und zeichnerischem Welttheater die Kunstbühne betreten, spielen im realen Leben meist in Politik oder Wirtschaft eine herausragende Rolle. Wen hat er nicht schon alles porträtiert: Mit Kohl fing alles an. Weitere Machtmenschen folgten. Dazu gehören Bundeskanzlerin Angela Merkel, der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck, Bundesinnenminister Horst Seehofer, der ehemalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, der einstige EZB-Präsident Mario Draghi oder Amazon-Gründer Jeff Bezos. Wenn die Prominenten in die Bilderwelt Rainer Vogts aufgenommen werden, sind sie gerade in den Medien präsent. Es ist immer eine besondere Aufnahme, die den Backnanger Künstler zu einem weiteren Porträt inspiriert und ihn zum Pinsel oder zum Zeichenstift greifen lässt.

Ein Besuch in Vogts Atelier bedeutet nicht nur Kunstgenuss, sondern auch Eintauchen in die Weltgeschichte. Einige seiner Gemälde aus den vergangenen Jahren befördern uns jedoch gerade jetzt auf den Boden der politischen Tatsachen. Schon 2016 hat Rainer Vogt ein „Bildnis“, wie er es nennt, von Donald Trump mit herausgestreckter Zunge gemalt. Damals war Trump noch nicht Präsident der Vereinigten Staaten. „Der Schnappschuss, der als Vorlage diente, zeigte ihn mit herausgestreckter Zunge. Da wusste man doch gleich, woran man ist“, sagt Vogt. Ein weiteres Gemälde aus dem Jahr 2019 zeigt den Noch-Präsidenten als selbstzufriedenen Redner.

Joe Biden ist Teil einer hochdramatischen Szene.

Aber auch Joe Biden ist in einem Gemälde zu sehen. Vogt: „Von Joe Biden gibt es eine Art Porträtskizze, die im Zusammenhang mit der Tötung Osama bin Ladens steht. Die Vorlage dazu ging als Pressefoto um die Welt.“ Sie zeigt, wie Präsident Barack Obama, Außenministerin Hillary Clinton, hohe Militärs sowie Vizepräsident Biden im Mai 2011 im Situation Room an einem Monitor den Zugriff der Navy Seals mitverfolgen. Vogt: „Meine Darstellung entstand noch im selben Jahr und ist einmal bei der Schorndorfer Kunstnacht im Röhm-Areal ausgestellt gewesen. Sie ist nach dem Code-Namen Osama bin Ladens ,Geronimo‘ überschrieben. Dieser schwebt als Vision über der Szene.“

Das Bild des selbstzufrieden in sich hineinlächelnden Trump hängt mit Blick auf Angela Merkel und Friedrich Merz im Wohnzimmer der Vogts. Für die Präsentation der Trump- und Biden-Bilder für unsere Zeitung arrangiert Rainer Vogt seine Bilder neu – und plötzlich entsteht eine verblüffend aktuelle Inszenierung: Hier Trump, der der Welt seine Zunge zeigt, und dort Biden, der – auch losgelöst aus dem Kontext des gesamten Gemäldes – in die nahe Zukunft zu blicken scheint, die ihm da gerade Schauriges zu bieten hat. Für das Arrangement hat Vogt nur das Biden-Element aus seinem etwa drei auf zweieinhalb Meter großen „Geronimo“-Bilds genommen. Der retrospektivische Charakter der Motive verschmilzt so mit dem heutigen Wissen, dass das Drama um Trump, der Biden nicht als Nachfolger anerkennt, noch nicht zu Ende gespielt ist. Die Chronologie der Ereignisse wird auf diese Weise, nur mit einer neuen Aufhängung der Gemälde, auch ohne ein neues Werk künstlerisch fortgeschrieben.

Dass bei Rainer Vogt Bilder schon mal aus verschiedenen Teilen bestehen („Ich habe einen Hang zu großen Formaten“), hat in seiner Zeit als Kunsterzieher seinen Anfang genommen. Damals fügte er Kartons an einer Wand im Zeichensaal der Schule aneinander, arbeitete mit Projektionen und vervollständigte das Bild in mehreren Schritten. Die künstlerische Ausführung ist sozusagen die Übersetzung der fotografischen Vorlage in die Kunst. „Das Gesicht der Kamera ist immer so, dass man in Ausschnitten denkt“, so Vogt. Auch das Bewusstsein, dass wir die Welt nur in Ausschnitten sehen, sei selbstverständlich geworden.

Aus Anlass einer beim Kunstverein Kiss im Schloss Untergröningen geplanten Ausstellung, die morgen hätte eröffnet werden sollen, hat Rainer Vogt einen Text über seine Porträtarbeiten verfasst. „Il faut étre de son temps“ (Du musst in deiner Zeit sein), fordere Honoré Daumier vom Künstler. „Als Zeitgenossen verfolgen wir allerdings, was um uns herum geschieht, überwiegend ohnmächtig und passiv. Um diesen fatalen Sachverhalt abzumildern, lesen wir Zeitung und werden dank allerhand Medien wenigstens Zeugen des Geschehens. Als Maler und Zeichner setze ich mich darüber hinaus mit wichtigen Protagonisten der Zeitgeschichte künstlerisch auseinander und porträtiere sie. Es sind ,Bildnisse aus dem Bereich Zeitgeschichte‘, wie der Gesetzgeber das nennt. Weil solche herausragenden Personen (beziehungsweise ihr Tun und Lassen) von allgemeinem öffentlichen Interesse sind, gilt auch der übliche Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte nur eingeschränkt. Den Künstler befreit die Rolle des Porträtisten aus der ohnmächtigen Rolle von jedermann.“ Der Künstler wird zum Akteur. „Ich rette mich, indem ich mir ein Bild mache“, hat Vogt einmal gesagt. Wichtig ist ihm in dem Zusammenhang zweierlei. „Das Bildnis soll der Person äußerlich gerecht werden, also keinerlei Zweifel daran lassen, wer gemeint ist. Andererseits strebe ich alles andere als eine fotorealistische Wiedergabe von Vorlagen an. Vielmehr sollen charakteristische Züge der Personen möglichst vollständig in einer malerischen Oberfläche aufgehen, die ihre künstlerischen Mittel, nämlich Farbsubstanz, Leinwand, Untermalung, alle möglichen Kontraste und die mehr oder minder dynamischen Spuren der Pinselführung nicht verhehlt, sondern bewusst in Szene setzt.“

In Untergröningen hätte der Künstler, Kunsterzieher und langjährige Kunstkritiker, der neben Kunst auch Politikwissenschaft studiert hat, „lauter Amis“ präsentiert, deren Wesenszüge aus den Bildern gut zu lesen sind. Was die Porträtkunst angelangt, verweist Vogt auf eine lange Tradition – Sympathien oder Antipathien für die Porträtierten spielen da keine Rolle. Doch ohne Subjektivität geht es freilich bei ihm nicht zu. Ein Motiv muss ihn ansprechen. Ihn reizt es dabei mehr, sich mit einem politischen Gegner auseinanderzusetzen als mit jenen, deren Positionen er unterschreiben kann. „Was einen umtreibt, ist ja nicht das Eigene.“ Bleibt noch die Frage, wie es sich mit Trump, Merkel und Co. an der Wand im Wohnzimmer lebt? Dazu sagt Vogt lachend: „Ich liebe meine Bilder. Meine Frau stört sich auch nicht dran.“