Filmfestival in Cannes

Viel Liebe und ein Covid-Western

Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Joaquin Phoenix, Emma Stone und Austin Butler – auf der Festival-Leinwand sind lauter Hochkaräter zu sehen. Und viele starke Filme.

Viel Liebe  und ein Covid-Western

Jennifer Lawrence und Robert Pattinson in „Die, My Love“

Von Patrick Heidmann

Nachdem die Internationalen Filmfestspiele in Cannes in diesem Jahr mit vermeintlich kleineren, aber umso sehenswerteren Werken in den Wettbewerb gestartet waren (neben dem deutschen Beitrag „In die Sonne schauen“ sorgte zum Beispiel auch das spanisch-französische Rave-Roadmovie „Sirāt“ von Óliver Laxe für Gesprächsstoff), brachten rund ums Wochenende – in bester Festivaltradition – die Weltstars den Glamour an die Croisette.

Der US-Regisseur Ari Aster, erstmals im Palmen-Rennen, versammelt für seinen Film „Eddington“ ein hochkarätiges Ensemble: Joaquin Phoenix, Emma Stone, Austin Butler und Pedro Pascal sind mit von der Partie. Auf dem roten Teppich vor der Gala-Premiere mischte sich eine Biene unter diese Gäste, was für ein wenig Aufregung und amüsante Fotomotive sorgte. Leider war dieser Moment witziger als das, was auf der Leinwand zu sehen war. Denn Asters 2020 im Bürgermeisterwahlkampf einer fiktiven Kleinstadt in New Mexico spielende Mischung aus Covid-Satire und Action-Western verhandelt von Verschwörungstheorien über Gen-Z-Protestbewegungen bis hin zur Radikalisierung und Spaltung der Gesellschaft all seine Themen derart plump, wenig erhellend und mittels durch die Bank unangenehmer Figuren, dass sich vor allem Frustration einstellt.

Meisterlich und mit Punk-Attitüde

Als deutlich überzeugender erwies sich „Die, My Love“ der schottischen Regisseurin Lynne Ramsay, die es für diese Romanadaption ebenfalls in die amerikanische Provinz verschlägt. Weil sie ein Haus erben und ein Kind erwarten, ziehen Grace (Jennifer Lawrence) und Jackson (Robert Pattinson) aufs Land, doch statt Idylle macht sich Enttäuschung breit, vor allem Grace gerät in den Monaten nach der Geburt an ihre Grenzen. Anders als ihre Hauptdarstellerin sieht Ramsay ihren Film eher als Liebesgeschichte denn als einen über postnatale Depressionen. „Die, My Love“ erweist sich als emotional aufreibendes, meisterlich und mit Punk-Attitüde inszeniertes Beziehungsdrama, in dem Lawrence sich von einer wilden Seite zeigt, die man so bislang nicht kannte.

Überhaupt waren im Wettbewerb bislang jene Filme die interessantesten, die sich erzählerisch am meisten trauten und es dem Publikum nicht zu einfach machen.

Der brasilianische, aus Deutschland mitproduzierte Film „O Agente Secreto“ von Kleber Mendoça Filho gehört dazu, ein energiegeladener Politthriller, der mit anarchischem Witz, surrealen Einlagen und einem fantastischen Wagner Moura (sowie Udo Kier in einer Nebenrolle) vom Leben unter der Militärdiktatur in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre erzählt. Nicht auf ungeteilte Begeisterung stieß der neue Film der Französin Julia Ducournau, 2021 mit „Titane“ die überraschende Palmen-Gewinnerin. Doch ihr in den 80er- und 90er Jahren angesiedeltes Horrordrama „Alpha“ über ein Mädchen und ihren drogensüchtigen Onkel (Tahar Rahim) in Zeiten, in denen ein mysteriöser Virus die Infizierten in Marmorstatuen verwandelt, entpuppt sich als Aids-Allegorie, die einiges wagt, visuell begeistert und Rahim in Bestform zu bieten hat.

Petzolds Cannes-Premiere

Reichlich Prominenz gab es auch abseits des Wettbewerbs zu sehen. Außer Konkurrenz feierte am Montag etwa Spike Lees Film „Highest 2 Lowest“ Weltpremiere, eine verkorkste Kombination aus Musikbusiness-Drama, Kidnapping-Krimi und nicht immer freiwilliger Komik. Denzel Washington in der Hauptrolle scheint allerdings Spaß bei der Arbeit gehabt zu haben, und weil auch Rapper A$AP Rocky mit von der Partie ist, gab sich in Cannes auch dessen hochschwangere Lebensgefährtin Rihanna die Ehre.

Derweil stellte in der Nebenreihe Un Certain Regard Kristen Stewart ihr mit Spannung erwartetes Regiedebüt „The Chronology of Water“ vor. Die Biografie der Autorin Lidia Yuknavitch (stark: Imogen Poots), die das Trauma jahrelangen familiären Missbrauchs mit Drogen und Schreiben gleichermaßen zu meistern versucht, überfrachtet Stewart vielleicht mit ein paar Ideen zu viel. Doch insgesamt erweist sich der Ex-Teeniestar als vielversprechende Filmemacherin, die nicht auf Nummer sicher geht.

Neben so vielen Gästen aus Hollywood war aber auch das deutsche Kino weiter präsent in der ersten Festivalhälfte. Christian Petzold hat es mit „Miroirs No. 3“ erstmals nach Cannes geschafft und zeigte in der Sektion Quinzaines des Cinéastes einen kleinen, feinen Film, der auf bewährte Themen wie die Gespenster der Vergangenheit und eine abermals starke Paula Beer in der Hauptrolle setzt, aber doch zurückhaltender wirkt als der Vorgänger „Roter Himmel“. Fatih Akin hat sich mit „Amrum“ den Jugenderinnerungen Hark Bohms der letzten Kriegswochen angenommen und in einen rührenden, leisen, aber doch gewichtigen Heimatfilm der etwas anderen Art verwandelt. Der junge Hauptdarsteller Jasper Billerbeck, in dessen kindlichem Gesicht sich feinste Nuancen von Liebe und Ernüchterung entdecken lassen, zeigt dabei eindrucksvoll: In Cannes werden nicht nur große Stars gefeiert, sondern auch kleine entdeckt.