Virtueller Blick auf die Kunst auf Papier

Online-Ausstellung des Graphik-Kabinetts der Stadt Backnang mit Arbeiten aus der Riecker-Sammlung zum Thema „Kinderreich – bewegt“ ist komplett. Präsentation ist bis 4. Oktober zu erleben.

Virtueller Blick auf die Kunst auf Papier

Radierung zur Jahreswende von Johann Adam Klein aus dem Jahr 1817.

Von Ingrid Knack

BACKNANG. Virtuelle Rundgänge durch Museen, die man vom heimischen Sofa aus genießen kann, schossen in den Corona-Anfangszeiten wie Pilze aus dem Boden. Eine charmante Idee hatte Celia Haller-Klingler für den Riecker-Raum des städtischen Graphik-Kabinetts, der nach wie vor geschlossen ist. „Die klimatischen Bedingungen, die in den sehr kleinen Ausstellungsräumen zum Schutz der empfindlichen Exponate stabil gehalten werden müssen, lassen einen regelmäßigen Luftaustausch nicht zu“, erklärt die Leiterin des Graphik-Kabinetts. Die dreiteilige „Kinderreich“-Reihe mit Arbeiten aus dem Bestand der Ernst-Riecker-Sammlung, von der gerade einmal die erste Folge „Kinderreich – beflügelt“ vor Corona im Helferhaus gezeigt werden konnte, wurde digital fortgesetzt. Der Unterschied zu einem Online-Ausstellungsrundgang: Woche um Woche kam auf der Präsentationsplattform eine Grafik dazu, die Werkschau zum Thema „Die Rolle des Kindes in der Kunst“ wurde also schrittweise aufgebaut. Mittlerweile ist sie komplett. Die erste Grafik zum Thema „Kinderreich – bewegt“ war Mitte Juni online.

Darstellungen von Kindern in ihrem Kindsein stehen in der Präsentation im Vordergrund. Celia Haller-Klingler: Es sind „Kinder, die im Spiel agieren und Dinge in Bewegung setzen, Kinder, die interagieren und dabei den Betrachter auf emotionaler oder geistiger Ebene zu bewegen trachten“. Ausgewählt hat sie Blätter, die die Vielfalt der motivischen Gestaltung der Künstler deutlich machen. Bei Georg Pencz’ „Triumph von Zeit“ geht es darum, dass alles der Zeit unterliegt: „Personifiziert durch einen hochbetagten, geflügelten Greisen versteht sie es, auf einem Hirschgespann rasend, die verschiedenen Lebensalter anzutreiben. Dabei ist bemerkenswert, dass sich die Jüngsten, die Kinder, auf der rechten Bildseite am wenigsten drängen lassen. Verfolgt von den gehetzten älteren Generationen sind sich die Kleinsten der Vergänglichkeit des Augenblicks und der Geschwindigkeit der Zeit nicht gewiss, sondern verweilen im Spiel – mit beharrlich in die Zukunft gerichtetem Blick“, heißt es im Begleittext.

Ganz anders Johann Adam Kleins Radierung „Zum neuen Jahr 1818“. Dazu erklärt die Kunsthistorikerin: „Die kleinformatige Neujahrsvignette zeigt ein kleines, im Außenbereich auf dem Boden sitzendes Mädchen, das im Bewusstsein des Jahreswechsels dabei ist, den Kalender des vergangenen Jahres zu zerreißen. Seine winterliche Kleidung, Haube, Mantel aus Tuch und Schnürschuhe, sowie seine offenkundige Lesefertigkeit legen nahe, dass das Kind aus bürgerlichem Hause stammt. Bei der Wahl eines kleinen Mädchens, das am Silvesterabend auf der Straße sitzt, mag man unweigerlich an Hans Christian Andersens tragisches Kunstmärchen ,Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern‘ denken, das jedoch erst um einiges später, im Jahr 1845, erscheinen wird. Auch wenn jenes, anders als die Radierung, gesellschaftskritisch zu deuten ist, wird bei der Verwendung einer kindlichen Hauptperson im Kontext des beginnenden neuen Jahres doch dasselbe Motiv bemüht: Das Motiv der Hoffnung und des unschuldigen Neuanfangs, verbildlicht durch das Kind.“ Einfach durchklicken und die Grafiken ganz genau und ganz groß in Ruhe anschauen ist eine inspirierende Angelegenheit.

Zusammen mit der Backnanger Fotografin Janine Kyofsky digitalisiert Celia Haller-Klingler derzeit die komplette Riecker-Sammlung, sodass sich Anfang kommenden Jahres Interessierte online durch die Sammlung klicken können. „Ein Herzensprojekt meinerseits, an dessen Verwirklichung ich seit 2017 arbeite“, verrät die Kunsthistorikerin.

Die Grafiken sind unter der Adresse http://www.galerie-der-stadt-backnang.de/gk_aktuell.php zu finden.

Virtueller Blick auf die Kunst auf Papier

Kupferstich von Georg Pencz: „Der Triumph von Zeit“. Ein Greis treibt die Menschen an, nur die Kinder sind noch entspannt. Repros: Janine Kyofsky