Von Tratschtanten und Oberlehrern

Mit seiner neuen Inszenierung zieht das Stationentheater Rietenau in die „Sommerfrische“. Die Bandbreite des Programms ist riesengroß, es reicht von klassischer und populärer Musik über Dietrich Bonhoeffers Gedichte bis zum Baustellen-Pandemie-ABC.

Von Tratschtanten und Oberlehrern

Am kleinen Markt in Rietenau eröffnete Lea Butsch die Tour mit Poesie und rezitierte ihre Übersetzung von Joni Mitchells Song „Both Sides Now“ zur sanften Akkordeonbegleitung von Sonja Michler.

Von Carmen Warstat

ASPACH. „Als klar war, dass wir wieder spielen dürfen, haben wir schnell ein Programm aus der Schublade geholt“, verrät Lea Butsch, die Autorin und Regisseurin des Stationentheaters in Rietenau. Sie hat befreundete Künstler und Musiker eingeladen und mit ihnen eine Abfolge von Highlights erarbeitet, die mehr bietet als einfach Theater. „Frühlingserwachen“ sollte diese heißen und wurde flugs umbenannt in „Sommerfrische“.

Brütend heiß war es, und im Publikum konnte man viele leichte Kleider und Sonnenhüte ausmachen. Schatten war begehrt. Gestartet wurde am kleinen Markt in Rietenau, einem lauschigen Plätzchen mit Brunnen und altem Baumbestand. Hier eröffnete Lea Butsch die Tour mit Poesie und rezitierte ihre Übersetzung von Joni Mitchells Song „Both Sides Now“ zur sanften Akkordeonbegleitung von Sonja Michler.

An Station zwei warteten zwei Tratschweiber, die das Publikum mit Weisheiten über die Jugend, Abzählreimen und schwäbischen Schimpfworten ganz nett zu unterhalten wussten. Vor einer angedeuteten Autowerkstatt dann ging es mit Venus und Mars recht launig um das Verhältnis zwischen Mann und Frau und um die liebe Liebe (zum Auto, versteht sich). Die Sulzbacher Künstlerin Andrea Wörner und ihr Mann Wolfgang stellten in einem Vortag im Grünen die Geschichte des Blaudrucks vor und zeigten das beeindruckende Verfahren. „Blaublütig du bist“ hieß das Motto. „Wer bin ich?“ Die Frage Dietrich Bonhoeffers stellte Heike Lenz-Eckstein in Beziehung zu ihrer Installation zum Thema Identität und rezitierte das gleichnamige Gedicht des Theologen und Antifaschisten. Die Künstlerin zeigte unter anderem mehrfach „immer dasselbe Gesicht“ (in einer Mischtechnik aus Acryl und Öl) aus unterschiedlichen Blickwinkeln und regte zum Nachdenken an: „Bin ich das wirklich, was andere von mir sagen? Oder bin ich nur das, was ich selbst von mir weiß?“ (Dietrich Bonhoeffer).

An Station sechs erwarteten Elli und Herbert das Publikum, die an früher zurückdenken, das war eine schöne Zeit, findet Elli, Herbert hingegen erinnert auch dunkle Schultage. Die Autorin Lea Butsch hat hier eigene Erfahrungen ihrer Generation verarbeitet: Zwar gab es die gefürchteten „Pulvermüllerbuben“ nicht wirklich, zumindest waren sie nicht dieses Namens. Aber, dass der Oberlehrer die Mädchen fünf Minuten vor den Jungen heimschickte, damit sie unbehelligt nach Hause kamen, ist belegt. Ebenso, dass Väter ihren Söhnen schon mal einen richtigen Kinnhaken beibrachten, unter dem Motto: „Wehr dich!“

Und noch so ein schöner Platz: Unter Bäumen vor einem alten Backhäuschen wartete die Band Nodding Heads mit Songs von Bob Dylan, Ed Sheeran und Kate Bush, Letztere von der Sängerin Rebecca Hart mit verblüffender Ähnlichkeit interpretiert.

Auf einer Baustelle wurde nun die Pandemie durchbuchstabiert, das ging von „A wie Abstand“ bis „Z wie Zammahalda“ und erteilte Impfgegnern und Verschwörungstheoretikern eine deutliche Absage.

Und noch einmal Musik, „ein kleines Kontrastprogramm“, wie Lea Butsch es nannte, denn es sollte Klassik geben, Barock jenseits von Bach und Händel. Ein Trio um die Flötistin Simone Alex-Kummer spielte ein Kirnberger-Stück in drei Sätzen.

Lebensweise Anklänge fanden sich schließlich noch einmal beim angedeuteten Camping, wo die fernwehgeplagte Marie und ihr Jakob sich unterhielten und man zum Schluss kam, dass „Aussteiger auch Schiffbrüchige“ seien und dass es auf den Vorwurf „Was willst du denn, du hast doch alles?!“ nur eine Antwort gibt: „Das ist es ja!“

Von Tratschtanten und Oberlehrern

Bärbel Hesser und Rolf Butsch alias Marie und ihr Jakob verkünden als Fernwehgeplagte allerlei Lebensweisheiten beim Camping. Fotos: A. Becher