Nach Konzert in Karlsruhe

Warum Brian Johnson als Nachfolger von Bon Scott ein Glücksfall für AC/DC ist

Manche Fans halten den AC/DC-Sänger Brian Johnson für einen unvollständigen Ersatzmann für Bon Scott. Was für ein Irrtum!

Warum Brian Johnson als Nachfolger von Bon Scott ein Glücksfall für AC/DC ist

Bon Scott (links) ist 1980 gestorben. Seitdem ist Brian Johnson (rechts) der Sänger von AC/DC. Foto: Imago/

Von Michael Werner

Ganz unterschiedlich klingende Bands, die ihre Musik beharrlich „Rock’n‘Roll“ nennen, verbindet mehr als Gitarrenpower. Denn an lauten Männerbünden, die den archaischen US-amerikanischen Genrebegriff für sich reklamieren, würden sich Change-Manager in Onboarding-Workshops die Zähne ausbeißen – egal ob die jeweilige Band aus England oder aus Australien stammt: Ron Wood, der sich seit 1975 als Gitarrist bei den Rolling Stones verdingt, wird bandintern immer „der Neue“ bleiben, genauso wie Brian Johnson, der ja auch erst seit 1980 bei AC/DC singt, aus der Sicht vieler Fans und Kenner der Band immer eine Art Notnagel bleiben wird, eingewechselt für den ewig Eigentlichen, den 1980 viel zu früh gestorbenen Bon Scott.

Nichts gegen Bon Scott, der das Raubtier in seiner Kehle unter Zuhilfenahme giftiger Substanzen effektvoll zum Tanzen brachte! Bon Scott hat dem Rausch mehr Charakter abgetrotzt, als medizinisch möglich schien. Aber erst sein Nachfolger Brian Johnson hat mit ähnlich überdrehter Stimme und Bruce-Springsteen’schem Autoschrauber-Arbeitsethos den Wahnsinn, der bei Scott meistens ziemlich toxisch wirkte, in die Gefilde endlos wirkender Reproduzierbarkeit kanalisiert, die für AC/DC ebenso zum Markenzeichen geworden ist wie Angus Youngs aus der Zeit gefallene Schuluniform.

Auf „Back in Black“ aus dem Jahr 1980, dem ersten AC/DC-Album mit Brian Johnson am Mikrofon und mit 50 Millionen verkaufter Tonträger das erfolgreichste Hardrock-Album überhaupt, klang der Gesang immer noch so, als würde ein Rennfahrer einen Jaguar mit stark überhöhter Geschwindigkeit über Haarnadelkurven jagen, die er für einen Highway hält. Aber wer Brian Johnson singen hörte, wusste dennoch sofort: Das Auto samt Insassen wird die Reise ohne einen einzigen Kratzer überstehen – keine schlechte Voraussetzung für ausufernde Welttourneen.

„You Shook Me All Night Long“ – Brian Johnson tanzt auf einem schmalen Grat

„Ich dachte, nach ein paar Tagen würden sie herausfinden, dass ich einfach nicht so gut bin“, so bescheiden skizzierte Brian Johnson Jahrzehnte später in einem Fernsehinterview seine Gedanken als absoluter AC/DC-Neuling. Aber auf mancherlei Weise war er sogar besser: Energisch wie sein Vorgänger quetschte Brian Johnson gekreischte Derbheiten zwischen akkurat getimte Gitarrenbreitseiten, aber anders als in vielen Zeilen von Bon Scott kann man sich bei Brian Johnsons Lyrik bis heute einreden, es handle sich um Symbolik für alles Mögliche. Auch beim Finale der AC/DC-Europatournee am Donnerstag in Edinburgh wird er im Song „You Shook Me All Night Long“ wieder auf dem schmalen Grat zwischen Porno und philosophischem Panoptikum tanzen: „She told me to come, but I was already there!“

Der offen gelassene Fluchtweg ist eines von vielen Indizien dafür, dass der im Oktober 1947 im Nordosten Englands geborene Brian Johnson einfach ein netter Kerl sein könnte. In der auf Youtube in Ausschnitten betrachtbaren Fernsehserie „Brian Johnson’s Life on the Road“ parliert er freundlich interessiert mit einigen seiner Rockstar-Kollegen: Er herzt Sting, er fährt im Oldtimer-Van praktisch direkt in die Arme von Dave Grohl. Dem Chef der Foo Fighters erzählt er mit seinem rauen, ungefähr zwei Oktaven unter seiner Singstimme angesiedelten Alltags-Timbre alte Tourgeschichten, woraufhin sich Grohl vor Lachen schüttelt. Von Mark Knopfler lässt sich Brian Johnson in dieser Serie Pubstorys erzählen, und mit Robert Plant wandert er durch Wales. Immer dabei auf Brian Johnsons Kopf: eine Ballonmütze, deren Originalexemplar ihm sein Bruder einst zwecks Haarschutz in der Autofabrik schenkte.

Am Donnerstag steigt in Edinburgh das Finale der AC/DC-Euopatournee

Auch am Donnerstag in Edinburgh wird Brian Johnson wieder Knochenarbeit leisten: Mit schmerzverzerrtem Gesicht wird er sich Töne abringen, für die menschliche Stimmbänder eigentlich nicht gemacht sind. Zwischendurch wird er lächeln. Brian Johnson ist ein Glücksfall für AC/DC, für die Fans der Band und für alle, die mit klanggewordener Anstrengung etwas anfangen können.

Wie gut er als Sänger tatsächlich ist, kann Brian Johnson bei den bewährten Konzertritualen von AC/DC nicht immer in vollem Umfang zeigen. Aber neulich hat ihn Slash, der Gitarrist von Guns N‘ Roses, als Gastsänger für sein Blues-Soloalbum „Orgy of the Damned“ eingeladen: Wie sich Brian Johnson im Studio mit präziser Leidenschaft durch den alten Howlin‘-Wolf-Song „Killing Floor“ wühlt, klingt ungefähr so sensationell wie das Mundharmonika-Solo, das Steven Tyler zu dieser flirrenden Neuinterpretation beigesteuert hat. Aber Brian Johnson macht einem Making-of-Video zufolge nicht halb so viel Wind um seinen Beitrag. Er ist eben ein netter Kerl. Ein Glücksfall.