Wendezeitkomödie „Good Bye, Lenin!“ im Bürgerhaus in Backnang

Bernd Lichtenberg und Wolfgang Becker haben den Kinofilm zu einer Bühnenfassung um- und ausgearbeitet, die Württembergische Landesbühne Esslingen setzt die Geschichte ins Szene.

Wendezeitkomödie „Good Bye, Lenin!“ im Bürgerhaus in Backnang

Die Bühnenfigur Christiane Kerner, die in der DDR gelebt hat, weiß nichts davon, dass die Wende stattgefunden hat. Denn ihr Sohn Alexander verheimlicht ihr alle Nachrichten darüber, um ihre angeschlagene Gesundheit nicht zu gefährden. Fotos: Alexander Becher

Von Klaus J. Loderer

Backnang. Lenin fliegt vorüber. Genauer gesagt fliegt ein Teil einer Leninfigur über die Bühne. Das ist nicht nur in der erfolgreichen Filmkomödie „Good Bye, Lenin!“ eine der kuriosesten Szenen, sondern auch in der Bühnenfassung von Bernd Lichtenberg und Wolfgang Becker, die am Samstag im Backnanger Bürgerhaus zu sehen war. Die Produktion war 2021 als Uraufführung in Esslingen bei der Württembergischen Landesbühne auf die Bühne gekommen.

Besonders ist nun weniger, dass nach der Wende das Berliner Lenindenkmal abgebaut wurde, sondern dass die Bühnenfigur Christiane Kerner das staunend sieht. Denn ihr Sohn Alexander verheimlicht ihr, dass die Wende stattgefunden hat, um ihre angeschlagene Gesundheit nicht zu gefährden. Just inmitten der „Wir sind das Volk“ skandierenden Demonstranten hatte sie einen Herzinfarkt und war mehrere Monate im Koma.

Gurkengläser aus dem Altglascontainer werden mit Westgurken befüllt

So lebt Christiane auch nach 1989 in einem vermeintlichen Ostberlin und ihre Familie versucht mit großem Aufwand, ihr die DDR vorzugaukeln. Sogar Nachrichtensendungen werden frisiert, was im Laufe der Zeit zu einer immer grotesker werdenden Scheinaktualität führt, in der die DDR Flüchtlinge aus der Bundesrepublik aufnimmt, schließlich muss man Christine ja irgendwie erklären, warum eine Coca-Cola-Werbung in der Wohnsiedlung auftaucht. Natürlich wird es im Laufe des Stücks immer schwieriger originale DDR-Produkte zu erhalten. So fischt Sohn Alexander alte Gurkengläser aus dem Altglascontainer, um sie mit Westgurken zu befüllen, damit seine Mutter ihre geliebten Spreewaldgurken essen kann. Für die Geburtstagsfeier müssen dann sogar noch junge Pioniere aufgeboten werden.

Die vielen Szenenwechsel löst Bühnen- und Kostümbildner Philipp Kiefer mit einem stark stilisierten Ambiente. Schrankgroße Plattenbauten ragen vor einem ewig blauen Himmel empor und werden Szene für Szene immer neu arrangiert, dienen auch mal als Möbel und tänzeln geradezu als Ballett der Plattenbauten über die Bühne. Lebt der Film von der stilechten Rekonstruktion einer DDR-Wohnung, wird das auf der Bühne nur mit wenigen Requisiten und vor allem den Kostümen angedeutet. Regisseur Markus Bartl arrangiert damit eine kurzweilige Komödie, die gerafft in zwei Stunden über die Bühne saust. Die Szenen gehen rasant ineinander über und halten das Publikum in einem Feuerwerk der Pointen und Wortspiele, was streckenweise für Dauerkichern sorgt.

Gegensätzliche Ost- und Westbiografien und fingierte Nachrichtensendungen

Dabei hat die Komödie durchaus tragische Anklänge. Die Familie Kerner gehört auch nicht gerade zu den Gewinnern der Wende. Das in einer Schublade versteckte Ostmarkvermögen entdeckt Alexander genau zwei Tage nach Umtauschschluss. Die unterschiedlichen Charaktere werden vom stimmig besetzten WLB-Ensemble gut verkörpert. Ost- und Westbiografien prallen da aufeinander und die bundesdeutsche Realität wird von einer immer verwirrender werdenden Scheinwelt überdeckt. Diese baut Alexander Kerner, von Reyniel Ostermann quirlig gespielt, für seine Mutter auf. Technisch unterstützt ihn dabei der Amateurfilmer Denis, dessen Darsteller Markus Michalik in den fingierten Nachrichtensendungen groteske Kabinettstückchen bietet. Sabine Bräuning lebt mit unerschütterlicher Ruhe als Christiane Kerner die DDR fort und diktiert Frau Schäfer (Bettina Franke) kunstvoll formulierte Eingaben an DDR-Textilkombinate. Sabine Christiane Dotzer und Antonio Lallo bieten als Tochter Ariane und ihr aus dem Westen stammender Freund Reiner eine heiße Rock-’n’-Roll-Nummer. Eva Dorlaß spielt die russische Krankenschwester Lara.

Herr Ganske (Daniel Großkämper) und Herr Mehlert (Florian Stamm) verkörpern die angepassten Ostbürger während Herr Klapprath (Reinhold Ohngemach) den Absturz vom Kader zum Alkoholiker erlebt. Und dann ist da noch Marcus Michalski, der als scheinbarer Bühnenarbeiter mit ironischem Effekt Requisiten reicht und sich in eine Vielzahl wechselnder Rollen einpasst vom schwäbischen Sparkassenangestellten bis zum tatterichen Erich Honecker.

Die Republikflucht des Ehemanns war gar nicht dessen Alleingang

Doch es stellt sich schließlich heraus, dass auch Christiane einen Traum lebt. Sie beichtet, dass die „Republikflucht“ ihres Manns gar nicht dessen Alleingang war. Sie wollte in den Westen nachkommen und hat das dann doch nicht bewältigt. Mit Ehemann Robert (Martin Theuer) gibt es schließlich sogar ein Wiedersehen.

Dass Alexander zu Beginn als Jugendlicher seinen Traum vom Kosmonauten träumt, bekommt am Ende noch einmal Aktualität, wenn er die Asche der verstorbenen Mutter in einer Rakete in den Himmel schießt. Pyrotechnik auf der Bühne ist doch immer ein schöner Effekt.