Wo Vergangenheit auf Gegenwart trifft

Sonderausstellung im Technikforum ermöglicht Einblicke in die Geschichte der Backnanger Nachrichtentechnik

Bis Ende Oktober können sich Besucher des Technikforums auf die Spuren der Backnanger Nachrichtentechnik begeben. Dabei trifft wiederholt Vergangenheit auf Gegenwart. Denn von den in Backnang entwickelten Technologien und gebauten Datennetzen profitiert die Infrastruktur in vielen Regionen der Welt noch heute.

Wo Vergangenheit auf Gegenwart trifft

Die Mitglieder des Backnanger Technikforums Holger Parplies (links) und Gerald Jarmuske führen durch die Ausstellung. Foto: J. Fiedler

Von Philip Kearney

BACKNANG. Was verbindet die Länder Thailand, Türkei und Brasilien mit der Stadt Backnang? Dies und vieles mehr erfahren zurzeit die Besucher des Technikforums in der Ausstellung „Einblicke in die Backnanger Nachrichtentechnik“. Die Antwort auf die Frage ist übrigens: Für jedes dieser Länder wurden von der Backnanger AEG und ihren Nachfolgeorganisationen Datennetze entwickelt. Die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, wie das Unternehmen mit vollständigem Namen hieß, eröffnete am 1. September 1946 zunächst einen Reparaturbetrieb für Kühlschränke in der ehemaligen Lederfabrik Fritz Häuser AG. Noch im selben Jahr erweiterte die AEG den Standort um die Abteilung Fernmeldetechnik. Diese sollte in den kommenden Jahren um ein Vielfaches wachsen.

AEG errichtete Datennetz in Norddeutschland

Denn nur zwei Jahre nach der Eröffnung der Abteilung löste die AEG ihre abseits von Backnang bestehenden Standorte in Stuttgart, Oldenburg und Memmingen auf und verlagerte daraufhin die gesamte Fernmeldetechnik des Unternehmens nach Backnang. Für diese Stadt entschied sich der Elektrokonzern laut Holger Parplies, ehemaliger Leiter der Inbetriebnahme der Backnanger Nachrichtentechnik, aus zwei wesentlichen Gründen. Zum einen entsprach die geografische Lage dem Anforderungsprofil des Konzerns. Denn Backnang befindet sich unweit von Stuttgart und im weitesten Sinne auf halbem Wege zwischen Oldenburg und Memmingen. Zudem hielt sich die Zerstörung der Stadt durch den Zweiten Weltkrieg in Grenzen. Dadurch verfügte Backnang über ausreichend Unterkunftsmöglichkeiten für die Vielzahl an neuen Arbeitskräften, die zum Standort zogen.

Der Elektrokonzern sorgte für einen wirtschaftlichen Aufschwung in Backnang, hatte die Stadt doch zuvor unter der Schließung großer lokaler Lederbetriebe gelitten. Im Jahre 1954 übernahm die Firma Telefunken die AEG-Fernmeldetechnik Backnang. Weitere Veränderungen der Besitzverhältnisse sollten in den nächsten Jahrzehnten noch folgen. Dadurch firmierte die Backnanger Nachrichtentechnik letztlich unter acht verschiedenen Namen. Eine chronologische Auflistung der Unternehmensbezeichnungen ist Teil der Ausstellung. Nach der Übernahme erwarb Telefunken das restliche Areal der Fritz Häuser AG.

Trotz mehrmals wechselnder Besitzverhältnisse agierte die Backnanger Nachrichtentechnik lange Zeit äußerst erfolgreich. Unter anderem erhielt die AEG den Zuspruch für den Bau eines Datennetzes in Norddeutschland. Den Auftrag dafür gab die Deutsche Post. Die Post war bis zum Ende der 80er-Jahre weitgehend Monopolist, was die Auftragsvergabe im Bereich Nachrichtentechnik in Deutschland anbelangte. Für den Bau eines deutschlandweiten Richtfunknetzes teilte sie Deutschland in drei Bereiche ein. Jeder Bereich erhielt ein eigenes Netz. Die Netze wurden von drei unterschiedlichen Unternehmen gebaut. Den Zuschlag für das südliche Netz erhielt Siemens, für das mittlere SEL und für das nördliche der Backnanger Standort. Um die drei Datennetze letztlich miteinander zu verbinden, mussten die verwendeten Geräte miteinander kompatibel sein. Dadurch stiegen deren Kosten stark an.

Erst ab Mitte der 80er-Jahre öffneten sich die nationalen Nachrichtentechnikmärkte dem weltweiten Wettbewerb. Dies führte dazu, dass in Backnang Datennetze für Länder aus den unterschiedlichsten Regionen der Welt geplant, entwickelt und gebaut wurden. Manche Datennetze, wie das in Thailand, sind laut Parplies auch heute noch in Betrieb. In der Ausstellung sind die Datennetze in Karten eingezeichnet. In ihrer Blütezeit beschäftigte die Backnanger Nachrichtentechnik knapp 4500 Menschen. Durch die Globalisierung der Branche stieg jedoch nicht nur die Zahl an Arbeitnehmern und Auftraggebern, sondern auch die Anzahl an Konkurrenten. Dies sollte der Standort Backnang später noch zu spüren bekommen.

AEG entwickelte einen der leistungsstärksten Rechner

Neben dem Aufbau von Datennetzen national sowie über die Grenzen Deutschlands hinaus entwickelte die Backnanger Nachrichtentechnik auch neue Produkte wie den TR4. Der Telefunken-Rechner war Ende der 50er- sowie Anfang der 60er-Jahre einer der leistungsstärksten Rechner und hatte in etwa die Größe eines mehrere Meter breiten Wandschranks. Im Technikforum befindet sich unter den rund 170 Abbildungen und Dokumenten auch eine Abbildung des Rechners, die wie der Großteil der Bilder von einem Fotografen des Unternehmens Telefunken stammt. Die technische Entwicklung in der Branche der Nachrichtentechnik wird vor allem daran deutlich, dass Smartphones mittlerweile mehr Rechenleistung haben als der TR4.

Im Fokus der AEG standen jedoch nicht die Endgeräte, sondern die Übertragungstechnik. Also wie gelangen Nachrichten möglichst effizient von A nach B. Welche Infrastruktur wird benötigt, um telefonieren zu können? Um die Beantwortung dieser Fragen kümmerte man sich am Standort Backnang. Wichtiger Bestandteil der Übertragungstechnik war die Kabeltechnik, die daher auch über einen eigenen Produktbereich verfügte. Auch die Optimierung des Richtfunks sowie der Trägerfrequenz beziehungsweise Multiplextechnik durch Digitalisierung nahm man in Angriff. Deshalb ist im Technikforum neben einer elektromechanischen Ortsvermittlungsanlage auch eine funktionsfähige Amateurstation ausgestellt. Die Geräte stammen aus dem Zeitraum von 1920 bis 2005 und reichen daher von Morsetelegrafen hin zu modernen Übertragungstechniken der SDH-Technik.

Neben der Produktion trieb die AEG auch die Entwicklung neuer Technologien voran. Zu den bekanntesten Innovationen zählt das Glasfaserkabel. Dieses verfügt über eine deutlich höhere Bandbreite als der Richtfunk. Nachdem die 80er-Jahre aufgrund internationaler Aufträge erfolgreich verliefen, ging es in den 90ern aufgrund steigender Konkurrenz bergab.

Nach der Übernahme von Marconi am 1. Januar 2006 durch Ericsson gibt das Unternehmen nur zwei Jahre später im März 2008 bekannt, dass der Standort Backnang geschlossen wird. Zu einem der letzten großen Aufträge gehörte der Bau eines deutschlandweiten Fernsehnetzes. Von der Backnanger Nachrichtentechnik von früher ist heute wenig übrig geblieben. Der einzige Produktbereich, den es noch heute am Standort Backnang gibt, ist die Raumfahrt. Mit dieser setzt sich das Unternehmen Tesat-Spacecom auseinander. Immerhin: Mit rund 1100 Beschäftigten ist Tesat momentan der größte Arbeitgeber in Backnang.

Die ganze Geschichte der örtlichen Nachrichtentechnik, von einem kleinen Betrieb hin zu einem weltweit bekannten Unternehmen, können Besucher des Technikforums jeden Dienstag von 9 bis 12 Uhr und jeden Sonntag von 14 bis 17 Uhr an einem Zeitstrahl, gespickt mit zahlreichen Bildern, aufleben lassen. Die Ausstellung endet am 29. Oktober.