Zwischen Blues und Brahms

Burr&Klaiber im Kulturgarten Auenwald: Sie sind mit Herzblut bei der Sache, der Funke springt sofort aufs Publikum über.

Zwischen Blues und Brahms

Winfried Burr (Geige) und Siegfried Klaiber (Gitarre) bürsten Bekanntes gegen den Strich und spielen auch Eigenkompositionen. Das Publikum hat seinen Spaß dabei. Foto: A. Becher

Von Renate Schweizer

AUENWALD. Geige, Gitarre, Gesang und sonst gar nix, nicht mal Mundharmonika – das ist nicht gerade die klassische Bluesformation. Und überhaupt könnte man sie leicht unterschätzen, die zwei gemütlichen älteren Herren. Der an der Gitarre (Siegfried Klaiber) noch strafverschärfend mit roter Baseballkappe einschließlich Werbeaufdruck. Bierbänke, Wurstbude, gemischtes Publikum in rustikaler Gewandung (das ist nötig, der Abend ist kalt), ein Duftgemisch von Altweibersommer, Herbst, Fritten und Glühwein in der Luft – und immer wieder werden Nummern quer durch die Musik aufgerufen: 15! 11! – das sind die bestellten Bratwürste, die fertig geworden sind und abgeholt werden können.

Wo sind wir hier – irgendwo im Mittleren Westen? Den kennt die Berichterstatterin nur aus dem Kino, aber sie ist sich sicher: Genau so muss es sich dort anfühlen, bei irgendeinem Diner, mitten im Nirgendwo. Ist aber Auenwald, oben beim Bolzplatz neben dem Parkplatz am Ebersberg, der sich heute ganz fürnehm Festplatz nennt. Und Karl Ostfalk, der Auenwalder Bürgermeister, ist gefühlt überall gleichzeitig und platzt fast vor Stolz, was seine Mannschaft vom Auenwalder Kulturgarten da wieder auf die Beine gestellt hat, und man denkt so „ja ja, der Bürgermeister halt“ und erwartet keine Wunder... – und dann geht’s los und ist doch ein Wunder.

Zwei ältere Herren, Geige, Gitarre und sonst gar nix: Jeder Ton ein Glück. Tatsache. Winfried Burr (Geige) und Siegfried Klaiber spielen Eigenkompositionen, sie spielen Klassiker, sie machen, was sie wollen, und das genau richtig, fast zwei Stunden am Stück, weil Pause hat man nicht mehr. Mit Blues fängt’s an, mit Brahms hört’s auf – und dazwischen liegt fast die ganze Welt: John Lennon, Jimi Hendrix, Gershwin, Blood, Sweat&Tears, deutscher Schlager und, und, und. Ihr Respekt vorm Original zeigt sich darin, dass sie es nicht einfach nachspielen, sondern ihr ganz eigenes Ding draus machen – manchmal braucht es Minuten, bis man so richtig kapiert, was sie da gerade „umspielen“. Siegfried „Siggi“ Klaiber sitzt dabei stoisch hinter seiner Gitarre und verzieht keine Miene, während er einen rasanten Lauf nach dem anderen hinlegt (grobschlächtige Riffs kann er natürlich auch), und mindestens ebenso verblüffend ist seine Stimme: Bei einem „Lachfoxtrott“ aus den 1930er-Jahren namens „Dudu duddel di du“ bewegt sie sich zwischen Vokalpercussion, unsinnigem Gekicher, Singen und jazzigem Scat, dass einem Hören und Sehen vergeht. Trockener Kommentar seines musikalischen Kollegen Winfried Burr: „Seit ich Siggi kenne, spielt er das, und wird immer besser – umso oller, umso doller!“ Wahrhaftig.

Burr seinerseits springt, während er seine Geige malträtiert, dass die Bogenhaare nur so fliegen und er ihr ungeheuerliche Töne entlockt, herum wie der Teufel aus dem Kasten, und beim Singen röhrt er zuweilen, als käme sein Bass aus der Tiefe eines uralten durchgerosteten Öltanks nach einer Liaison mit einem Alphorn – es ist herrlich.

Ab und zu weht der kühle Wind erstes Herbstlaub dekorativ durch die Szenerie, und dann verwandelt sich auf einmal der englische Text von „Summertime“ in „Sommer in Auenwald, aber heut isch’s kalt. Sommer in Auenwald und der Herbst kommt bald.“

Der ganze Weltschmerz des Blues und des Lebens, x-fach gebrochen, entschmalzt, humorvoll und abgrundtief melancholisch zugleich, schwäbische Weltmusik, untergangsselig, zuversichtlich, virtuos, spontan, ganz einfach, total komplex, hypnotisch, jung, alt, ironisch, tiefernst – alles ist da. Das Publikum (jede Bierbank ist besetzt) weiß es zu schätzen, obwohl man sich die edelsten Körperteile abfriert, und wiegt sich im Wind dieser Musik und des zu Ende gehenden Sommers.

Ob sie die Setlist haben könne, fragt die Berichterstatterin nach Zugabe und Schlussapplaus. Die beiden schauen sich an, ein bisschen ratlos. „Ja gerne“, sagt der eine, „aber wir haben keine“, ergänzt der andere. Wie, sie haben keine Setlist? Die Zeitungsfrau stutzt. Beide nicken. „Des isch halt so no worda“ sagt der eine. „’s war ja so windig“ sagt der andere. Zwei gemütliche ältere Herren, die seit Jahrzehnten miteinander Musik machen. Die haben’s richtig drauf.