Zwischen Spießbürgertum und Fantasie

Bandhaus-Theater-Leiterin Juliane Putzmann bringt mit der Backnanger Bürgerbühne die Erzählung „Der goldne Topf“ von E.T.A. Hoffmann zur Aufführung. Es geht um verschiedene Gesellschaftsentwürfe und Identität(en), Liebe und Magie. Morgen feiert das Theaterstück Premiere.

Zwischen Spießbürgertum und Fantasie

Tim Fiechtner, Ralf Kleinpeter, Leonie Bernhardt und Volker Seifert (von links) stehen als Student Anselmus, Konrektor Paulmann, Fräulein Veronika und Archivarius Lindhorst auf der Bühne. Fotos: Alexander Becher

Von Melanie Maier

Backnang. Der Student Anselmus ist hin- und hergerissen. Rechnet er sich eher zur gutbürgerlichen Gesellschaft oder möchte er Teil der fantastischen Welt werden, mit der er durch eine unselige Begegnung mit einem Äpfelweib in Berührung kommt? Mit dem Zusammenstoß der beiden beginnt die Erzählung „Der goldne Topf“ von E.T.A. Hoffmann, die Juliane Putzmann und die Backnanger Bürgerbühne gemeinsam zum Leben erwecken. In nur zwei Wochen hat Putzmann, die zusammen mit Jasmin Meindl das Bandhaus-Theater in Backnang leitet, aus der literarischen Vorlage – einem Klassiker der Romantik – ein Skript für ein Theaterstück erarbeitet. Morgen Abend wird es zum ersten Mal im Gewölbe des Bandhaus-Theaters aufgeführt.

Geprobt wird aber schon seit mehreren Wochen. Seit Kurzem sogar täglich, obwohl die Schauspielerinnen und Schauspieler in ihrer Freizeit auf der Bühne stehen. An diesem Abend ist der technische Durchlauf an der Reihe. Dabei werden die Übergänge auf Ton und Licht abgestimmt. Das Hauptlicht geht aus. „Wir stellen uns vor, die Musiker sind fertig, die blaue Glühbirne leuchtet“, weist Regisseurin Juliane Putzmann an. Das Äpfelweib, gespielt von Matthias Wagner, betritt zuerst die Bühne, steht mittig vor der massiven Kulisse.

Das mit der Schrankwand, das würde sie nicht noch einmal machen, sagt Juliane Putzmann später. „Man stellt sich das so schön einfach vor: Die Türen und die Schubladen öffnen sich alleine, wie von Zauberhand, aber am Ende klemmt es erst hier, dann dort – es ist wirklich ein Kampf“, erklärt sie. „Aber“, räumt sie sofort ein, „jeder, der hier reinkommt, sagt gleich, wie schön das Bühnenbild ist.“ Dieses besteht aus drei Schwerlastregalen, die bis zu 3000 Kilo tragen können. Entworfen hat es der Karlsruher Bühnenbildner Manuel Kolip.

Die imposante Wand aus Spiegeln, Schubladen, Luken, Türen, Gemälden und zwei Schachbrettern stellt den Hintergrund dar, vor dem die Geschichte um Anselmus erzählt wird. Sie ist zugleich Tür, Fenster, Haus und Holunderbaum. Mit nur wenigen Handgriffen wird sie erst zum Biergarten, dann zum Boot – das Setting kommt mit minimaler Ausstattung aus. „Ich sage den Schauspielern immer: Ihr erschafft den Raum mit eurem Spiel“, sagt Putzmann. Und viel braucht es dazu auch gar nicht. Mal ein Tau, mal eine bunte Wipfelkette – die Fantasie vervollständigt, was fehlt.

Beim mentalen Sprung in die Zeit von E.T.A. Hoffmann, in die Gesellschaft der beginnenden Industrialisierung – „Der goldne Topf“ erschien 1813 –, helfen auch die Kostüme. Anselmus, gespielt von Tim Fiechtner, trägt das Haar zur grauen Weste und dem weißen Hemd geflochten, das Fräulein Veronika (Leonie Bernhardt) tanzt im bauschig-ausladenden Kleid, der Kopf des Äpfelweibs ist von einem Tuch umfasst.

Genau wie die Originalerzählung ist auch das Theaterstück in zwölf Vigilien, Nachtwachen, eingeteilt. Im Bandhaus-Theater wird jeder neue Abschnitt auf dem Xylofon wortwörtlich eingeläutet. Serpentina (Mia Birkenberger) stellt dazu eine Kerze auf der Schrankwand ab. Die Töne und die Musik spielen eine wichtige Rolle in Putzmanns Inszenierung. Das wird beim technischen Durchlauf noch einmal besonders deutlich. Verschiedenste Klänge fügen sich zu einem Mosaik zusammen: Operngesänge vom Band, ein Sprecher, der ganze Textpassagen vorliest, aber auch die Schauspielerinnen und Schauspieler, die im Chor singen, und nicht zuletzt Tim Dressler an der Gitarre und Marlene Heitkämper am Cello, die live spielen. „Das war anfangs nicht geplant“, berichtet Juliane Putzmann. „Tim hat sich bei mir gemeldet und gesagt: Er fand den ‚Goldnen Topf‘ schrecklich als Schullektüre, aber er möchte unbedingt dabei sein.“

Auch während der Proben wird immer noch das eine oder andere angepasst. An diesem Abend trägt Volker Seifert als Archivarius Lindhorst zum ersten Mal das Märchen im Märchen selbst vor, das vorher vom Band abgespielt wurde – insgesamt sechs Minuten lang. „Wir haben gemerkt: Das funktioniert nicht“, erklärt Putzmann. „Das hat einen vorher fast eingeschläfert.“ Wenige Tage vor der Aufführung ist das Stück noch immer im Werden.

Sie hofft, dass das Stück guten Zulauf findet. „Es ist eben doch etwas anderes, ob Shakespeare oder E.T.A. Hoffmann auf dem Plakat steht“, meint Putzmann. Hoffmann sei weniger bekannt. „Manche kennen ihn auch noch aus der Schule und mochten ihn damals nicht.“ Auch sie selbst habe sich in ihr Kämmerlein setzen müssen, um sich dem ausgedehnten Text hinzugeben. „Die Schwierigkeit war, die Zuschauer nicht zu erschlagen, aber gleichzeitig die Poesie zu bewahren.“

Für Tim Fiechtner als Anselmus gilt es, die Ambivalenz der beiden Welten – „dem Spießertum der normalen Gesellschaft und dem Kreativen, Fantastischen“ – darzustellen, ohne eine der Seiten abzuwerten. Mia Birkenberger in der Rolle der Serpentina empfindet es als herausfordernd, den „poetischen Text in die Figuren hineinzubringend, mit denen man sich vielleicht auch identifizieren kann“. Die 26-jährige Studentin ist zum ersten Mal bei einer Aufführung der Bürgerbühne dabei. Ralf Kleinpeter, 67 und Rechtsanwalt, dagegen – der Konrektor Paulmann – steht seit der Gründung der Bürgerbühne 2013 jährlich auf der Bühne. „Die Besetzung ist toll!“, freut sich Putzmann. Es ist ihr erstes Stück mit der „erwachsenen“ Bürgerbühne, bisher hat sie nur mit der Jungen Bürgerbühne gearbeitet.

Schade findet die Regisseurin, dass die Erzählung drei Jahre Sternchenthema im Abitur war – und erst jetzt zur Aufführung kommt. Putzmann hatte sich schon 2020 mit dem Stoff auseinandergesetzt. Doch die Pandemie verhinderte die Umsetzung. Sie selbst sei immer schon ein Fan Hoffmanns gewesen, erzählt sie: „Ich mag fantastische Stücke, die mehrere Ebenen ansprechen.“

Zwischen Spießbürgertum und Fantasie

Beim technischen Durchlauf werden die Übergänge auf Ton und Licht abgestimmt.

„Der goldne Topf“ in Backnang

Termine Das Stück der Bürgerbühne „Der goldne Topf“ von Juliane Putzmann nach einer Erzählung von E.T.A. Hoffmann feiert am Samstag, 7. Mai, um 20 Uhr Premiere. Weitere Aufführungstermine sind: Sonntag, 8. Mai, 17 Uhr, Samstag, 14. Mai, 20 Uhr, Sonntag, 15. Mai, 17 Uhr, Samstag, 28. Mai, 20 Uhr und Sonntag, 29. Mai, 17 Uhr. Einlass ist je eine Stunde vor Vorstellungsbeginn.

Tickets Der Eintritt kostet 18 Euro, 15 Euro ermäßigt, sechs Euro für Schülerinnen und Schüler bis zum Abitur sowie für Kollegenkarten. Tickets sind im Büro des Bandhaus-Theaters (Petrus-Jacobi-Weg 7, Bürozeiten: Montag, Dienstag und Mittwoch 10 bis 13 Uhr, Donnerstag 15 bis 18 Uhr) sowie bei allen Easy-Ticket-Service-Vorverkaufsstellen erhältlich. Weitere Infos erhält man online unter www.bandhaus-theater.de.