„Hen ihr was vrschtanda?“

Hier leben und kein Schwäbisch schwätza? Um diesem Missstand abzuhelfen, hat sich „Herrn Stumpfes Zieh&Zupf Kapelle“ ein besonderes Unterrichtskonzept überlegt. Gestern war die Mundartband zu Gast in der Grundschule in Burgstall.

 „Hen ihr was vrschtanda?“

Von Simone Schneider-Seebeck

BURGSTETTEN. ’s isch no ned so lang her, da war Schwäbisch ned so guat agseah. Wenn oiner was uff sich g’halda hat, no hat er hochdeutsch gschwätzt. Doch des isch nemme so. Schwäbisch, ond au andere Dialekt, g’höret dazua zur Heimat- ond Kuldurgschicht. – Allerdings zeigt sich doch, dass eine einheitliche Schriftsprache wesentlich zum Verständnis beiträgt, man merkt es schon daran, dass jeder etwas anders schwäbelt. Und mit dem phonetischen Alphabet hat es halt auch nicht jeder.

Zahlreiche Mundartbands sind weit über die Sprachgrenzen hinaus bekannt. Was liegt daher näher, als dass man der Jugend, die bekanntlich noch besonders aufnahmefähig ist, auf musikalischem Wege den lokalen Dialekt schmackhaft macht. „Dialekt hat etwas Verbindendes“, sagt Roland Schimmel, Manager von Herrn Stumpfes Zieh&Zupf Kapelle. „Musik kommt bei Kindern gut an.“

So ist die Idee entstanden, Dritt- und Viertklässler im Ländle bei einer klingenden Schulstunde im Schwäbischen zu unterweisen. Denn vor allem für die Kinder waren die letzten Monate mit großen Einschränkungen verbunden. Bereits letztes Jahr entwickelten die Musiker das Konzept, das über das Programm „Kunst trotz Abstand“ des Landes Baden-Württemberg gefördert wird.

„Mr send heut da, um euch abzufraga.“

Gestern war es so weit – Premiere in der Grundschule Burgstall. Sogar der SWR ist dabei und filmt mit. Ländliche Idylle auf der Wiese hinter der Schule, morgendliches Vogelgezwitscher, das Rauschen der Murr, selbst ein Hahn klinkte sich zwischendurch ein. Eifrig tragen die Schülerinnen und Schüler der Klasse 4 Bänke hinaus, die Musiker stehen schon bereit, die Instrumente in der Hand. Auch ihnen steht die Freude ins Gesicht geschrieben, wieder vor Publikum spielen zu können.

Und schon geht es los, mit ordentlich Tempo. „Mr send heut da, um euch abzufraga. Ihr seid ja scho in der Grundschul, da lernt mr ja die erschte Fremdsprach – Hochdeutsch“, erläutert Flex, der nicht nur singt, sondern auch auf dem multifunktionalen Hupen-Kuhglocken-Schellen-Klingel-Becken-Waschbrett spielt und schrammelt. Das übrigens nach dem Konzert von den Schülern äußerst interessiert begutachtet wird. „Hen ihr was vrschtanda?“ Durchaus, wie es scheint.

Eher mau sieht es dafür bei der nächsten Frage aus, nur drei Kinder melden sich auf die Frage, ob denn zu Hause auch Schwäbisch gesprochen wird. Doch es besteht Hoffnung. Einige Vokabeln sind durchaus geläufig. Dr Bäbbr – ganz klar, der Aufkleber. Dann wird’s schwerer. Ein Butzele? So nennt man doch das Apfelgehäuse, mutmaßt ein Schüler. Naja, fast. Bürgermeisterin Irmtraud Wiedersatz erweist sich als Spezialistin. Ein Baby ist gemeint.

Waren die Jungs und Mädels am Anfang noch ein wenig schüchtern, hat sich das nach kurzer Zeit gelegt. Sie klatschen mit, versuchen sich an Zungenbrechern, rufen schwäbische Begriffe, die sie kennen. Zwischendurch immer wieder musikalischer Schwäbischunterricht, vorgetragen mit viel Inbrunst und Leidenschaft. Und natürlich Authentizität.

Egal ob gerade gesungen wird oder gesprochen, Hochdeutsch erklingt nur selten. Höchstens wenn man doch etwas übersetzen muss. Halt wie in der Schule. Wie es sich für eine echte Schulstunde gehört, dürfen am Ende die Hausaufgaben nicht fehlen. Ein extra Schulheft, schön eingefasst mit blauem „Babbadeggl“, mit Liedtexten, Vokabeln, einem Rätsel, etwas zum Schmökern und Üben. Wer zu Hause die Stücke nachsingen möchte, findet jeweils einen QR-Code, der direkt zum passenden Video führt. Vielleicht eine Idee für den nächsten Englischunterricht – ob sich wohl mal eine Lehrkraft traut, die neuen Vokabeln singend und musizierend vorzutragen?

Eine besondere Schulstunde mit gleich vier Sprachlehrern.

„Ihr seht, es isch Bedarf da“, lacht Antje Hummel, die Rektorin der Grundschule Burgstetten, als der Schwäbischunterricht zu Ende ist und die Kinder zu den Musikern stürmen. Im Anschluss geht es für die Kapelle noch weiter zum Teilort Erbstetten. Insgesamt 70 Schülerinnen und Schüler erleben an diesem Vormittag eine solch besondere Schulstunde mit gleich vier „Sprachlehrern“.

Bereits im vergangenen Jahr hätte die Band in der Gemeinde an der Murr spielen sollen. Doch aufgrund der Coronaentwicklung musste immer wieder verschoben werden. Über den Historischen Verein Burgstetten war der Kontakt zustande gekommen, und daher war auch die Schule am Ort die erste, die in den Genuss des Schwäbischunterrichts gekommen ist. Das Konzept wird zum größten Teil über das Förderprogramm des Landes finanziert. Den Eigenanteil tragen zu gleichen Teilen die Schule und der Historische Verein, wie Vereinsschriftführer Jochen Elzmann erklärt.

„Die Kinder lechzen richtiggehend danach, dass wieder etwas gemacht wird“, sagt Manager Schimmel, während die Schülerinnen und Schüler sich um die Musiker scharen und sie nach Herzenslust befragen. Für den Herbst seien noch Kapazitäten vorhanden und eine Schwäbischstunde zu buchen sei eine vollkommen unkomplizierte Sache, wie er versichert. Bei Interesse steht Roland Schimmel als Ansprechpartner zur Verfügung, entweder unter roland@stumpfes.de oder unter 07361/5557028. Viel zu schnell heißt es schließlich: Zammapacka, Bussle lada, Tschüssle saga, Tür zuschlaga – auf zur nächsten Stunde.

Heute sendet das SWR-Fernsehen in der „Landesschau Baden-Württemberg“, 18.45 bis 19.30 Uhr, einen Beitrag aus Burgstetten unter dem Motto „Kunst trotz Abstand“. Abrufbar ist dieser Beitrag nach der Ausstrahlung unter www.ARDmediathek.de.

 „Hen ihr was vrschtanda?“

Den Musikern steht die Freude ins Gesicht geschrieben, wieder vor einem echten Publikum spielen zu können. Fotos: A. Becher